Leitartikel

Klimaschutz: Reizwort oder Impulsgeber?

Beim Wort „Klimaschutz“ entringt sich so manchem Unternehmer ein gequältes Aufstöhnen. Zu sehr erinnert es an Regularien, Bürokratie, Arbeitsaufwand und Kosten. Dabei herrscht vielerorts Konsens bezüglich der Bemühungen um ökologisches Wirtschaften, der Weg dorthin ist aber oft steinig. Doch hat man den freiwilligen oder „verordneten“ Hindernislauf erst einmal bewältigt, zeichnen sich Chancen ab für neue Dienstleistungsangebote, effizientere Arbeitsprozesse oder Produktinnovationen. Auf diese Weise wird Klimaschutz zum Impulsgeber für wirtschaftliches Wachstum – es bedarf dazu allerdings verlässlicher Rahmenbedingungen.
Klimawandel und Erderwärmung sind deutlich sichtbar – und damit die Auswirkungen von Treibhausgasemissionen. 2015 hat die Weltgemeinschaft mit dem Pariser Klimaabkommen ein Gegensteuern beschlossen; auf EU-Ebene folgte der European Green Deal. Baden-Württemberg hat sich noch ambitioniertere Ziele gesetzt: Bereits bis 2040, also fünf Jahre früher als der Bund und zehn Jahre früher als die EU, soll Klimaneutralität erreicht werden. Die Treibhausgasemissionen sollen bis 2030 gegenüber 1990 um mindestens 65 Prozent reduziert werden.

