Pressemitteilung 23. Oktober 2024
Baden-Württembergische Industrie rutscht in die Rezession
BWIHK-Vizepräsident Paal: Brauchen Diskussion, was staatliche Aufgaben sind und was nicht
Die Hoffnungen auf eine Erholung der Wirtschaft in Baden-Württemberg sind vorerst auf Eis gelegt. Die fehlende Nachfrage im In- und aus dem Ausland, hohe Arbeits- und Energiekosten sowie der politische Schlingerkurs lassen auch den bislang noch widerstandsfähigen Industriebetrieben die Luft ausgehen. „Die Ergebnisse unserer aktuellen Konjunkturumfrage sind kein Weckruf mehr, von denen haben wir zur Genüge. Sie müssen der Startschuss dafür sein, dass die Politik endlich ins Handeln kommt“, sagt Claus Paal, Vizepräsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages (BWIHK), und Präsident der für die Konjunkturumfrage verantwortlichen IHK Region Stuttgart. „Noch nie haben so viele unserer Unternehmen die politischen Rahmenbedingungen als Geschäftsrisiko genannt. Wir brauchen jetzt zügig eine Diskussion darüber, was staatliche Aufgaben sind und was nicht. Der Staat verzettelt sich in seinem eigenen Regelungsdickicht und lähmt die Unternehmen. Ziel muss es sein, Bürokratie wieder durch Eigenverantwortung und Vertrauen zu ersetzen.“
Laut Konjunkturumfrage bewerten nur noch gut ein Viertel (26 Prozent) der baden-württembergischen Unternehmen ihre Geschäftslage als gut, fünf Prozentpunkte weniger als noch im Frühsommer. Fast ebenso viele (24 Prozent) sagen, die Lage sei schlecht, im Frühsommer waren das 18 Prozent. Und auch der Blick in die Zukunft wird zunehmend düster. Während im Frühsommer 26 Prozent pessimistisch auf die Geschäftserwartungen der kommenden zwölf Monate blickten, sind das mittlerweile 31 Prozent. Nur noch 16 Prozent hoffen auf eine Verbesserung in den kommenden Monaten. An der Umfrage haben sich im September 2024 landesweit 3412 Unternehmen aller Größen und Branchen beteiligt.
Besonders die Industrie – das Herzstück der baden-württembergischen Wirtschaft – hat in diesem Herbst einen weiteren Dämpfer erhalten. Die Industrierezession ist da. Nur noch knapp jedes fünfte Unternehmen bewertet seine Lage als gut – im Frühsommer war es noch gut jedes vierte. „Die letzten positiven Signale aus dem Frühjahr sind weg, wir sind auf dem Weg in eine strukturelle Krise“, warnt Paal. Das letzte Mal hatten die Unternehmen vor zwei Jahren steigende Auftragseingänge gemeldet, seither geht es in allen Branchen zurück. Insgesamt melden rund 42 Prozent aller teilnehmenden Unternehmen jetzt einen Rückgang. Auch der erhoffte Nachfrageimpuls aus dem Ausland, der in der Vergangenheit die baden-württembergische Wirtschaft aus der ein oder anderen Krise gehievt hat, bleibt aus. 29 Prozent der Unternehmen rechnen mit einem Rückgang der Exporte in den kommenden zwölf Monaten.
Damit sind auch die Investitions- und Beschäftigungspläne der Betriebe eher trübe. Nur noch knapp jedes fünfte Unternehmen (19 Prozent) will in den kommenden zwölf Monaten mehr investieren – neun Prozent weniger als im Zehn-Jahresvergleich. 44 Prozent planen weniger oder gar keine Investitionen. Wenn investiert wird, dann geht es meist darum, kaputte Maschinen oder ähnliches zu ersetzen. Ersatzbedarf nennen daher mit 67 Prozent die meisten Betriebe als Investitionsgrund, gefolgt von der Digitalisierung mit knapp 52 Prozent.
Neue Reihenfolge bei den Toprisiken
Bei der Frage nach den größten Geschäftsrisiken bleibt die schwächelnde Inlandsnachfrage für die baden-württembergischen Wirtschaft damit auf Platz eins. Rund 70 Prozent der Betriebe sehen hier ein Problem für ihre Entwicklung. Auf Platz zwei haben die hohen Arbeitskosten (55 Prozent) den Fachkräftemangel abgelöst. Letzterer befindet sich angesichts der Wirtschaftsflaute mit 51 Prozent der Nennungen auf Platz drei. Die schwache Auftragslage und die gesunkenen Energiepreise haben das Problem der Energiekosten mit knapp 43 Prozent der Nennungen auf den vierten Platz verdrängt, mit Ausnahme des Hotel- und Gastgewerbes. Fast drei Viertel der Unternehmen des Gastgewerbes leiden immer noch unter dem hohen Kostendruck.
