Interview

„Die Digitalisierung der Verwaltung ist keine hinreichende Voraussetzung für Bürokratieabbau.“

Gisela Meister-Scheufelen beschäftigt sich seit Jahren damit, wie die Wettbewerbsbedingungen für den Mittelstand durch eine bessere Qualität von Recht, Bürokratieabbau und Digitalisierung der Verwaltung verbessert werden kann – zuletzt als Vorsitzende des Normenkontrollrats Baden-Württemberg.

Frau Meister-Scheufelen, welche großen Schritte konnten in baden-württembergischen Verwaltungen bereits getan werden?

Das Land hat beim Bürokratieabbau erste Fortschritte erzielt, muss aber noch erheblich zulegen. In der letzten Legislaturperiode bis 2021 konnten 100 Millionen Euro Bürokratiekosten insbesondere durch Vereinfachungen bei Bauvorschriften, bei der Rechnungstellung im öffentlichen Auftragswesen und beim Abfallrecht reduziert werden. Zuletzt konnten Fortschritte beim Ausbau der Windkraft erzielt werden. Vorbildlich ist auch, dass sich die Koalition im Koalitionsvertrag vorgenommen hat, bis 2026 weitere 200 bis 500 Millionen Euro Bürokratiekosten abbauen zu wollen. Leider fehlt bis heute dafür ein Bürokratieentlastungsgesetz Baden-Württemberg. Während der Bund jetzt nach zwei Jahren einen Entwurf für das Bürokratieentlastungsgesetz IV auf den Tisch gelegt hat, gibt es in Baden-Württemberg nach zweieinhalb Jahren noch nicht einmal eine Vorschlagsliste.

Was genau ist unser Problem?

Unser Problem ist, dass die Politik das Thema nicht ernst genug nimmt. Häufig wird es einzelnen Ressorts überlassen, ob sie Maßnahmen zur Entlastung der Wirtschaft vorschlagen und umsetzen wollen oder nicht. Es findet keine konzertierte Aktion statt. Aktuell versucht Ministerin Nicole Razavi, erneut bei Bauvorschriften in Baden Württemberg Bürokratie abzubauen. Darunter sind Vorschläge, die der Normenkontrollrat der Regierung 2018 gemacht hat, wie zum Beispiel die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens. Der Vorstoß ist sehr zu begrüßen und sollte in ein Bürokratieentlastungsgesetz aufgenommen werden. Alle anderen Ressorts sollten ebenfalls aufgefordert werden, Beiträge zu liefern.

Als Vorsitzende des Normenkontrollrats waren Sie an vielen Studien und Befragungen beteiligt. Welche Erkenntnisse konnten Sie daraus gewinnen?

Wir haben als Normenkontrollrat bei rund 600 laufenden Gesetzgebungsverfahren daran mitgewirkt, dass unnötige Bürokratie vermieden wird und in Empfehlungsberichten 150 konkrete Entlastungsvorschläge gemacht. Die wichtigste Erkenntnis ist, dass die Landesregierung spürbare Erfolge nur dann erzielen kann, wenn sie eine konkrete messbare Zielvorgabe macht und den Bürokratieabbau zentral steuert. Den Ressorts muss klar sein, dass der Regierung die Entlastung der mittelständischen Wirtschaft und der Bürgerinnen und Bürger wirklich wichtig ist. Die Bundesländer vollziehen 80 Prozent der Bundesgesetze und des EU-Rechts durch Verordnungen und Verwaltungsvorschriften. Darin steckt eine Menge unnötiger Bürokratie, die allein vom Land zu verantworten ist. Schließlich ist die gesetzliche Verankerung eines unabhängigen Normenkontrollrats eine Maßnahme, das Thema des Bürokratieabbaus nachhaltig festzusetzen und nicht von Entscheidungen einzelner Entscheidungsträger abhängig zu machen.
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© privat

Welchen Positiv-Beispielen sind Sie begegnet, und was war deren Erfolgsrezept?

Positiv war, dass die Landesregierung unseren
Vorschlag umgesetzt hat, die Zuständigkeit für die Erlaubniserteilung des Bewachungsgewerbes von vormals 679 Gemeinden auf die unteren Verwaltungsbehörden zu konzentrieren. Damit konnten die Verfahren um über 30 Prozent beschleunigt werden. Ein weiteres positives Beispiel ist, dass die Lebensmittelkontrolleure angehalten worden sind, auf die Einhaltung der Allergene-Kennzeichnungspflicht beim Vereinskuchen zu verzichten. Hier war die Verwaltung über EU-Vorgaben hinausgegangen. Beide Beispiele sind grundsätzliche Lösungsansätze. Außerdem haben wir als Normenkontrollrat mit dem Landratsamt Rems- Murr-Kreis verwaltungsinterne Maßnahmen zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren pilotiert und gute Fortschritte erzielen können. Wenn Mitarbeiter des Bauamts zu Projektsteuerern ausgebildet werden, in einem digitalen Gremienraum transparent für alle Verfahrensbeteiligten mit Termincontrolling gearbeitet wird und Runde Tische stattfinden, um zeitgerecht und kostenbewusst Lösungen zu finden, dann geht es schneller.

Welche Hindernisse können mithilfe der Digitalisierung überwunden werden – und welche nicht?

Die Digitalisierung der Verwaltung ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für Bürokratieabbau. Sie beschleunigt die Kommunikation und die Zusammenarbeit von Bürgerinnen und Bürgern mit der Verwaltung und professionalisiert die Verwaltungsabläufe. Eine kundengerechte Digitalisierung kann auch zur besseren Qualität beitragen. Es können Missverständnisse vermieden und Rückfragen überflüssig werden, und die Frustration nimmt ab. Entscheidend ist, dass der Effizienzfortschritt durch Digitalisierung eine der wenigen Maßnahmen ist, um den Personalmangel im öffentlichen Dienst abzuschwächen. Die Digitalisierung löst aber nicht das Problem unnötiger Dokumentations- und Nachweispflichten.
Interview: Christin Krauß