Leitartikel

Wünsche der City-Kunden von morgen

Laut Deutschlandstudie Innenstadt 2022 spielt Shopping in der Innenstadt nur noch für 40 Prozent der unter 30-Jährigen eine Rolle. 2015 waren es noch 75 Prozent. Das veränderte Konsumverhalten stellt Handel, Gastronomie und Stadtverwaltungen vor neue Herausforderungen. Die Jugend von heute wird zum Kunden von morgen. Es gilt zu erfragen, wie sie sich eine attraktive Innenstadt vorstellt, damit das Leben in der City erhalten bleibt.
Pessimisten zeichnen ein düsteres Bild von Innenstädten mit leerstehenden Geschäften und fehlender Frequenz für die Gastronomie. Pandemie, Kaufzurückhaltung durch Inflation und Online-Handel haben die Situation in den Stadtzentren verändert. Wie wird es weitergehen? Wie können Städte als attraktive Orte mit Handel, Gastronomie und Events für alle Altersklassen erhalten bleiben? Es bedarf keines Blicks in die magische Glaskugel, sondern vielmehr einer Frage an die Kunden von morgen. Ihre Gedanken und Ideen können Impulse geben, wie Städte auch in Zukunft mit stationärem Handel und Gastronomie punkten.
Lina (22 Jahre), Elena (19 Jahre) und Dominik (18 Jahre) engagieren sich bei Jugendaktiv in Ulm, der offiziellen Jugendvertretung der Stadt. Lina und Elena arbeiten als Angestellte im Stadtzentrum, Dominik ist Auszubildender und wohnt 10 Kilometer südlich von Ulm. Er nutzt den ÖPNV, um in die Stadt zu kommen, wo er Dinge des täglichen Bedarfs einkauft. „Ich bevorzuge den stationären Einzelhandel“, sagt Dominik. „Wenn allerdings das Angebot zu gering ist, dann kaufe ich auch online.“ Elena hält sich täglich in der City auf und verbindet Arbeit mit Einkauf. Gerne schaut sie nach Dekoartikeln, Geschenkideen, Drogerieartikeln, Schuhen und Secondhand-Läden, wobei sie Kleidung insgesamt lieber online einkauft. Lina outet sich als „Fan des Online-Einkaufs“. „Warum soll ich mich in Geschäften drängeln, wenn ich den Einkauf zuhause, gemütlich auf dem Sofa sitzend machen kann“, stellt sie die Frage. „Ich bestelle auch Lebensmittel online – das ist bequem und spart Zeit.“ In einem Punkt sind sich alle einig: Sie wollen in Geschäften nicht angesprochen werden, sondern sich in Ruhe, ohne unterschwelligen Kaufzwang durch Verkaufspersonal, umsehen.