Risiko durch politische Rahmenbedingungen wächst
Für viele Unternehmen steigt das Geschäftsrisiko durch die politischen Rahmenbedingungen deutlich an. Rund 42 Prozent der Unternehmen – und damit fünf Prozent mehr als noch im Frühsommer – sehen in der derzeitigen Wirtschaftspolitik ein Geschäftsrisiko. Fehlende Impulse, überbordende Bürokratie, eine nicht konstante und uneinige Regierung sowie die Angst vor plötzlichem Subventionsabbau werden in den Freitextfeldern genannt. „Viele Unternehmen sind verunsichert und stellen ihre Investitionen am Standort auf unbestimmte Zeit zurück“, sagt Paal. „Wir erwarten von der Regierung, dass sie sich auf einen klaren wirtschaftspolitischen Kurs festlegt, damit unsere Betriebe wieder sicher und planbar wirtschaften und im europäischen Wettbewerb mithalten können. Derzeit haben alle europäischen Staaten ähnliche Herausforderungen, aber wir in Deutschland schaffen es, dass sie unsere Betriebe am meisten schwächen.“
Hintergrund – kurzer Blick in die Branchen
Der Tiefpunkt in der Bauwirtschaft scheint noch nicht überwunden, aber zumindest erreicht zu sein. Trotz der schlechten Auftragslage bleibt der Arbeitskräftemangel hinter der niedrigen Inlandsnachfrage eines der Toprisiken der Branche. Das sagen 65 Prozent der Befragten und damit nur zwei Prozentpunkte weniger als im Frühsommer. Ihre Lage als gut bezeichnen gut 26 Prozent, aber nur noch drei Prozent hoffen auf bessere Geschäfte in der Zukunft.
Obwohl sich die Preissteigerungen der letzten Monate wieder gedämpft haben und sich die Inflationsrate unter anderem im September bei 1,6 Prozent stabilisiert hat, bleibt der Konsum der privaten Haushalte schwach. Dies führt bei den Händlern derzeit zu massiven Umsatz- und Ertragsverlusten. Zwölf Prozent der Einzelhändler gehen davon aus, dass das auch in den kommenden Monaten so bleibt. Den Großhandel trifft die Auftragsflaute sowohl seitens des privaten Konsums als auch der unternehmensnahe Großhandel spürt die schwächelnde Konjunktur der Industrie. Auf künftig bessere Geschäfte hofft hier nur jedes zehnte Unter-nehmen.
Seit der Corona-Pandemie schafft es das Hotel- und Gaststättengewerbe nicht, zur Normalität zurückzukehren. Immer wieder werden die Unternehmen vor neue Herausforderungen gestellt. Die Anhebung der Mehrwertsteuer, die Erhöhung des Mindestlohns und hohe Energiekosten führen dazu, dass die Unternehmen von den Kosten erdrückt werden. Derzeit schätzen nur noch 43 Prozent der Unternehmen ihre aktuelle Finanzlage als unproblematisch ein. Das sind acht Prozentpunkte weniger als im Herbst 2023.
Die wirtschaftliche Lage im Transport- und Verkehrsgewerbe hat sich weiter verschlechtert. Während im Frühsommer noch etwa 25 Prozent der Unternehmen ihre Geschäftslage als gut einschätzten, sind es im Herbst nur noch 23 Prozent. Der Auftragseingang bleibt wegen der schwachen Konjunktur der Industrie weiterhin schlecht. Die Inlandsnachfrage wird zunehmend zu einem Risiko, und auch der Arbeitskräftemangel stellt für viele Unternehmen weiterhin eine Herausforderung dar.
Auch bei den Unternehmen des Dienstleistungsgewerbes macht sich die Rezession in der Industrie nach und nach bemerkbar. Besonders unternehmensnahe Dienstleister, wie beispielsweise aus der Informations- und Kommunikationstechnologie, spüren die schwache Nachfrage seitens der Industrie. Das Risiko der Inlandsnachfrage steigt von 56 Prozent auf 60 Prozent der Nennungen an.
Informationen zur Umfrage:
An der Konjunkturumfrage der zwölf Industrie- und Handelskammern in Baden-Württemberg haben sich zwischen dem 9. und 27. September 2024 landesweit 3.412 Unternehmen alles Größen und Branchen beteiligt.
Hintergrundinformationen
Der Baden-Württembergische Industrie- und Handelskammertag (BWIHK) ist eine Vereinigung der zwölf baden-württembergischen Industrie- und Handelskammern (IHK). In Baden-Württemberg vertreten die zwölf IHKs die Interessen von mehr als 650.000 Mitgliedsunternehmen. Zweck des BWIHK ist es, in allen die baden-württembergische Wirtschaft und die Mitgliedskammern insgesamt betreffenden Belangen gemeinsame Auffassungen zu erzielen und diese gegenüber der Landes-, Bundes- und Europapolitik sowie dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und anderen Institutionen zu vertreten.