Herr Ruckh, wenn Sie sich an die Anfänge erinnern, wie war da die Haltung bei den Menschen und den Betrieben? Welche Hoffnungen und Befürchtungen gab es?
Es gab anfangs viele Widerstände und Befürchtungen. Die Land- und Forstwirtschaft hatte Angst, dass es ein Entwicklungshemmnis wird und sie nicht mehr selbstbestimmt wirtschaften könnten. Wir als Verwaltung befürchteten weitere Einschränkungen im Verkehrsbereich, vor allem, dass wir keinen Straßenbau machen könnten. Und kann man dann noch Gewerbegebiete entwickeln? Aber wir sind schnell in die Diskussion gekommen und wurden bei den Vorbereitungen mit einbezogen. Wir hatten das Gefühl, dass unsere Bedenken ernst genommen wurden. Einiges wurde aufgegriffen, und es wurde klar kommuniziert, dass in zehn Jahren die Re-Evaluation stattfinden würde. Da könnten wir nachsteuern. Jetzt, wo wir als Biosphärengebiet bestätigt wurden und die Möglichkeit zu erweitern gegeben ist, übersteigen die Anfragen die Möglichkeiten der Erweiterungen um ein Vielfaches. Das sehen wir als klares Indiz dafür, dass es ein Erfolgsmodell geworden ist. Wir wussten zwar auch vorher, dass wir eine attraktive Landschaft und tolle Firmen haben. Aber mit dem Biosphärengebiet haben wir ein Dach gefunden, unter das wir alle drunter kommen. Es gibt Partnerschaftsprogramme, Mittel für das Biosphärengebiet und ein gutes Marketing, das durch den Schwäbische Alb Tourismus unterstützt wird. Kleingewerbe und Gastronomie profitieren vom Mehr an Tourismus, der Nachhaltigkeitsgedanke erhielt neuen Antrieb und auch die großen Firmen in der Gegend nehmen das Biosphärengebiet als Erfolgsfaktor wahr.
Welche Bedeutung hatten die umfangreichen Bürgerbeteiligungen für die Umsetzung?
Die Bürgerbeteiligung zum Start des Projekts ging tiefer als sonst gewohnt. Die Landwirtschaft hatte die größten Bedenken – es gab ja auch keine Erfahrung mit dem Thema in der Region. Die „Gegner“ wurden ganz bewusst mit eingebunden. Sie wurden ernst genommen, es war keine Pseudobeteiligung. So wurden das Denken und die Umsetzung befruchtet.
Thema Veränderungen: Was wäre ohne das Biosphärengebiet nicht gekommen?
Ich glaube, der Stolz, hier auf der Alb zu sein, wäre nicht so umfassend gekommen. Die einen waren stolz auf unsere Landschaft, die anderen auf ihr Produkt oder auf irgendein Material. Das Biosphärengebiet ist eine Klammer, die über Branche und Lebensbereich weit hinaus geht. Angefangen von der Biosphärengebietsschule bis zum Wirtschaftspartner, der für das Biosphärengebiet eintritt – das ist inzwischen bei uns Lebenswirklichkeit. Es hilft auch Arbeitnehmer anzuwerben in einem Bereich, der bisher im Schatten von Bodensee und Schwarzwald lag und gar nicht bekannt war als interessante Landschaft mit sehr vielen Freizeitmöglichkeiten und die gut liegt zu Zentren wie Stuttgart und Ulm. Auch kulturell hat diese Region einiges zu bieten.
Was hat sich für die Betriebe geändert?
Es hat dazu geführt, dass sehr viele Betriebe frühzeitig das Thema Nachhaltigkeit aufgegriffen haben. Das halte ich inzwischen für einen Vorteil, weil künftig Nachhaltigkeit unser wirtschaftliches Handeln deutlich bestimmen wird.
Sind schon alle Vorteile des Biosphärengebiets ausgeschöpft, oder gibt es noch Potenziale, bei denen es in den nächsten Jahren noch etwas zu tun gibt?
Da sind wir sicher noch nicht am Ende. Unsere Problematik im ländlichen Raum ist die verkehrliche Erschließung. Nicht nur Straße und Eisenbahn, auch der ÖPNV muss stark ausgebaut werden. Dabei spielt natürlich nicht nur das Biosphärengebiet eine Rolle. Zunächst müssen Wanderwege und Attraktionen gut an den ÖPNV angebunden sein. Ebenso ist die vollständige Anbindung ans Glasfasernetz wichtig. Ich sehe da auch Möglichkeiten, sich besser untereinander abzustimmen. Im neutralen Thema Biosphärengebiet können ganz unterschiedliche Branchen miteinander sprechen, vielleicht auch Konkurrenten – was sich sonst häufig ausschließt. Das ist eine gute Gesprächsebene.
Was können Sie den Kollegen in der Region Allgäu-Oberschwaben auf den Weg geben? Gibt es etwas, von dem Sie sagen: „Macht nur diesen Fehler nicht, den haben wir schon gemacht“?
Ich kann bloß aufrufen, mutig zu sein. Vielleicht einfach mal zu schauen, was bei uns gut gelungen ist und zu überlegen, ob die Idee passt. Oberschwaben und die Schwäbische Alb sind beide einzigartig, jeder sollte mit seinen Stärken arbeiten und nicht blind kopieren. Es gilt, auch mal etwas zu riskieren und wenn es nicht klappt, zu sagen, es war einen Versuch wert.
Interview: Josef Röll