Magazin Wirtschaft

Herbstvortrag Böblingen

Als einen Mann „am Puls des Hexenkessels“ stellte Andreas Hadler, Präsident der IHK-Bezirkskammer Böblingen, Gastredner Peter Adrian vor.
Der Präsident der DIHK sprach beim Herbstvortrag der Bezirkskammer Böblingen zu „Deutschland in unruhigen Zeiten – Perspektiven für den Wirtschaftsstandort“. Dabei nannte er die geplatzte Ampel „einen leblosen Patienten“. Er werde sich aber weiteren Gesprächsterminen nicht verschließen, „weil der Druck so hoch ist“. Allerdings habe er in den vergangenen drei Jahren höchst selten das Gefühl gehabt, dass die Regierung verstehe, was die Wirtschaft umtreibt.

„Auf einer Stufe mit Venezuela“

Aber auch schon in den Jahren davor habe es die Politik versäumt, die strukturellen Herausforderungen anzugehen, die Deutschland im Griff haben: marode Infrastruktur, Fachkräftemangel, hohe Energie- und Rohstoffkosten sowie nicht wettbewerbsfähige Steuern. Die Folge: Im weltweiten Standortranking sei unser Land innerhalb von zehn Jahren von Platz sechs auf Platz 24 abgerutscht. Was das Tempo der Anpassungsfähigkeit betrifft, sei es sogar Platz 64, „auf einer Stufe mit Venezuela“.

Vier dringende Forderungen an die Politik

Vier Forderungen stellte der DIHK-Präsident auf, die möglichst schnell angegangen werden müssten:
  • Erstens müssten die Belastungen im Energiebereich abgebaut werden. Insbesondere das Energieeffizienzgesetz sei zu ideologisch geprägt und hindere die Wirtschaft daran, wettbewerbsfähig zu bleiben.
  • Zweitens müssten alle Berichtspflichten auf den Prüfstand. Dazu müsse die Politik wieder mehr Vertrauen in die Wirtschaft haben. In Sachen Bürokratie äußerte sich Adrian besonders rigoros: „Ich sprechen von Bürokratieverzicht statt von Bürokratieabbau.“ Viele Genehmigungsverfahren seien überflüssig, denn es gebe ja schon einschlägige Gesetzte, zum Beispiel beim gewerblichen Bauen: „Wenn es einen Bebauungsplan gibt und jede Menge gesetzlicher Vorgaben, wofür braucht man noch zusätzlich eine Baugenehmigung?“
  • Drittens müssten viel stärkere Anreize für private Investitionen gesetzt werden und
  • Viertens müsste sich der Staat auch seine Kernthemen, nämlich Bildung, Gesundheit, innere und äußere Sicherheit konzentrieren. Das verlange auch den Bürgern etwas ab, nämlich dass sie sich von ihrer Vollkaskomentalität lösen.

Ausgestreckte Hand statt erhobener Zeigefinger

Aber auch international müsse sich etwas ändern, damit Deutschland nicht den Anschluss verliere: „Wir müssen mit ausgestreckter Hand und auf Augenhöhe auf die anderen Länder zugehen, nicht mit erhobenen Zeigefinger“, mahnte er.
Über all diese Themen müsse wieder gestritten werden können, wofür eine Rückkehr zu einer guten Streitkultur mit gesellschaftlicher Toleranz nötig sei.

Trotz allem gibt es Grund zur Zuversicht

Trotz allem zeigte sich Adrian zuversichtlich, dass Deutschland wieder „in die Spur zurückfinden“ könne. „Die deutsche Wirtschaft ist geprägt von kleinen und mittelständischen Familienunternehmen, und die erweisen sich in Krisen als besonders resilient“, begründete er seinen Optimismus. Auch das duale Ausbildungssystem und der ungebrochene Erfindergeist gehörten zu den Stärken des Landes. „Was wir brauchen ist die passende Regierung. “
Auf die Frage von Hadler in der anschließenden Podiumsdiskussion, warum Deutschland diese Pluspunkte nicht besser pflege, antwortete der DIHK-Präsident unter dem zustimmenden Gelächter des Publikums: „Das ist typisch deutsch: Wenn etwas gut funktioniert wird es in Frage gestellt.“ Vizepräsidentin Christina Almert wollte wissen, wie Deutschland die Digitalisierung beschleunigen könne. Adrian riet auch hier zu weniger Regularien. Man solle das Thema sich erst einmal entwickeln lassen und erst dann das regeln, was nicht von allein funktioniere.

Unternehmen sehen die Politik aktuell als Geschäftsrisiko

Zuvor hatte Hadler die circa 100 Gäste aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung im Böblinger Hotel V8 begrüßt. Er erinnerte daran, dass Ziel der Herbstvorträge seit vielen Jahren sei, Trends in der Wirtschaft zu identifizieren und mit dem jeweiligen Gastredner darüber in den Dialog zu treten. Diesmal seien die Herausforderungen besonders groß, meinte Hadler und zitierte den aktuellen Konjunkturbericht, der einen „unerbittlichen Sog aus Auftragsschwäche und Kostendruck“ zeige: „Es ist keine Konjunkturdelle, sondern eine strukturelle Krise, das muss man sich ehrlich eingestehen.“ Einer der Gründe seien die „frustrierenden politischen Rahmenbedingungen: „noch nie hätten so viele Umfrageteilnehmer die Politik als Geschäftsrisiko genannt“, ergänzte Hadler.
Das war dann auch eines der Hauptthemen beim regen Austausch anschließenden Stehempfang.
Dr. Annja Maga für Magazin Wirtschaft