Bürokratie

Bürokratieabbau stärkt den Wirtschaftsstandort Deutschland

Ein Wirtschaftsstandort lässt sich anhand vieler Faktoren beschreiben. Neben der Energieversorgung gewinnt der Faktor „Bürokratie“ eine immer höhere Relevanz.
Die aktuellen Krisen zeigen, wie stark bürokratische Verfahren die Anpassungsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutsch land beeinflussen, sei es bei der Ausgestaltung von Hilfsmaßnahmen, bei der Brennstoffumstellung, beim Bau von Flüssiggasterminals (LNG-Terminals) oder beim Ausbau von Photovoltaikanlagen. „Es gibt keinen besseren Zeitpunkt, um dieses Thema anzupacken“, kommentierte Peter Adrian, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer, die Veröffentlichung eines DIHK-Papiers zum Thema Bürokratieabbau. Der Vorteil eines wirksamen Bürokratieabbaus sei schließlich, dass dadurch Verwaltung und Wirtschaft ohne finanziellen Aufwand entlastet würden. Der Bürokratieabbau komme im Grunde einem kostenfreien Konjunkturpaket nahe.

Empirie zeigt: Bürokratische Belastung der Wirtschaft steigt

Das Institut für Demoskopie Allensbach hatte im Jahr 2022 im Auftrag des Gemeinschaftsausschusses der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft die Unternehmensumfrage „Moderner Staat? Die Öffentliche Verwaltung im Urteil der Wirtschaft“ durchgeführt. Nur jedes zweite befragte Unternehmen ist demnach mit der öffentlichen Verwaltung zufrieden. Kritik wird vor allem bezüglich „der Geschwindigkeit der Verwaltungsprozesse“ und „der Flexibilität“ der Behörden geäußert. Diese Defizite wurden im vorangegangenen Jahr besonders im Rahmen von Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich. Ein Beispiel war die Brennstoffumstellung. Im Durchschnitt bescheinigten die Behörden rund elf Monate nach dem ersten Kontakt die Vollständigkeit der Antragsunterlagen. Das Problem: Da die offizielle Genehmigungsfrist erst nach der Vollständigkeitserklärung beginnt, dauerte der gesamte Prozess in der Regel sehr lange. Gleichzeitig ist auch der Aufwand hoch, der durch den Austausch mit der öffentlichen Verwaltung entsteht.
Ein typisches Unternehmen im Gastgewerbe muss 14 Stunden pro Woche allein für die Erfüllung bürokratischer Tätigkeiten aufwenden.
Große Hoffnung auf einen Abbau von Bürokratie wurde im Jahr 2015 geweckt, als der Bundestag die als Bürokratiebremse konzipierte „One-in-one-out“-Regelung beschloss. Seitdem ist allerdings der bürokratische Aufwand für knapp zwei Drittel aller Unternehmen gestiegen. Eine Tendenz zu steigendem Erfüllungsaufwand und höheren Bürokratiekosten bestätigt auch der Nationale Normenkontrollrat (NKR) in seinem jüngsten Jahresbericht. Überproportional belastet sind die kleinen, mittelständisch geprägten Betriebe, weil dort die Bürokratie häufig durch die Inhaberinnen und Inhaber selbst erledigt werden muss. Das bindet Ressourcen, die für die eigentliche Geschäftstätigkeit fehlen. Für das Gastgewerbe etwa hat die DIHK in einer Studie herausgearbeitet, dass ein typisches Unternehmen der Branche 14 Stunden pro Woche allein für die Erfüllung bürokratischer Tätigkeiten aufwenden muss. Dies entspricht rund 2,5 Prozent des Umsatzes.

Trotz Krise: Perspektivisch werden Belastungen weiter steigen

Erhebliche Anforderungen ergeben sich für Unternehmen insbesondere durch neue Berichtspflichten zu Nachhaltigkeitsaspekten. Beispiele sind das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, die EU-Taxonomie und die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU. Weitere Offenlegungspflichten im Steuerrecht sieht der Gesetzesentwurf für ein Public Country-by-Country-Reporting vor. Daher war das von der Bundesregierung im Herbst 2022 angekündigte Belastungsmoratorium ein richtiges Signal. Mit dem Moratorium sollen „unverhältnismäßige zusätzliche Bürokratielasten“ während der Krise vermieden werden. Das Problem: Niemand wird für seinen Gesetzentwurf akzeptieren, dass die damit verbundenen  Belastungen unverhältnismäßig seien. Doch die betriebliche Praxis sieht das oft anders. Es ist deshalb eine wichtige Aufgabe, die durch die genannten Vorhaben entstehenden Belastungen überzeugend zu dokumentieren und den unterschiedlichen Gesetzgebern zu vermitteln.
In ihrem Koalitionsvertrag hatte die Bundesregierung vielversprechende Vorhaben angekündigt, zum Beispiel ein „Viertes Bürokratieentlastungsgesetz“. Das Bundesministerium der Justiz legt zu Beginn des Jahres 2023 mit einer Verbändeabfrage den Grundstein für ein solches Gesetz. Die Ergebnisse der Abfrage sollten zeitnah in einen entsprechenden Gesetzesentwurf münden.

