In Baden-Württemberg sind circa 470.000 Menschen in der Automobilwirtschaft tätig, rund 150.000 davon in der Zulieferindustrie. Die Partnerschaften zwischen Automobilherstellern und ihren Zulieferern sind über Jahrzehnte gewachsen und waren geprägt von verlässlichen Abnahmemengen und eingespielten Serienintervallen. Die Hinwendung zur E-Mobilität macht Schluss mit Planungssicherheit. Stattdessen breitet sich Unsicherheit aus. Welche Serien werden sich durchsetzen? Wie verhalten sich Käufer? Welche Technik wird sich bewähren? Wie entwickelt sich der Wettbewerb durch neue Anbieter? Viele Fragen, denen sich Hersteller und Zulieferer gleichermaßen stellen müssen. Nur eines scheint sicher: OEMs – also Original Equipment Manufacturer bzw. Erstausrüster oder Originalgerätehersteller – und ihre Partner werden künftig flexibler agieren müssen, um sich den wandelnden Märkten anzupassen. Neben Risikobereitschaft und einem erhöhten Kapitalbedarf für Investitionen erfordert es Offenheit für neue Geschäftsbereiche, Innovationsfreude und Rückbesinnung auf die elementaren Stärken.
Mit flexiblen Fertigungskonzepten der Planungsunsicherheit begegnen
Mit diesen Anforderungen sieht sich die Stöferle GmbH in Laupheim konfrontiert. Das Unternehmen produziert für die Automobilindustrie Aluminium-Druckgussteile für Motoren und Getriebe. Die anvisierte E-Mobilität erfordert eine Anpassung des Unternehmens. „Wir müssen die Produktion komplett umstellen“, äußert sich Erich Stöferle, der gemeinsam mit Tochter Katja die Geschäftsführung innehat. „Zurzeit stellen wir auf unseren Anlagen bis zu 1 Million Teile für dasselbe Produkt her. Die Laufzeit beträgt circa sieben Jahre. Die Anlagen sind speziell für ein Produkt ausgelegt. Bis 2035 sind wir gut ausgelastet und in der Pflicht zu liefern. Gleichzeitig sollten wir aber neue Produktionslinien für die E-Mobilität aufbauen, was uns vor ein Flächenproblem stellt.“ Katja Stöferle fügt hinzu: „Wir müssen die Anlagen so lange betreiben, bis der Kunde keine Teile mehr benötigt. Doch genau das ist das Problem. Es ist aktuell noch nicht klar, wie es weitergeht, welche Modelle und Serien noch weiterlaufen werden, vor allem mit Blick auf den Export. Das Verbrenner-Aus gilt ja nur für Europa. In anderen Ländern der Welt werden noch Komponenten für Verbrenner gebraucht. Da stellt sich die Frage, ob diese dann nicht in jenen Ländern produziert werden. Erste Tendenzen zur Abwanderung von Produktionen ins Ausland sind bereits sichtbar.“ Beide Geschäftsführer hadern mit der Unsicherheit, die auf den Strukturwandel, auf die Mobilität und die Politik zurückzuführen ist. „Die Politik beschert uns immer mehr Bürokratie, Auflagen sowie höhere Energie- und Transportkosten. Das müssen wir als Unternehmer stemmen, denn es ist schwierig, die Preise anzupassen“, schildert Katja Stöferle. Erich Stöferle verweist auf die fehlende Planungssicherheit im Hinblick auf die erforderlichen Investitionen zur Anpassung der Produktion: „Bislang hatten wir eine gute Planungssicherheit bezüglich der Abnahmemengen. Das ändert sich, weil schwer abzusehen ist, wie sich Modelle und Märkte entwickeln.“ Man könne durchaus versuchen, Platz für neue Produktionslinien zu schaffen, aber dies sei mit hohen Investitionen verbunden und angesichts aktuell kurzlebiger Modelle und Serien im Bereich E-Mobilität ein hohes Risiko. Trotzdem geht man bei Stöferle die Zukunft mit innovativen Ideen an: „Im Bereich Zerspanung haben wir flexible Konzepte entwickelt. Es wird nur noch in Maschinen mit fünfachsiger Bearbeitung investiert. Dadurch sind alle Raumwinkel darstellbar“, beschreibt Erich Stöferle das Vorgehen. „Ergänzt wird dieses Konzept durch flexible Wasch-, Montage- und Prüfzellen sowie den Einsatz von mehr Robotern. Das ermöglicht uns flexiblere Fertigungskonzepte und schnellere Produktwechsel. Auf diese Weise können wir auch kleinere Mengen wirtschaftlich produzieren und uns an die veränderten Bedingungen anpassen.“
Spezialisierung und modulare Produktion