„Click und Collect ist die Zukunft“

Von einer attraktiven Stadt wünschen sie sich eine gute Erreichbarkeit mit dem ÖPNV, günstigere Parkmöglichkeiten, einen vielfältigen Branchenmix und eine hohe Aufenthaltsqualität. „Ich gehe nicht primär in die Stadt zum Einkaufen, sondern um mich dort mit Freunden zu treffen“, sagt Lina. Deshalb legt sie Wert auf eine Stadt als sozialer Treffpunkt. Dominik pflichtet ihr bei: „Was in der City von Ulm fehlt, das sind mehr Bäume und Bänke, insbesondere rund um den Münsterplatz.“ Obwohl Lina und Elena Kleidung gerne online kaufen, sehen sie dabei ein Problem: Das Entgegennehmen der Ware gestaltet sich schwierig, wenn man tagsüber bei der Arbeit ist. Aber auch dafür haben sie eine Lösung parat. „Click und Collect ist die Zukunft, das müssten viel mehr Geschäfte in der City anbieten.“ Mit diesem Wunsch ist die Forderung nach besserer Sichtbarkeit von Handel und Gastronomie verbunden. Man laufe aus Gewohnheit immer dieselben Wege rund um die Haupteinkaufsstraße, deshalb blieben kleinere Geschäfte unbeachtet. Das Einkaufsangebot der Straßen am nördlichen Münsterplatz müsse sichtbarer werden, sowohl online als auch stationär. „Wenn ich an kleinen Geschäften vorbeigehe und nicht sofort erkennen kann, was dort angeboten wird, dann gehe ich dort nicht rein“, beschreibt Lina das Problem. „Eine entsprechende Beschilderung und natürlich eine Website wären hilfreich.“
Ich gehe nicht primär in die Stadt zum Einkaufen, sondern um mich dort mit Freunden zu treffen.
– Lina (22 Jahre)
Spontan entwickeln die drei Jugendlichen eine Idee, um die Sichtbarkeit von Handel und Gastronomie in der Innenstadt zu verbessern. Zunächst sollten alle Geschäfte, Cafés und Restaurants über eine Website verfügen. Die Stadt Ulm könnte dann am Bahnhof und anderen Orten eine große Übersichtstafel mit Stadtplan aufstellen, die alle Unternehmen enthält. „Genauso wie die Übersichtskarte am Eingang zum Weihnachtsmarkt“, empfiehlt Dominik. Ein QR-Code böte die Möglichkeit zum Download der interaktiven Karte. Mit einem Click auf das jeweilige Geschäft könnte man dann über einen Link auf dessen Website gelangen und so – am besten über ein Video – Informationen zur Ladenausstattung und zum Sortiment erhalten. In Verbindung mit dem Stadtplan würden dann auch verstecktere Geschäfte sichtbarer. Dieser Plan gehöre auf die Internetseite der Stadt Ulm, die einzelnen Websites müssten auf Instagram zu sehen sein. Unterstützt werden sollten die Maßnahmen zur Belebung der Innenstadt durch mehr verkaufsoffene Sonntage, interessante Aktionen, kulturelle Veranstaltungen und Feste. Insgesamt zeigen sich die drei Jugendlichen relativ zufrieden mit „ihrer“ Stadt Ulm: Im Durchschnitt geben sie ihr die Note Zwei minus.

Verknüpfung des stationären Handels mit dem Online-Handel

Diese Bewertung deckt sich mit der Einschätzung von Sandra Walter. Als Citymanagerin in Ulm arbeitet sie daran, die Attraktivität der Stadt auch für Jugendliche zu
erhalten. „Wir bemühen uns vor allem bei Textilien, die Geschäfte jener Marken in Ulm anzusiedeln, die bei der Jugend angesagt sind. In Ulm haben wir zurzeit eine ganz gute Ausgangssituation dafür“, erläutert Walter. Um den Einkauf in der Stadt für die Jugend attraktiver zu machen, müsse der stationäre Handel besser mit dem Online-Handel verknüpft werden. Das heißt, die Geschäfte und die Gastronomie sollten über eine Website verfügen und auf jenen Social-Media-Plattformen präsent sein, die von Jugendlichen frequentiert werden. „Wir müssen Ulm aber auch in anderer Hinsicht attraktiver machen“, so Walter weiter. „Es geht darum, die Stadt zu einem Ort der Begegnung zu machen, die Aufenthaltsqualität zu verbessern und mit Kunst, Kultur und Events Anziehungspunkte zu schaffen. Aus der Pandemie haben wir eines gelernt: Es bedarf einer Symbiose aus Handel, Gastronomie, Kultur und Events, um eine Innenstadt lebendig zu halten. Ohne Handel gibt es weniger Cafés und Restaurants, umgekehrt fehlt ohne Gastronomie die Frequenz für den Handel.“

