Magazin Wirtschaft

Halb Kalifornien – halb Stuttgart

Autonome Roboter und Fahrzeuge sind ein ­Zukunftsthema. Doch wie bringt man ihnen bei, ihre Umgebung mindestens so sorgfältig „im Blick“ zu haben wie ein Mensch es kann? Bisher kommen Kameras und Lidarsensoren zum Einsatz. Doch bei schlechtem Licht oder Wetter haben sie ihre Grenzen.
Hier setzt das Startup von Gor ­Hakobyan an. Es heißt Waveye, denn es will Roboter und autonom fahrende Autos dank (elektromagnetischer) Wellen das „Sehen“ beibringen. Radare können nämlich ihr Umfeld robuster wahrnehmen als Kameras - unabhängig von den Sichtverhältnissen.
Und sie durchdringen auch den Plastikdeckel der Box, die das eigentliche Produkt von Waveye ist. Wenn man es nicht wüsste, könnte man sie für eine Vesperbox ­halten. „Drinnen sind nur etwas ­Kupfer und ein paar Chips“, lächelt ­Hakobyan. Deswegen, und das ist der ­zweite Vorteil gegenüber anderen ­Systemen, ist sie ­relativ günstig zu produzieren. Das ­eigentliche Geheimnis sieht man der unscheinbaren Box ­natürlich nicht an. Es ist aber der USP von Waveye: die Algorithmen zur Verarbeitung der Signale, die die hochauflösende Radarbildgebung erzielt.
Hakobyan hat in Offenburg und München Kommunikationstechnik studiert. Seine Masterarbeit schrieb er bei BMW über Fahrerassistenzsysteme. Schon damals gefiel ihm das Thema „super“ – und erst recht, als er dazu bei Bosch promovierte und anschließend als Forschungsingenieur Erfindungen machte, aus den über 100 ­Patentanmeldungen entstanden. Sein ­Spezialwissen blieb in der Community nicht unbemerkt, und so wurde er zu ­einem „invited talk“ an die kalifornische Stanford-Universität eingeladen.

In Kalifornien finden sich die idealen Mit-Gründer

Schon damals interessierte ihn die ­Startup-Welt, doch es fehlte ihm die ­nötige Expertise im Bereich Unternehmensführung und Chip-Design. In Kalifornien lernte er zwei Gleichgesinnte kennen, die genau das mitbrachten, was er suchte: Levon Budagyan, der sein vorheriges Unternehmen gerade für mehr als 100 Millionen verkauft hatte und eine neue Geschäftsidee suchte, sowie Dr. Narek Rostomyan, ein Chip-Design-Spezialist. „Als alle Puzzleteile beisammen waren, ­haben wir Waveye gegründet“, erzählt ­Hakobyan. Zunächst im kalifornischen Palo Alto. Doch schon 2023, also ein Jahr später, entstand die Tochter-GmbH in Stuttgart.
Warum dieser Spagat? „Hier gibt es eine extrem starke Expertise in Sachen Radar“, erklärt Hakobyan. Andererseits sei es aber nicht in Frage gekommen, nur in Stuttgart zu gründen: „Bei der Softwareentwicklung ist Deutschland nicht so stark wie zum Beispiel das Silicon Valley“, erklärt er. Der gebürtige Armenier hat auch eine Ver­mutung, warum das so ist: „In Deutschland geht man erst auf den Markt, wenn alles perfekt ist. Das passt nicht zum iterativen Vorgehen in der Softwareentwicklung“.

Zwei Zeitzonen erlauben das Arbeiten rund um die Uhr

Der kontinentale Spagat hat aber noch einen zweiten Vorteil: „Wenn wir einen Bug entdecken, melden wir den nach Palo Alto, und wenn wir am nächsten Morgen aufwachen, ist er schon gefixt“, lacht er. Auf diese Weise habe man eine Kunden­demo in einer Woche auf die Beine gestellt, „weil wir wortwörtlich rund um die Uhr arbeiten. Ein Großunternehmen hätte dafür sechs Monate gebraucht“, ist er überzeugt.
Aktuell ist das junge Unternehmen mit dem „Produktivieren“ beschäftigt, also ­damit, aus seinen Ideen ein Produkt zu machen. In fünf Jahren, davon ist ­Hakobyan überzeugt, wird Radar - als ­Ergänzung zu Kameras - ein Muss für autonome Fahrzeuge und Roboter sein.
„Wir als Unternehmen wollen dann soweit sein, dass wir sehr leistungsfähige Radare bieten, die ihre Umgebung zuverlässig erkennen.“ Das werde es zum Beispiel ­erlauben, mit Robotern enger, weil ­kollisionsfrei zu­sammenzuarbeiten. Dies alles unter ­Privacy-preserving, denn das System sieht zwar, dass es eine Person „auf dem Radar hat“, aber nicht, wer es ist.
Deutschland muss kompetitiv bleiben, sonst gehen die Leute mit Ehrgeiz weg!
Noch sitzt Waveye im Startup-Hub „Arena 2036“ auf dem Stuttgarter Unigelände. Dort profitiert es von der Nähe zu anderen Startups, vor allem zu den vielen Firmen, die sich mit Robotik befassen. Den Standort weiß Hakobyan zu schätzen, doch er mahnt: „Deutschland muss kompetitiv bleiben, sonst gehen die Leute mit Ehrgeiz weg!“
Der 33-jährige träumt davon, dass sich auch durch seinen Beitrag „the Länd“ zu einem führenden Standort im Bereich Robotik und autonomer Systeme entwickelt.
Dr. Annja Maga für Magazin Wirtschaft, Rubrik Menschen & Ideen