Klimaschutz braucht praktikable Alternativen und verlässliche Politik

Keine Frage, Zielsetzungen sind wichtig. Doch um die Wirtschaft und die Bürger auf dem Weg zur Zielerreichung mitzunehmen, muss die Politik entsprechende Voraussetzungen schaffen. Genau daran hakt es erheblich, wie Ralf Thiedmann feststellen musste. Er führt in dritter Generation die gleichnamige Spedition in Leutkirch. Das Unternehmen ist spezialisiert auf Logistik und Containertrucking. Rund 100 LKWs pendeln zwischen Kunden und Bahncontainerterminals. Klimaschonendes Wirtschaften steht für das Unternehmen schon seit vielen Jahren auf der Agenda und wurde mit kombinierten Verkehren Straße-Schiene, ElektroPKW sowie modernen emissionsarmen Fahrzeugen realisiert. Nach dem Wunsch der Politik soll nun auf den Einsatz fossiler Energieträger in kürzester Zeit verzichtet werden. Ralf Thiedmann zeigt sich offen für Alternativen, sieht jedoch keine, die sich so schnell einsetzen lassen: „Der Elektro-LKW verbraucht viel Strom und ist für uns noch keine Alternative, da die erforerforderliche Ladeinfrastruktur fehlt. Die Batterien sind außerdem zu schwer und reduzieren die Zuladung im kombinierten Verkehr um circa 3 Tonnen. HVO-Diesel, der aus alten pflanzlichen Ölen und Fetten hergestellt wird, könnte zwar Chancen im gesamten Transportverkehr haben, wird aber kaum in ausreichender Menge für alle Transportarten verfügbar sein.“ Den Wasserstoff-Antrieb sieht Thiedmann als aussichtsreichste Möglichkeit, allerdings sei grüner Wasserstoff auf absehbare Zeit ebenso wenig in großer Menge verfügbar wie die dafür notwendige Infrastruktur. „Es ist alles unausgegoren, und man weiß nicht, auf welches Pferd man setzen soll“, kritisiert Thiedmann die Situation. „Es wird vieles nicht zu Ende gedacht. Zum Beispiel bräuchte man in der Nähe von Containerterminals und auf Parkplätzen entlang der Autobahn riesige Flächen, um die vielen E-LKWs mit Strom zu laden. Das bedeutet eine große Flächenversiegelung, und wer stellt solche Flächen bereit? Laut Politik soll in Zeiten mit wenig Stromverfügbarkeit die Ladegeschwindigkeit von Wallboxen reduziert werden. Welche Spedition kann denn mit schwankenden Ladezeiten disponieren? Und welcher Mitarbeiter verzichtet auf seinen Feierabend, weil das Laden länger dauert?“ Thiedmann richtet seinen Blick auch auf den Einsatz von Lang-LKWs, die er für eine ökologisch sinnsinnvolle Alternative hält: „Mehr Fracht pro LKW erfordert weniger Fahrten, verursacht weniger CO2-Emissionen, vorhandene Infrastruktur kann genutzt werden und es ist sofort realisierbar. Aber nur wenige Straßen werden dafür zugelassen. Das hilft uns nicht, denn wir haben unsere Kunden auch in ländlichen Regionen.“ In der Mauterhöhung sieht er keinen Anreiz zum Umstieg auf CO2-freie Antriebe, denn es sei keine dauerhafte Mautreduzierung für Fahrzeuge mit E-Antrieb oder Wasserstoff zugesichert.
„Die Maut hat somit keinerlei Lenkungsfunktion und ist in meinen Augen eine verdeckte Steuererhöhung für alle“, so Thiedmann. „Es verteuert alle Waren und belastet die gesamte Wirtschaft. Im globalen Vergleich hat Deutschland einen der höchsten ökologischen Standards. Die Investitionen dafür mussten erwirtschaftet werden. Das haben wir mit unserer Marktwirtschaft geschafft. Jetzt will die Politik den Klimaschutz regeln und lähmt die Wirtschaft mit überbordender Bürokratie und ständig wechselnden Vorgaben. Investitionen werden zurückgehalten, weil Verlässlichkeit fehlt, vieles nicht zu Ende gedacht wird und Unternehmen mit unnötigen Kosten belastet werden. Es wäre hilfreicher, wenn man den ökologischen Fortschritt der Wirtschaft überlassen und Technologieoffenheit nicht ausbremsen würde. Dann bliebe der Wirtschaftsstandort Deutschland deutlich attraktiver.“ Trotz aller Unzufriedenheit mit der Politik hat Ralf Thiedmann seine Zuversicht nicht verloren und denkt weiter über die Einsparung von Treibhausgasen nach. Im Blick hat er dabei Bahntransporte. Ein Grundstück mit Bahnanschluss wurde dafür schon erworben. „Wir arbeiten an der Zulassung für Bahntransporte, auch wenn die Politik gerade die Trassenpreisförderung im Schienenverkehr reduziert hat und Transporte so teurer werden. Aber man darf ja vorausschauend denken“, verrät er schmunzelnd.
“Es wäre hilfreicher, wenn man den ökologischen Fortschritt der Wirtschaft überlassen und Technologieoffenheit nicht ausbremsen würde.”
- Ralf Thiedmann

Chaotische Bürokratie bremst Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen

Auch bei der PWM Technology Group in Bodnegg-Rotheidlen hadert man mit der Bürokratie, ausgelöst durch neue Regularien zum Klimaschutz. Das Unternehmen bietet kundenspezifische Lösungen in den Bereichen Zeichnungsteile, Wälzlager und Dichtungen an, in Partnerschaft mit externen Herstellern. Ökologisches Wirtschaften hat für das Unternehmen längst einen hohen Stellenwert: Neben der ökologischen Ausrichtung des Firmensitzes ist man bestrebt, Überseetransporte möglichst klimaneutral zu organisieren. Eine vergleichsweise einfache Aufgabe für Lukas Häfele, der den Einkauf international verantwortet. Doch seit am 1. Oktober 2023 von der EU der CO2- Grenzausgleich eingeführt wurde, ist er mit einer komplexen Herausforderung konfrontiert. Der Carbon Border Adjustment Mechanism, kurz CBAM, soll verhindern, dass Treibhausgasemissionen in Nicht-EU-Länder mit niedrigeren Umweltstandards verlagert werden. Die CO2-Preise für Einfuhren sollen so verteuert werden, dass sie dem CO2-Preis aus EU-Produktion entsprechen. Dazu ist eine quartalsweise Berichterstattung von den Unternehmen gefordert. „Die Einführung dieses Systems hat uns vollkommen überrascht“, berichtet Häfele. „Es gab von der EU im Vorfeld keine klaren Informationen zur Handhabung dieser Berichtspflicht. Nur mithilfe der IHK in Weingarten konnte etwas Licht ins Dunkel gebracht werden. Die Online-Plattform der EU war zu diesem Thema erst im Januar 2024 erreichbar. Es war auch unklar, über welche Behörde die Meldungen laufen sollen. In meinem ganzen Arbeitsleben ist mir noch kein so unausgegorenes Bürokratiemonster begegnet.“
“Es gibt viele Fragen, und darüber hinaus ändern sich die Gesetze ständig. Die Unternehmen fühlen sich überfordert.”
- Vinzent Sorger