Der Schlüssel für eine lebendige Innenstadt ist die Kombination aus Shoppen, Genuss, Leben und Erleben.
– Sandra Walter
Den Wünschen der zukünftigen Kunden-Generation misst Sandra Walter eine große Bedeutung bei. „Im Rahmen des Innenstadtdialogs Ulm können sich Mitglieder von Jugend-aktiv in Ulm einbringen. Ich empfinde das als eine extrem positive und bereichernde Zusammenarbeit.“ Die Jugendlichen hätten klare Vorstellungen von „ihrer“ Stadt. So würden Wünsche nach mehr Grün im Stadtbild geäußert, eine Verbesserung der ÖPNV-Anbindung ländlicher Regionen, mehr Kunst- und Kulturveranstaltungen und schöne Verweilmöglichkeiten ohne Konsumzwang. Sandra Walter ist überzeugt: „Der Schlüssel für eine lebendige Innenstadt ist die Kombination aus Shoppen, Genuss, Leben und Erleben. Es geht um die Verknüpfung von abwechslungsreichen Konzepten und nicht nur um starres Einkaufen.“

City als sozialer Treffpunkt

Das sieht man auch in Ravensburg so. „Ravensburg hat einen gesunden Branchenmix mit hoher Sortimentsbreite und -tiefe“, berichtet Eugen Müller, Geschäftsführer Wirtschaftsforum Pro Ravensburg. „Wir haben viele inhabergeführte Geschäfte, darunter ein breites Angebot von junger Mode. Dadurch, dass die Hochschule in der Innenstadt liegt, haben wir eine hohe Wahrnehmung für junge Trends.“ Doch das allein reiche nicht aus, um Jugendliche in die Innenstadt zu ziehen. Man müsse neue Möglichkeiten der Begegnung schaffen, die Stadt zu einem sozialen Treffpunkt machen, auch ausprobieren und Neues wagen. Das sei eine wichtige Aufgabe, aber die Stadt habe gute Voraussetzungen dafür. Mit dem Integrieren des Stadtbachs auf dem Gespinstmarkt sei ein neuer Wohlfühl- und Aufenthaltsort für alle Altersklassen entstanden. „Die Stadt setzt im Hinblick auf den Klimawandel auf mehr Grün, mehr Blau und mehr Grau in Form von Schatten. Mit dem Bach wurde mehr Blau in die Stadt geholt. Am Grün arbeiten wir genauso wie an der Verbesserung der Aufenthaltsqualität durch mehr Bänke und Treffpunkte ohne Konsumzwang.“ Die Jugendmusikschule wer de in der City angesiedelt, wodurch mehr Eltern mit Jugendlichen in der Stadt zu erwarten seien. Die Vorstellungen der Jugend flössen ein bei der digitalen Ausrichtung der Stadtbibliothek. Man habe außerdem mit der DHWB Ravensburg eine Telefonbefragung durchgeführt, um mit Jugendlichen in Kontakt zu kommen und Erkenntnisse über deren Vorstellungen zur Stadtentwicklung zu erlangen. „Letztendlich sind Handel, Gastronomie, Cafés und Bars gefordert, sich den Wünschen der Jugend anzunehmen“, meint Müller. Allerdings müssten auch neue Wege ausprobiert werden, um den Jugendlichen mehr Mitwirkung bei der Gestaltung der Innenstadt zu ermöglichen.
Letztendlich sind auch Handel, Gastronomie, Cafés und Bars gefordert, sich den Wünschen der Jugend anzunehmen.
– Eugen Müller

Websites sind unverzichtbar

Auf eine Aufforderung zur Mitwirkung haben zwei Studierende der Zeppelin Universität Friedrichshafen gar nicht erst gewartet. Sie haben das Problem erkannt und angepackt. Zoe Kaiser (23 Jahre) und Tom Reding (25 Jahre) sind keine großen Fans des Online-Einkaufs. „Ich gehe mehrmals die Woche in die Stadt, um auf den Markt oder mit Freunden ins Café zu gehen“, erzählt Zoe Kaiser. Sie kauft im Internet nur Sachen, die sie nicht in den Geschäften vor Ort erhält. Tom Reding hält das genauso. Dem Internetauftritt der Geschäfte in Friedrichshafen messen beide eine hohe Bedeutung bei: „Ich schaue oft vor dem Einkauf auf die Website eines Ladens, um mich über das Sortiment zu informieren, insbesondere beim Erstkontakt“, so Reding. „Der Internetauftritt ist essenziell für Restaurants und Cafés“, fügt Kaiser hinzu. „Wenn ich ein Lokal noch nicht kenne, dann informiere ich mich gerne vorab über dessen Lage in der Stadt und dessen Speisekarte.“ Beide teilen die Meinung, dass Handel und Gastronomie bei Google und Instagram sichtbarer werden müssen, das sei auch dem Tourismus zuträglich.
Ich schaue oft vor dem Einkauf auf die Website eines Ladens, um mich über das Sortiment zu informieren, insbesondere beim Erstkontakt.
– Tom Reding (25 Jahre)

