Pressemitteilung 18. Juni 2024
Claus Paal: Politik der kleinen Schritte ist gescheitert
IHK-Bürokratie-Umfrage unter Unternehmen zeigt deutlich höhere Belastung als vor fünf Jahren – IHK erarbeitet Lösungsvorschläge
Sechs von zehn Unternehmen schätzen, dass sie ihre Wertschöpfung um mindestens zehn Prozent steigern könnten, wenn sie von unnötiger Bürokratie entlastet würden. Das ist das Ergebnis der aktuellen IHK-Bürokratie-Umfrage, an der 587 Unternehmen aller Größen und Branchen teilgenommen haben. Nach Einschätzung der Betriebe hat die Belastung durch Bürokratie in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Auf einer Skala von eins bis zehn bewerten die Unternehmen die Belastung heute mit einer 7,8 - vor fünf Jahren lag dieser Wert noch bei 5,3.
60 Prozent erwartet mindestens zehnprozentige Wertschöpfungssteigerung bei Bürokratieentlastung
Für die IHK ist es jetzt fünf nach zwölf. „Wir haben keine Lust und Zeit mehr, auf durchgreifende Entlastungen zu hoffen, während die Politik mit immer neuen Vorhaben um die Ecke kommt“, ärgert sich IHK-Präsident Claus Paal. Die Politik der Einzelfallerleichterungen und kleinen Schritte sei gescheitert, das habe die Wirtschaft keinen Schritt weitergebracht. Die Umfrage sei ein deutliches Alarmsignal: 36 Prozent der Unternehmen geben an, dass sie sich wegen der gestiegenen bürokratischen Anforderungen heute nicht mehr für eine unternehmerische Tätigkeit in Deutschland entscheiden würden.
Fiktion für die Vollständigkeit
„Wir brauchen eine 180-Grad-Wende und einen spürbaren Befreiungsschlag“, so Paal. Die IHK habe dazu mit Hilfe ihres Bürokratie-Tools Vorschläge erarbeitet, die nicht nur an der Oberfläche kratzten, sondern die Bürokratie strukturell abbauen sollen. Dazu gehört beispielsweise eine Genehmigungsfiktion in Kombination mit einer Vollständigkeitsfiktion. Soll heißen: Die Genehmigung gilt als erteilt, wenn die zuständige Behörde nicht innerhalb von acht Wochen über den Antrag entschieden hat. Sie gilt außerdem als vollständig, wenn die Behörde nicht innerhalb von vier Wochen weitere Dokumente nachfordert.
Zurück zur Vertrauensbasis
Ein weiterer Vorschlag: Jede Nachweis-, Berichts- oder Dokumentationspflicht soll sich durch die Abgabe einer Selbsterklärung erfüllen lassen, Kontrollen erfolgen stichprobenartig. Und: Für jede Statistikpflicht sollen Unternehmen künftig eine sichere, eventuell auch KI-gestützte, Anwendung erhalten, mit denen sie Statistik-Daten automatisiert auswerten und melden können. Außerdem sollen keine Statistik-Daten mehr erhoben werden, die bereits einer Behörde vorliegen.
Mehr als zehn Stunden Aufwand für Bürokratie
Befragt nach den größten Bürokratiebelastungen bewerten in der Umfrage 44 Prozent die Belastung durch ausgeprägte Nachweis-, Berichts- und Dokumentationspflichten als sehr stark, über die Vorgaben durch den Datenschutz sagen das 37 Prozent. Den dafür benötigten zeitlichen Aufwand geben Unternehmen mit bis zu 20 Mitarbeitenden mit 10,7 Stunden in der Woche an.
71 Prozent der Befragten geben an, zur Bewältigung der Bürokratie ganz oder teilweise zusätzliches Personal einstellen zu müssen, 88 Prozent greifen ganz oder teilweise auf externe Dienstleister zurück. Die große Mehrheit von 87 Prozent muss die Mehrbelastungen durch die Bürokratie – ebenfalls ganz oder teilweise – auf das bestehende Personal umverteilen.
Und schaut man in die Nachbarländer, sagen 78 Prozent der teilnehmenden IHK-Unternehmen, die einen Standort im EU-Ausland haben, dass die dortigen Belastungen niedriger oder sogar viel niedriger sind als in Deutschland. Für Standorte außerhalb der EU sagen das sogar 91 Prozent.
Hintergrund-Informationen zu Bürokratie-Check und KI-Tool
Für ihre Strukturvorschläge haben die Rechts- und Bürokratieexperten der IHK rund 700 Dokumente aus allen möglichen Quellen gesammelt, kategorisiert und hochgeladen, hunderte Meldungen von Unternehmen eingegeben sowie rund 5000 Einzelnormen im Landesrecht Baden-Württemberg durchsucht. Herausgekommen sind 435 Berichtspflichten, 510 Dokumentationspflichten und 250 Schriftformerfordernisse. Als Mitglied der Entlastungsallianz hat die IHK die Ergebnisse bereits an das Wirtschaftsministerium gemeldet, wo es derzeit geprüft und weiterverarbeitet wird.
Informationen zur Umfrage
Für die IHK-Bürokratie-Umfrage wurden in der Zeit vom 28. Mai und 7. Juni 2024 Unternehmen aller Größen und Branchen in der Region Stuttgart befragt. Vollständig ausgefüllt hatten 587 Unternehmen den Frageboten.