Verlust von Wettbewerbsfähigkeit und globalen Lieferanten

Die PWM Technology Group lässt viele Produkte unter anderem in Asien produzieren. Jeder Lieferant muss nun genaue Angaben machen, auf welcher Maschine die Teile hergestellt wurden, wie viel und welche Art von Energie dafür verbraucht wurde und wie viel indirekte Energie etwa für Gebäudeheizung und Licht benötigt wurde. Eine oftmals kaum zu bewältigende Aufgabe für Hersteller in Ländern, die solche Daten gar nicht erfassen. „Unsere Lieferanten bekommen ein Regelwerk der EU mit über 100 Seiten – wer soll das denn alles lesen und beachten?“, stöhnt Lukas Häfele entnervt. „Wir müssen damit rechnen, dass einige Lieferanten diese Bürokratie nicht mitmachen wollen. Das bedeutet für uns eine aufwendige Suche nach anderen Produzenten. Es folgen Bemusterung, der gemeinsame Aufbau der benötigten Qualitäten, neue Audits. Das erfordert viel Zeit, Aufwand, Kosten und birgt die Gefahr von zeitweisem Qualitätsverlust.“ Maßnahmen zum globalen Klimaschutz verschließt sich Häfele nicht, aber er äußert Zweifel an der Wirksamkeit des neuen Systems: „Die EU zeigt sich als Erzieher der Welt. Es ist fraglich, ob das der richtige Weg ist. Die globalen Märkte haben ihre eigene Dynamik. Ich sehe keinen unternehmerischen
Vorteil bei der Realisierung des Systems vielmehr eine Verteuerung der EU-Waren und den Verlust der deutschen Wettbewerbsfähigkeit.“ Der Erwerb von CO2-Zertifikaten sei unter dem Aspekt des Klimaschutzes durchaus zu begrüßen, aber nur, wenn die eingenommenen Gelder auch wirklich dem Klimaschutz zugutekämen und nicht in dunklen Kanälen versickerten. „Es wäre wünschenswert, dass der Klimaschutz mit weniger Regulierung und Strafandrohung vorangetrieben und stattdessen die Freiwilligkeit zielgerichtet gefördert wird. Das wäre für eine gesunde, ökologisch ausgerichtete Wirtschaft hilfreicher“, meint Häfele.