AdobeStock_48456901_stock.adobe.com, rdnzl
© stock.adobe.com, rdnzl

Entschlossen handeln: Bürokratieabbau als Konjunkturpaket verstehen

Im Jahr 2022 hatte sich gezeigt, dass bürokratische Genehmigungsverfahren den Ausbau von erneuerbaren Energien erheblich behindern. Hier könnten wesentlich mehr öffentliche und private Investitionen stattfinden, die schon kurz- und mittelfristig deutliche makroökonomische Impulse setzen dürften. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass genügend Arbeits- und Fachkräfte zur Verfügung stehen, die solche Investitionen durchführen können. Realität ist aber, dass immer mehr Branchen die Folgen des Fachkräftemangels spüren. Daher geht die derzeit vorgenommene Novelle des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes in die richtige Richtung. Positiv daran ist etwa zu werten, dass der Spracherwerb bereits im Ausland gefördert werden soll, um die Einstellung und Integration zu erleichtern. Wichtig wäre darüber hinaus, die Zuwanderung von Azubis zu stärken. Denkbar ist zum Beispiel, die Zuwanderung zur Ausbildungsvorbereitung vor Beginn der Ausbildung zu fördern. Entscheidend für den Erfolg werden gleichwohl schnellere und effizientere Prozesse in den Botschaften und Ausländerbehörden sein.
Dass die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren eine entscheidende Rolle für das Investitionsvolumen einer Volkswirtschaft spielt, zeigen Fälle wie der der Rahmedetal-Brücke in Nordrhein-Westfalen leider deutlich. Während in Genua die 2018 eingestürzte Morandi-Brücke innerhalb von zwei Jahren wiederaufgebaut wurde, wartet man im Sauerland nach mehr als einem Jahr noch immer darauf, dass die marode Brücke gesprengt wird. Doch das ist nur ein Beispiel von vielen. Änderungsgenehmigungen von Industrieanlagen brauchen oftmals mehr als ein Jahr, beim Bau von Windenergieanlagen muss nicht selten über drei Jahre auf die Genehmigung gewartet werden, bei Autobahnen oder Schienenwegen dauert es mitunter Jahrzehnte.
Die Belastung der Unternehmen durch Bürokratie ist hoch und steigt weiter, wenn nicht konsequent gegengesteuert wird.
Aber es gibt auch Lichtblicke: Die LNG-Terminals in Wilhelmshaven und in Lubmin wurden nach zügigen Planungs- und Genehmigungsprozessen in nur zehn Monaten gebaut. Die jüngsten Erleichterungen beim Erneuerbare-Energie-Gesetz oder beim LNG-Beschleunigungsgesetz sollten konsequent auf andere Gesetze ausgeweitet werden, etwa auf das Bundesfernstraßengesetz, das Bundesimmissionsschutzgesetz oder das Baugesetzbuch. Dann könnten Autobahnbrücken, wichtige Industrieanlagen sowie Wohnungs- und Gewerbebauten deutlich schneller gebaut werden. Ähnliches gilt für die Planung und Genehmigung von Großraum- und Schwertransporten. Bearbeitungszeiten von bis zu zehn Wochen für die Genehmigung und große Umwege für den Transport der
Rotorblätter von Windkraftanlagen können durch ein neues digitales Instrument, das eine einfache Antragstellung erlaubt und aktuelle Baustellen sowie statische Angaben zu Straßen und Brücken berücksichtigt, reduziert werden. Aus einer Umsetzung der genannten Maßnahmen können erhebliche konjunkturelle Impulse folgen.

Fazit

Die Belastung der Unternehmen durch Bürokratie ist hoch und steigt weiter, wenn nicht konsequent gegengesteuert wird. Anknüpfungspunkte und Möglichkeiten liegen bereits vor. Ein Abbau von Bürokratie beschleunigt nicht nur den Übergang in eine klimaneutrale Wirtschaft, sondern fördert auch die Fachkräftegewinnung und sorgt für einen erheblichen Schub bei den Investitionen. Das treibt nicht nur die Wirtschaftskraft in Deutschland an, sondern sichert auch Arbeitsplätze und Beschäftigungsverhältnisse beziehungsweise sorgt für neue Arbeitsplätze und zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten.

Benjamin Baykal