Die besondere Geschichte

Weiterbildung als Computerspiel

Seminarräume, Flipcharts, Powerpoint-Präsentationen: Ein Szenario, dass bei nicht wenigen ein Gähnen auslöst. Noch viel mehr bei der vielbeschworenen Generation Z, wenn man Prof. Markus Hesse folgt. „Die Weiterbildungswelt ist im Umbruch“, sagt der Unternehmensberater aus Remshalden-Geradstetten. „Vor allem jüngere Arbeitnehmer erwarten mittlerweile selbstgesteuertes Lernen in kleinen Portionen mit einem gewissen Grad an Gamification.“ Wer dennoch auf hergebrachte Lernformen setze, riskiere die Aufmerksamkeit und das Interesse der  Mitarbeiter zu verlieren. Das weiß Hesse auch aus seiner Lehrtätigkeit an der privaten Hochschule FOM
Animation eines Mannes in einer Halle
Selbststeuerung? Gamification? Steckt dahinter mehr als neue Buzz-Words? Hesse ist davon überzeugt. „Die Entwicklung ist real“, sagt er. „Menschen sind immer weniger bereit, lange Texte zu lesen oder Vorträge in einer Frontal-Situation anzuhören.“ Bei seinen Schulungen, die sich zu einem großen Teil an Vertriebsmitarbeiter richten, setzt Hesses Rightsourcing GmbH deshalb auf Spielelemente und lässt schon mal Teams im Wettbewerb gegeneinander antreten. „Das Lernen geht leichter, wenn sie ein Quiz daraus machen“, erklärt er, „keiner will schließlich schlechter sein als der andere.“ Und: „Die Leute wollen Zertifikate haben, die sie in LinkedIn posten können.“ Für die selbstbewusste und wettbewerbsorientierte Vertriebs-Klientel gilt das ganz besonders.
Das Lernen geht leichter, wenn Sie ein Quiz daraus machen
Gewonnen hat somit, wem es gelingt, Aus- oder Weiterbildungsinhalte als Computerspiel an den Mann oder die Frau zu bringen – ein Modell, dass vor allem bei jungen Mitarbeitern zündet. Genau das haben Hesse und seine Mitgesellschafterin und Ehefrau Suchi Shinde getan. Ihre neue Plattform für das Onsourcing von Mitarbeitern nutzt ­Virtual Reality (VR) und baut auf dem „Metaverse“ des Facebook-Betreibers Meta auf.

Onboarding mit der VR-Brille

Damit neue Mitarbeiter ein Unternehmen kennenlernen, absolvieren sie bisher in der Regel Online-Schulungsprogramme, ­müssen Lehrfilme anschauen und arbeiten eine Liste mit Kontaktpersonen ab, bei denen sie sich kundig machen sollen. Zumindest bei den mittleren und großen Mittelständlern, die zu Hesses Kundschaft gehören, ist das so. „Anstatt einer Schulung nach Schema F können die Teilnehmer den Prozess in unserem VR-System maßgeschneidert und interaktiv gestalten“, sagt er.
Die Teilnehmer setzen eine VR-Brille auf und wählen einen Avatar. Sie marschieren damit durch eine virtuelle Raumkulisse, die dem jeweiligen Unternehmen angepasst ist, informieren sich an Produkt-Modellen und lassen sich Fragen von KI-Mitarbeitern beantworten. Wenn sie wollen, können sie sich auch mit anderen Teilnehmern treffen und zu Gesprächsrunden verabreden. Der Vorteil des virtuellen Lernsystems, das ein wenig an das vor fast 20 Jahren gehypte „Second Life“ erinnert: Man kann seinem eigenen Tempo folgen, jederzeit nachfragen und Einheiten gegebenenfalls wiederholen.

Beim sechsten Anlauf stand die Plattform

Erfahrung sammelt das Remshaldener Unternehmen derzeit mit der Hesta GmbH & Co. KG, einem Hersteller von Blasformmaschinen aus Schwäbisch Gmünd. Hesse und Shinde sind sich aber sicher, dass das Konzept bald bei vielen anderen Unternehmen auf Interesse stoßen wird. „Seit den Anfängen 2019 haben wir sechs Anläufe gebraucht“, blickt Hesse zurück. Die entscheidenden Entwicklungsschritte seien dabei in die Corona-Zeit gefallen: „Diese Jahre haben wir dazu genutzt, intensiv an unserer Onboarding-Plattform zu arbeiten.“

Interkulturelles Training für Indien

Beide Gründer sind erfahrene ­Ingenieure, die lange in der Industrie gearbeitet ­haben, Hesse zuletzt bei Siemens. Entsprechend kommen viele ihrer Kunden aus dem ­Maschinenbau, der Autoindustrie oder der IT-Branche. Neben den digital gestützten Personalschulungen bieten sie auch die ­Digitalisierung von Sales-Prozessen und interkulturelle Trainings für Indien an. Letzteres fällt in die Verantwortung von Suchi Shinde, die in Mumbai geboren ist und dort Informatik studiert und einen MBA erworben hat.  
Für die Zukunft fehlt es Hesse und Shinde nicht an Ideen. Dazu gehören virtuelle Showrooms, in denen Unternehmen ihre Produkte den Einkäufern ihrer Kunden präsentieren können – gleich ob diese in Stuttgart oder in Mumbai sitzen.