Der 20-Jährige spricht bestens Deutsch, denn mit seinen drei Geschwistern wuchs er in Duisburg auf. 2014 war sein Vater zum Arbeiten nach Deutschland gekommen und hatte Frau und Kinder nachgeholt. Doch schon 2019 ging die Familie zurück in die Türkei. „Mein Bruder und ich haben in Istanbul nach wie vor viel Deutsch gesprochen“, betont Keleş. „Deshalb wollte ich nach dem türkischen Abitur unbedingt etwas mit meinen Sprachkenntnissen anfangen.“ Im Internet schaute er sich nach interessanten Optionen in Deutschland um und stieß auf das gemeinsame Angebot der AHK Türkei und der IHK-Bodensee-Oberschwaben. „Ich erinnere mich sehr gut an seinen Anruf“, sagt Oya Dinçdoğdu, die im Istanbuler Büro das Kooperationsprojekt betreut. „Er ist ein zuverlässiger junger Mann, spricht sehr gut Deutsch und ist äußerst motiviert.“ Sehr schnell war also klar, dass Furkan Keleş die drei wesentlichen Auswahlkriterien für die Vermittlung erfüllt: Deutschkenntnisse auf B1-Niveau, Zuverlässigkeit und die Motivation, in Deutschland eine Ausbildung machen zu wollen.
Auszubildende aus Spanien, Vietnam und der Türkei
Zur gleichen Zeit suchte das Hotel „Traube am See“ händeringend nach einem Auszubildenden im Hotelfach. „Früher konnten wir uns vor Anfragen aus der Region kaum retten“, sagt Sabine Speth, die sich als Assistentin der Geschäftsführung um das Azubi-Marketing kümmert. „Inzwischen ist das leider anders. Wir haben nur noch zwei Azubis, die aus dem Bodenseeraum kommen.“ Deshalb überlegte sie zusammen mit einer Kollegin, wie und wo das Hotel neue Auszubildende anwerben kann. Fündig wurden sie in Spanien und Vietnam: Drei junge Menschen aus diesen Ländern begannen im September 2023 ihre Ausbildung in der „Traube am See“. Seit November 2023 gehört auch der Türke Furkan Keleş zum Team. „Die IHK Bodensee-Oberschwaben hat uns einen Flyer über das Projekt geschickt und wollte wissen, ob wir Interesse haben“, erinnert sich Speth. „Das hatten wir – und ließen uns sofort die Unterlagen eines geeigneten Kandidaten schicken.“ So kam Speth an die Bewerbungsmappe von Keleş, den wiederum die AHK Istanbul als passenden Kandidaten ausgesucht hatte.
Ab jetzt hätte alles ganz schnell gehen können – doch dann kam die Bürokratie ins Spiel. „Im Februar haben wir online unser erstes Gespräch geführt und waren uns sofort einig“, erzählt Sabine Speth. „Ab da dauerte aber leider alles ewig.“ Beide Seiten mussten viel Motivation mitbringen, um dranzubleiben, und brauchten viel Unterstützung von Seiten der IHK und der AHK. „Das Problem war die lange Wartezeit auf mein Visum“, erklärt Furkan Keleş. „Ich brauchte den unterschriebenen Arbeitsvertrag im Original, und schon der war sehr lange unterwegs. Als er ankam, beantragte ich sofort mein Arbeitsvisum, musste aber wieder unglaublich lange warten.“ Wegen des hohen bürokratischen Aufwands beschränken sich die IHK Bodensee-Oberschwaben und die AHK Türkei in ihrem Pilotprojekt aktuell auf die Aufnahme von zwei Azubis pro Jahr. Langfristig könnten es jährlich bis zu zehn werden. Ähnlich handhaben das die Auslandshandelskammern in Ghana, Kolumbien, Marokko und Usbekistan, die den Vermittlungsservice inzwischen ebenfalls anbieten. Die fünf Länder sind keine Mitglieder der Europäischen Union und profitieren von dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das am 1. März 2020 in Kraft trat und die Einwanderung von qualifizierten Fachkräften aus Drittstaaten erleichtern soll. „Das Gesetz und die Kooperationsprojekte sind klasse“, sagt die Hotelmanagerin und macht anderen Ausbildungsbetrieben Mut: „Furkan ist ein echter Gewinn für uns. Sicher sind auch andere junge Leute aus diesen Ländern hochmotiviert, eine Ausbildung in Deutschland zu machen, denn die eröffnet ihnen viel mehr Chancen als in ihrer Heimat.“
Deutsches Ausbildungssystem ist einzigartig
Das sieht auch Hannah Frey so, die sich als Projektleiterin bei der DIHK Service GmbH um die Berufsbildung International kümmert. „In anderen Ländern können sich junge Menschen nach der Schule oft nur zwischen kostenpflichtigen Universitäten und einer ungelernten Anstellung entscheiden. Ausbildungsplätze wie bei uns in Deutschland – mit einheitlichen Standards, Praxisanteil in Ausbildungsunternehmen und Abschluss – gibt es dort nicht.“ Deshalb fördern die Auslandshandelskammern und das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima mit dem Skills Experts Programm weltweit den Auf- und Ausbau dualer Berufsausbildungsstrukturen. „Bislang haben wir das vor allem für deutsche Firmen im Ausland gemacht, die zum Beispiel gut qualifizierte Mechatroniker brauchten“, erklärt Frey. „Inzwischen bilden wir auch gezielt Fachkräfte für Deutschland aus – sofern das Standortland offen ist für eine Abwanderung von Fachkräften.“
Elke Zapf