Fachartikel

Bioökonomie als Chance

Umweltschutz und wirtschaftliche Interessen schließen sich oft gegenseitig aus: Diese Denkweise war vor allem in der Vergangenheit weit verbreitet. Dass es auch anders geht, zeigt die Bioökonomie, die zunehmend Lösungen dafür anbietet, beide Seiten in Einklang zu bringen. Sie sind auch im Zusammenhang mit Biosphärengebieten von großer Bedeutung.
Bei der Umsetzung von Maßnahmen in Landschaftsschutz und -pflege fallen schon heute große Mengen an Biomasse an. Auch auf trockengelegten Moorflächen, die bisher landwirtschaftlich genutzt und im Zuge des Klimaschutzes regeneriert und wiedervernässt werden sollen, kann zukünftig Biomasse anfallen. Denn auch diese wiedervernässten Flächen könnten bewirtschaftet werden, zum Beispiel durch den Anbau sogenannter Paludikulturen wie etwa Rohrkolben. Das Pflanzenmaterial kann geerntet und in einem speziellen Fertigungsverfahren anschließend beispielsweise zu Platten verarbeitet werden.

Rohrkolben und Weiden als schnell nachwachsende Rohsto­ffe

Aufgrund seiner besonderen Pflanzenstruktur ist der Rohrkolben bestens geeignet für die Herstellung von innovativen Baustoffen: Diese sind nicht nur unter ökologischen Gesichtspunkten wertvoll, indem sie bei der Herstellung Kohlendioxid binden, sondern zeichnen sich auch durch Materialeigenschaften aus, die sie gegenüber anderen Baustoffen hervorheben. So weisen sie neben der Tragfähigkeit und Stabilität auch hervorragende dämmende sowie brand- und schallschützende Eigenschaften auf. Das Material zeigt sich zudem resistent gegenüber Schimmelpilzbefall, und es kann problemlos recycelt werden. Aufgrund des schnellen Wachstums sowie des Nährstoffbedarfs kann der Anbau von Rohrkolben auch dazu beitragen, Nährstoffe effektiv aus den Gewässern zu entfernen und langfristig zu binden. Umweltschutz kann so auf besonders intelligente Weise mit einer wirtschaftlichen Nutzung verbunden werden.
Die Nutzung von Weiden ist ein weiteres Beispiel dafür, wie nachhaltige Konzepte im Bereich des Umwelt- und Landschaftschutzes mit unternehmerischen Interessen kombiniert werden können. Weiden zeichnen sich durch ihr schnelles Wachstum aus, etwa auf Überflutungsflächen, und können ebenfalls als nachwachsender, regionaler und schnell wachsender Rohstoff eingesetzt werden. Weidenmaterial findet Anwendung als innovativer und nachhaltiger Baustoff, der herkömmliches Holz als Baumaterial ersetzen kann. Neueste zukunftsweisende Entwicklungen des Karlsruher Instituts für Technologie waren jüngst auf der Bundesgartenschau in Mannheim zu sehen.

Neue industrielle Prozesse mit Biomasse

Biomassen, die infolge von Landschaftspflege und -schutzmaßnahmen anfallen, wurden auch schon in der Vergangenheit als Substrat für Biogas empfohlen und eingesetzt oder für die Kompostierung verwendet. Die industrielle Bioökonomie bietet hier nun gänzlich neue Möglichkeiten für die Nutzung von solchen Rohstoffen durch den Aufbau von neuartigen Wertschöpfungsketten, die wirtschaftlichen Ertrag generieren und gleichzeitig ihren Beitrag zum Umweltschutz leisten. Indem eine zusätzliche Wertschöpfung oder zumindest eine Kostenersparnis im Vergleich zur schlichten Entsorgung des Materials entsteht, kann der ökologische Nutzen der Schutzmaßnahmen mit ökonomischen Vorteilen verbunden werden. Im Kern geht es bei der industriellen Bioökonomie darum, fossilbasierte Rohstoffe in industriellen Prozessen durch biobasierte oder recycelte Rohstoffe zu ersetzen. So werden industrielle Prozesse möglich auf Basis von Biomassen, die bisher meist unbeachtet waren und noch nicht im Fokus einer wirtschaftlichen Nutzung standen.

Potenzial für Innovationen im Maschinen- und Anlagenbau

Nicht zuletzt bieten diese bioökonomischen Ansätze zur Nutzung von neuartiger Biomasse aus der Landschaftspflege auch großes Potenzial für Innovationen im Maschinen- und Anlagenbau, speziell auch im Landmaschinenbau. Denn die Inwertsetzung bisher nicht genutzter oder noch nicht im Fokus stehender Biomasse durch neue Wertschöpfungsketten erfordert neue und innovative Verfahren und Prozesse, für die eine neue Anlagentechnik und neue Maschinen benötigt werden – etwa im Bereich der Erntetechnik oder der Weiterverarbeitung und Herstellung innovativer Produkte. Mit der industriellen Bioökonomie werden auf diese Weise ökonomische, ökologische und soziale Aspekte in Einklang gebracht. Die industrielle Bioökonomie trägt durch innovative Verfahren und Produkte schließlich langfristig zu einer Stärkung der Unternehmen bei, indem sie neue Möglichkeiten für Dienstleistungen, Technologien und Produkte bietet, die im Einklang mit Klima- und Umweltschutz stehen.
Dr. Brigitte Kempter-Regel und Prof. Dr. Ralf Kindervater, BIOPRO Baden-Württemberg GmbH, Stuttgart Bild: WebPAINTER-Std, stock.adobe.com