Kaskadeneffekte fördern globalen Klimaschutz

Die EU als Erzieher der Welt? Vinzent Sorger von der 3 Level Consulting GmbH in Ulm teilt Häfeles Einschätzung. Allerdings zieht er das charmantere Wort „Kaskadeneffekt“ vor. „Der Klimaschutz ist keine Frage des Wollens, sondern des Müssens“, betont Sorger. „Die EU erlässt Regularien, die bei den EU-Mitgliedsstaaten ansetzen, sich aber, wie beim Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und der Nachhaltigkeitsberichterstattungsrichtlinie (CSRD) kaskadenartig auf andere Länder auswirken und dabei eine Sogwirkung auf heimische kleine und mittelständische Unternehmen ausüben. Das ist strategisch so gewollt, denn im Hintergrund steht das europäische Ziel, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu sein.“ Vinzent Sorger hat Energie und Ressourcenmanagement studiert und 2022 die Nachhaltigkeitsberatung 3 Level Consulting gegründet. Im Fokus: ökologische, ökonomische und soziale Aspekte zur Realisierung eines nachhaltigen Wirtschaftskonzepts. Die Beratungsleistungen basieren auf den vielfältigen Anforderungen, die rund um den Klimaschutz an Unternehmen und Kommunen gestellt werden. Die Liste der neuen Gesetze ist lang: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, CBAM, CSRD und weitere. Sorger ist es ein Anliegen, den Unternehmen und Kommunen Hilfestellung zu geben und sie durch den Pflichten-Dschungel zu lotsen.

Klimaschutz als Impulsgeber für Innovationen

An Ratsuchenden fehlt es nicht. „Es besteht eine starke Verunsicherung in der Wirtschaft“, erzählt Sorger. „Es gibt viele Fragen, und darüber hinaus ändern sich die Gesetze ständig. Die Unternehmen fühlen sich überfordert. Sie verfügen oft weder über die Kompetenzen noch über ausreichend Personal, um alle Pflichten zu erfüllen.“ Seit März 2024 gibt es einen neuen Entwurf der CSRD, mit dem festgelegt wird, welche Unternehmen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet sind. Die Pflicht wird damit deutschlandweit von bislang rund 1.000 auf 15.000 Unternehmen ausgedehnt. Auf diese Weise geraten auch kleinere Lieferanten in die Pflicht, sich ihren größeren Kunden zu erklären. Damit wird ein Kaskadeneffekt generiert.
„Diese Nachhaltigkeitsberichterstattungspflicht ist ein bürokratisches Monster und wird Millionen kosten“, analysiert Sorger. „Die Unternehmen brauchen Unterstützung bei der Herangehensweise. Wir nehmen dazu zwei Perspektiven ein, bei denen beispielsweise nicht nur die Auswirkung des eigenen Handelns auf das Klima beleuchtet wird, sondern auch, welchen Einfluss der Klimawandel auf das Unternehmen mit seinem Geschäftsmodell hat. Das bezeichnen wir als sogenannte doppelte Wesentlichkeit. Diese konzentriert sich auf 66 Themenfelder zur Nachhaltigkeit. Nicht alle Themen sind für jedes Unternehmen relevant, deshalb können sie teilweise auf eine Handvoll Aspekte reduziert werden. Nur über diese muss dann Bericht erstattet werden.“ Am Ende stehe eine Wesentlichkeitsmatrix mit Auswirkungen des Unternehmens auf Mensch und Umwelt und umgekehrt. Das sei zwar mit reichlich analytischem Aufwand verbunden, könne aber auch Impulsgeber für Kosteneinsparungen, neue Produktionsprozesse oder Produktinnovationen sein. Es gehe nicht ausschließlich um den Klimaschutz, sondern auch darum, Risiken abzufedern, die durch den Klimawandel ausgelöst werden. Parallel dazu werde das Geschäftsmodell überdacht, um rechtzeitig die Weichen zu stellen bei eingeschränkter
oder versiegender Verfügbarkeit von Ressourcen. Vinzent Sorger benennt ein anschauliches Beispiel: „Wenn erkannt wird, dass aufgrund des Klimawandels keine wärmenden Mützen mehr gebraucht werden, sollte ein Unternehmen rechtzeitig mit der Herstellung von Kopfbedeckungen zum Sonnenschutz beginnen. Man muss diese Denkweise lernen und verinnerlichen, dann kann man Vorteile in den ganzen Pflichten sehen und neue Potenziale entdecken. So wird der Klimaschutz zum Impulsgeber für neue Ideen, Produkte und Dienstleistungen.“
Dipl.-Wirt.-Ing. Birgit Mann ist Wirtschaftsingenieurin Kommunikationstechnik und Inhaberin der Team-Entlastung PR Blaubeuren

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