Trends & Hintergründe

Der digitale Produktpass

Der Rohstoffhunger der deutschen Wirtschaft ist groß und auch riskant. Der digitale Produktpass soll helfen, gegenzusteuern, indem er etwa Reparatur- oder Recycling-Optionen aufzeigt. Damit bietet dieser „Ausweis für ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit“ Chancen, aber er birgt auch Herausforderungen.
Die deutsche Wirtschaft benötigt große Mengen an Rohstoffen. Gleichzeitig machen die jüngsten Krisen deutlich, wie riskant eine hohe Importabhängigkeit in diesem Bereich ist. Auch bei wachsendem Bedarf kann die Resilienz zunehmen, wenn die Rückgewinnung von Rohmaterialien über eine funktionierende Kreislaufwirtschaft gelingt. In den letzten Jahrzehnten gab es bereits signifikante Verbesserungen, dennoch sind Rohstoffströme bei vielen deutschen Unternehmen noch nicht durchgängig auf Wiederverwendung oder Recycling ausgelegt. Nach Daten des europäischen Statistikamtes Eurostat liegt der Anteil der recycelten Materialien am gesamten Rohstoffverbrauch in Deutschland bei circa 13 Prozent. Im Vergleich beispielsweise mit den Niederlanden (29 Prozent) besteht hier deutliches Aufholpotenzial. Die Bundesregierung will nun die weitere Transformation hin zu einem ressourceneffizienten und zirkulären System voranbringen. Das soll den Rohstoffkonsum verringern und zum vermehrten Einsatz von Recycling führen. Eine zentrale Rolle bei den Überlegungen spielt dabei der digitale Produktpass (DPP).

Ein „Ausweis“ für ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit

Der DPP ist ein Ansatz im Rahmen der grundlegenden Überarbeitung der Regelungen im Bereich Ökodesign – als Teil des Europäischen Green Deal soll der DPP nachhaltigere Produkte fördern. Der digitale Produktpass soll den elektronischen Abruf produktspezifischer Daten und Informationen ermöglichen, unter anderem Informationen zu Herkunft, Zusammensetzung, Reparatur- und Demontagemöglichkeiten, einschließlich Optionen zum Recycling oder zur Entsorgung am Ende der Lebensdauer. Ziel ist es, Verbraucherinnen und Verbrauchern, aber auch Unternehmen fundierte Entscheidungen zu ermöglichen. Zusätzlich will man Behörden verschiedene Prüfungen und Kontrollen erleichtern. Aktuell verhandeln die europäischen Institutionen über die genaue Ausgestaltung.

Risiken – Herausforderungen für KMUs

Der Umbau des Wirtschaftssystems hin zu einem nachhaltigeren und kreislauforientierten Modell bringt enorme Herausforderungen mit sich. Für den Übergang sind bahnbrechende Innovationen, Investitionen in Milliardenhöhe und ein Umdenken speziell beim Management von Lieferketten nötig. Allerdings existiert ein digitaler Produktpass bislang nur auf dem Papier. Die digitale Entwicklung befindet sich in einem frühen Stadium, und viele Fragen zur praktischen Umsetzung sind ungeklärt. Laut einer Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie aus dem Jahr 2022 gibt es derzeit europaweit 76 verschiedene Initiativen zum DPP. Befürchtungen, dass mit der Einführung eines solchen Passes neue und hohe bürokratische Anforderungen an kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) entstehen, sind daher nicht von der Hand zu weisen.

Chance – Zentrales Instrument einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft

Es bedarf deshalb eines ganzheitlichen Konzepts für den DPP, mit dem jeder Marktteilnehmer auf die jeweils relevanten Informationen zugreifen kann. Geplant ist, dass Informationen in ein übergreifendes System eingebettet werden. Schnittstellen zwischen bereits bestehenden Datenbanken sollen verhindern, dass Dopplungen entstehen. Auch überbordende Bürokratie, Überladung und Fragmentierung will die Kommission vermeiden.
Falls dies gelingt, bietet der Produktpass den Unternehmen Potenzial für gesteigerte Transparenz, Effizienz und Nachhaltigkeit. Durch den DPP erhalten die Betriebe Einblick in den kompletten Lebenszyklus eines Produkts. Das kann das Vertrauensverhältnis zwischen den Betrieben in der Lieferkette sowie zwischen Endkunden und Produzenten verbessern. Der DPP bietet sich auch als Werkzeug an, um Lieferketten effizienter zu gestalten. Zudem ermöglicht er eine nachhaltigere Produktions- und Konsumpraxis sowie eine bessere Planung und Umsetzung von Recycling und Wiederverwertung. Dass das Europäische Komitee für Normung (CEN) an der Entwicklung einer DPP-Norm arbeitet, gibt insofern Anlass zur Hoffnung. Dennoch wird ein Erfolg des DPPs ganz entscheidend davon abhängen, dass die Perspektiven und Möglichkeiten von KMUs bei der Entwicklung berücksichtigt werden. Mit diesem Ziel sucht die DIHK aktiv den Austausch mit der EU-Kommission.

Beitrag zur Transformation

Durch eine möglichst lange Ressourcennutzung und eine gesteigerte Kreislaufführung kann die deutsche Wirtschaft grundsätzlich Schritt für Schritt unabhängiger von Rohstoffimporten werden. Eine erste Blaupause bei der Entwicklung des DPPs bietet der in der Entstehung befindliche Battery Pass. Die Entwicklung soll bis Ende 2025 abgeschlossen sein und ab 2027 zur Anwendung kommen. Für eine erfolgreiche Transformation hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft stellt dabei jedoch das Bereitstellen von Informationen für Stakeholder mit Hilfe des Produktpasses nur eine Maßnahme dar. Gleichzeitig sollte dringend der Einsatz von Sekundärrohstoffen gefördert werden – die Infrastruktur für ihre Gewinnung ebenso wie die Märkte, die sie auch wieder einsetzen.
DIHK