Anpassung ist auch bei Handtmann in Biberach das Gebot der Stunde. Mit den Geschäftsbereichen Leichtmetallguss, Füll- und Portioniersysteme, Anlagentechnik sowie Kunststoff- und Systemtechnik ist das Unternehmen breit aufgestellt. In den Sparten Leichtmetallguss und Systemtechnik werden zwei Drittel des Umsatzes der Firmengruppe mit der Automobilindustrie erwirtschaftet. „Die E-Mobilität stellt für uns keine Riesenbedrohung dar“, sagt Valentin Ulrich, der gemeinsam mit seinem Cousin die Geschäfte der Holding führt. „Im Bereich Leichtmetallguss ändert sich für uns wenig. Die Maschinen sind universell einsetzbar, das spezielle Know-how für neue Teile müssen wir jedoch erst aufbauen. Für uns stellt sich zurzeit ein ganz anderes Problem: Die Automobilindustrie schwächelt weltweit. Dadurch fällt es uns schwer, unsere Anlagen auszulasten. Die Erträge benötigen wir aber, um die hohen auftragsspezifischen Investitionen im Bereich der Gussbearbeitung und Systemtechnik zu finanzieren. In diesen Segmenten bedarf es neuer Konzepte zur Anpassung an die E-Mobilität, insbesondere hinsichtlich unzuverlässiger Abrufe in der Übergangszeit.“ Der Unsicherheit bezüglich der Abnahmemengen begegne das Unternehmen mit einem modularen Aufbau seiner Fertigungsanlagen. Anstatt einer großen verketteten Anlage bevorzuge man jetzt mehrere kleinere Fertigungszellen, mit denen flexibler auf Änderungen reagiert werden könne.
Das war für uns ein großer Schritt in eine neue Richtung, der hohe Investitionen und Risikobereitschaft erforderte.
– Valentin Ulrich
Ulrich sieht die Zukunft des PKWs eindeutig in der E-Mobilität, würde sich aber von der Politik mehr Technologieoffenheit wünschen. Im Segment Systemtechnik habe man die Weichen schon früh gestellt, um am Mobilitätswandel teilzuhaben. „Wir haben uns unter anderem auf Batterietechnik und Thermomanagement spezialisiert, denn auch Batterien müssen gekühlt werden“, erklärt Ulrich. Sich neu als Lieferant für diese Technologien zu platzieren, stellte auch für Handtmann eine Herausforderung dar. „Wir haben uns in der Vergangenheit einen guten Namen als solide finanzierter strategischer Partner der Automobilindustrie gemacht und mit diversen Entwicklungsaufträgen eine gute Reputation erzielt – das hat uns die Türen geöffnet“, berichtet Ulrich. Die E-Mobilität versteht Valentin Ulrich als Chance für Innovationen. So baue man jetzt auch komplette Batteriesysteme für E-Autos. „Das war für uns ein großer Schritt in eine neue Richtung, der hohe Investitionen und Risikobereitschaft erforderte. Aber wir haben engagierte Mitarbeitende, die ganz heiß darauf sind, ihre Ingenieurskunst einzusetzen und neue Produkte zu entwickeln. Damit sichern wir unseren Anteil am Mobilitätswandel.“
Mit den Anforderungen wachsen und Chancen nutzen
Die E-Mobilität wird auch von der risomat GmbH & Co. KG in Baienfurt mitgestaltet. Das Unternehmen entwickelt und baut seit über 40 Jahren Anlagen zur Herstellung von Elektromotoren.
Viele Jahre wurden auf den Anlagen von risomat Industriemotoren gefertigt, etwa für Förderbänder, Lüftungen und Pumpen oder auch für Lenkhilfeantriebe und Lichtmaschinen in PKWs. Lediglich 30 Prozent Anteil hatte die Automobilindustrie am Umsatz. Doch das sollte sich ändern: Geschäftsführer Hubert Halder hatte schon 2006 darüber nachgedacht, Anlagen zur Herstellung von Elektromotoren in der Automobilindustrie zu entwickeln, denn diese erfordern hocheffiziente E-Motoren, höhere Produktionsstückzahlen und einen hohen Automatisierungsgrad. 2009 war es so weit: Die erste Fertigungsanlage für E-Motoren konnte bei einem Automobilhersteller installiert werden. „Für uns war dies ein Meilenstein“, sagt Christian Halder, Sohn von Hubert Halder und stellvertretender Geschäftsführer. „Es war viel Entwicklungsarbeit nötig und Mut zum Risiko, denn der E-Motor für Autos war zu jener Zeit nicht gerade sexy.“ Ab 2009 habe das Geschäft mit den Anlagen zur Produktion von E-Motoren Fahrt aufgenommen. „Wir haben einen regelrechten Boom erlebt, und die Entscheidung für das Verbrenner-Aus war das i-Tüpfelchen“, lacht Halder. Doch trotz erfreulicher Auftragslage und Verdoppelung der Mitarbeiterzahl sah sich das Unternehmen mit neuen Herausforderungen konfrontiert: „Wer erstmals an die Automobilindustrie liefert, muss flexibel und anpassungsfähig sein“, berichtet Halder. „Es gilt Richtlinien einzuhalten, Zertifizierungen durchzuführen, den Datenschutz im Blick zu behalten, Dokumentationen über mehrere Hundert Seiten zu erstellen und die Mitarbeitenden bezüglich der neuen Anforderungen zu schulen.“
Insofern sehen wir die E-Mobilität als große Chance für uns.