Leerstände vermeiden durch Umnutzung und Pop-up-Läden

Die Angebote in Friedrichshafen bewerten beide positiv. Sie schätzen die hohe Aufenthaltsqualität mit dem See im Hintergrund, wünschen sich aber in kulinarischer Hinsicht mehr Wagnis, etwa mit modernen Restaurants oder Food-Trucks. „Ich schätze an Friedrichshafen den regionalen Bezug, vor allem mit den drei Märkten pro Woche, aber man könnte noch mehr für die Attraktivität der Stadt tun“, ist Kaiser überzeugt. „Es sollte mehr Neues initiiert werden, junge Leute sollten sich ohne großes Risiko ausprobieren dürfen, das würde die Leerstände in der Stadt reduzieren oder gar vermeiden.“ Tom Reding berichtet von einem Projekt der Umnutzung: „Wir haben zuerst Förderpartner und Sponsoren gesucht, dann haben wir ein Ladengeschäft angemietet, renoviert und daraus eine Art öffentliches Wohnzimmer gemacht. Hier finden Lesungen, Ausstellungen, Kunstveranstaltungen, Künstlergespräche oder einfach nur zwanglose Treffen statt.“ Auch Pop-up-Läden halten beide für ein probates Mittel, um die Stadt zu beleben und Jungunternehmern die Möglichkeit zu geben, mit geringem Risiko und auf Zeit etwas auszuprobieren. „Auf diese Weise kommt Vielfalt in die Stadt, das zieht Jugendliche an“, begeistert sich Reding.

Charakter durch aufmerksamkeitsstarke Verkaufsförderungsaktionen

Die Gedanken der beiden Studierenden gehen noch einen Schritt weiter. „Der Vorteil des stationären Handels sind die Menschen, die man dort antrifft“, führt Reding aus. „Sie geben dem Geschäft Charakter. Es gilt, diesen Charakter mehr nach außen zu tragen, mehr Aufmerksamkeit zu erregen.“ Er berichtet von Aktionen, die bewusst auf Unlogik setzen und genau deshalb in Erinnerung bleiben. So machte jüngst ein Blumengeschäft mit einer Weinprobe auf sich aufmerksam, ein anderes Geschäft platzierte eine Feuerschale vor der Tür und lud zu einer Teeverkostung ein. „Solche Aktionen bringen Leben in die Stadt“, sagt Reding. „Das Problem ist nur, wie erfährt man davon? Deshalb entwickeln wir gerade eine Online-Plattform, auf der solche Aktionen angekündigt werden können. Sie trägt den Namen OFF-SQUARE, was so viel bedeutet wie abseits vom großen Platz. Es geht nicht nur um die großen Veranstaltungen, sondern auch um kleine verkaufsfördernde Aktionen und private Events. Ihnen wollen wir auf diese Weise mehr Reichweite und Sichtbarkeit geben und damit auch junge Menschen motivieren, in die Stadt zu gehen.“ Keine Frage, die Jugend verfügt über ein Füllhorn an guten Ideen und klaren Vorstellungen, wie man Innenstädte beleben kann. Es gilt nur, sie zu Wort kommen zu lassen.

Dipl.-Wirt.-Ing. Birgit Mann, Wirtschaftsingenieur Kommunikationstechnik und Inhaberin der Team-Entlastung PR in Blaubeuren