Stromversorgung

Stromversorgung wird zum Standortrisiko

Mehr Tempo beim Ausbau erneuerbarer Energien: Diese Forderung der Wirtschaft in Baden-Württemberg ist das Resultat einer Studie zur Stromversorgung im Land bis zum Jahr 2040. In Auftrag gegeben wurde die Untersuchung vom Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertag (BWIHK) beim Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg.
„Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Baden-Württemberg muss schneller vorankommen, um den bis zum Jahr 2040 stark steigenden Strombedarf im Land zu decken“, forderte Christian O. Erbe, Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK) bei der Vorstellung der Stromstudie für Baden-Württemberg. Doch selbst wenn das gelinge, bleibe ein nicht unerheblicher Stromimportbedarf übrig. Dabei gelte: Sowohl für den Import als auch für die heimische Stromproduktion der erneuerbaren Energien vor Ort müssten die Stromnetze auf Übertragungs- und Verteilebene ausgebaut werden – und zwar schnell.
„Die Studie ist ein Benchmarking der politischen Vorgaben, denn das Land hat sich das besonders ehrgeizige Klimaziel gesetzt, bis 2040, also fünf Jahre früher als der Bund, klimaneutral zu werden – hängt aber zugleich beim Ausbau der erneuerbaren Energien hinterher“, erläuterte BWIHK-Vizepräsident Jan Stefan Roell, der auch Präsident der im BWIHK für den im Energiebereich federführenden IHK Ulm ist. Wunsch und Wirklichkeit klafften hier weit auseinander, es drohe eine Stromlücke. Das mache die Sicherung der Energieversorgung zu einem besonders herausfordernden Standortfaktor, so Roell.

Baden-Württemberg wird weiterhin auf Stromimporte angewiesen sein

„Der Stromverbrauch in Baden-Württemberg belief sich im Jahr 2021 auf 64 Terawattstunden pro Jahr“, führte Christoph Kost vom ISE aus. Bis 2040 werde sich der Energiebedarf mit 109 bis 161 Terawattstunden, je nach zugrunde gelegtem Szenario, allerdings mehr als verdoppeln. Ein Haupttreiber hierfür sei auch die Industrie, die ihre Dekarbonisierung im Wesentlichen durch Elektrifizierung erreichen müsse, um Öl und Gas zu ersetzen. Kost beziffert das maximale Stromerzeugungspotenzial aus erneuerbaren Energien in Baden-Württemberg auf über 300 Terawattstunden, allerdings seien derzeit nur rund 92 Terawattstunden anvisiert. Und selbst diese 92 Terawattstunden stellten eine Vervierfachung der heutigen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien dar und ließen sich nur erreichen, wenn sehr hohe Zubauraten bei Photovoltaik und Windkraft erreicht würden. „Baden-Württemberg wird daher voraussichtlich selbst bei einer Vervierfachung der heutigen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien auf Stromimporte bis zu 67 Terawattstunden im Jahr angewiesen sein”, bilanziert Kost.
„Für die Wirtschaft in Baden-Württemberg sind die Studienergebnisse mehrfach eine schlechte Nachricht“, so BWIHK-Vizepräsident Roell. Er verweist darauf, dass Baden-Württemberg fernab von den nativen Zentren der Erneuerbaren-Erzeugung (EE) im Norden liegt. Süddeutschland werde in der Folge als Standort für Industrieunternehmen im Allgemeinen und energieintensive Industrie im Besonderen geschwächt, und es drohten Unternehmensabwanderungen. „Wir brauchen attraktive Rahmenbedingungen für private Investoren. Das gilt sowohl für den Ausbau der erneuerbaren Energien als auch der Übertragungsnetze von Nord nach Süd sowie für Backup-Kraftwerke, um Schwankungen der EE auszugleichen“, so Roell. Ohne diese Investitionsanreize sei die Energiewende nicht zu stemmen. Außerdem müsse Baden-Württemberg an die europäische Wasserstoff-Infrastruktur angeschlossen werden. Die Studie zeige eindrücklich, dass ein beherztes Voranschreiten bei der Bereitstellung von Flächen und Genehmigungen von Anlagen dringend nötig sei, denn wettbewerbsfähige Energiepreise und sichere Stromversorgung stünden für die Wirtschaft im Land ganz oben auf der Agenda.