– Christian Halder
Als herausfordernd habe man auch die unklar definierten Kundenvorstellungen empfunden. Manche Projekte habe man erst während des Aufbaus entwickelt. „Diese Komplexität der Aufträge, das einhergehende Risiko im Hinblick auf Kosten, Zeit-, Personal- und Materialeinsatz haben uns gefordert, aber auch wachsen lassen“, so Halder. Trotz glänzender Zukunftsaussichten ruht sich das Unternehmen nicht auf seinem Erfolg aus, sondern nutzt die Innovationskraft für neue Entwicklungen in Sachen E-Mobilität. „Im Moment arbeiten wir mit verschiedenen Universitäten an Forschungsprojekten zum induktiven Laden von Batterien. Außerdem haben wir die Brennstoffzellen im Blick, deren Komponenten einen E-Motor brauchen. Insofern sehen wir die E-Mobilität als große Chance für uns.“
Rückbesinnung auf Know-how und eigene Stärken
Diese Sichtweise teilt Alexander Schmeh, Technikvorstand der EBZ Gruppe Ravensburg. Das Unternehmen ist spezialisiert auf Engineering, Werkzeug- und Anlagenbau. Mit 95 Prozent des Umsatzes mit der Automobilindustrie ist die EBZ Gruppe ein klassischer Zulieferer. Frühzeitig hat man sich mit der E-Mobilität beschäftigt. „Wir haben bereits 2018 die Entwicklung von Anlagen zur Fertigung von Batteriesystemen als neues strategisches Geschäftsfeld definiert. Die Batterie als Hauptkomponente des Antriebsstrangs in der Elektromobilität schien ein zukunftsträchtiges Thema zu werden. Das beschlossene Verbrenner-Aus hat uns darin bestätigt“, so Schmeh. Genutzt habe man das Know-how der erfahrenen Techniker und Technikerinnen der EBZ Gruppe und die Stärke des ursprünglich als Konstruktionsbüro „Engineering Bausch & Ziege“ gegründeten Unternehmens. „Wir haben uns auf unsere Wurzeln und unser Know-how konzentriert, um das neue Geschäftsfeld aufzubauen“, erzählt Schmeh. Dennoch „schlauche“ die Verunsicherung aufseiten der OEMs. Gestörte Lieferketten, Krieg, Inflation – all das habe dazu geführt, dass weniger neue Modelle entwickelt und weniger Serien aufgelegt wurden. Entsprechend zurückhaltend haben OEMs in Anlagen und Werkzeugbauteile investiert. Parallel dazu verändere sich die Wettbewerbssituation: Chinesische Hersteller drängten – von der chinesischen Regierung strategisch gefördert – auf den Automobilmarkt und verursachten einen hohen Konkurrenzdruck, besonders im Werkzeugbau.
Die aktuelle Situation hat uns ermutigt, unser Know-how in einem weiteren Bereich, nämlich der Wasserstoffherstellung, zu nutzen.
– Alexander Schmeh
Im Anlagenbau habe man aber weiterhin den Vorteil, vor Ort und als zuverlässiger Partner etabliert zu sein. „Unsere Kunden sind natürlich interessiert daran, ihre Investitionen möglichst gering zu halten“, erläutert Schmeh. „Das vergrößert den Preisdruck bei Investitionsgütern. Deshalb konzentrieren wir uns auf die anspruchsvollsten Segmente. Die aktuelle Situation hat uns ermutigt, unser Know-how in einem weiteren Bereich, nämlich der Wasserstoffherstellung, zu nutzen. Deshalb haben wir bereits den Prototypen eines 500-Megawatt-Elektrolyseblocks gebaut, der ab 2025 Marktreife erreicht haben wird. Unsere Kunden werden dann die Wasserstofffabriken in sonnigen Regionen auf der Südhalbkugel sein. Der Herstellung von grünem Wasserstoff – auch für die Mobilität – messen wir eine hohe Bedeutung bei. Mit dieser Ausrichtung tragen wir zum Technologiewandel bei und entwickeln neue Geschäftsbereiche für uns selbst.“
Dipl.-Wirt.-Ing. Birgit Mann, Wirtschaftsingenieur Kommunikationstechnik und Inhaberin der Team-Entlastung PR Blaubeuren