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"Wir scheuen uns nicht, mitzuweinen"

Wohnungssuche, Arzttermin, Rechtsfragen – die Service Agentur MV hilft Arbeitnehmern bei Organisationsfragen jeglicher Art.
Es gibt Phasen im Leben, da platzen die To-​do-​Listen förmlich aus allen Nähten. Da muss ein Arzttermin her, Informationen zu möglichen Pflegeeinrichtungen für die Eltern eingeholt und ein Babysitter wegen eines späten Termins gesucht werden. Und das alles neben der Arbeit. Gefühle von Überforderung oder gar Verzweiflung lassen dann oft nicht lange auf sich warten. Eine, die weiß, wie man solche Lebenssituationen managt, ist Jana Stelzig. Die 41-​Jährige führt gemeinsam mit zwei Mitarbeiterinnen die Service Agentur MV. Deren Ziel ist es, Arbeitnehmer, die in ihrem Privatleben große Lasten tragen müssen, zu unterstützen.
„Es ergeben sich immer wieder Situationen, in denen wir gebraucht werden“, sagt Jana Stelzig. Die Agentur hilft bei der Suche nach einer Wohnung oder einem Pflegeplatz für alte beziehungsweise kranke Angehörige, vermittelt Kitas oder Babysitter, organisiert Sport- und Freizeitangebote und macht für ihre Klienten Facharzttermine aus. Letzteres ist eine besonders komplizierte Thematik, berichtet Jana Stelzig. „Es gibt Praxen, in denen niemand ans Telefon geht, ein Termin muss also vor Ort ausgemacht werden. Wir gehen dann dorthin und betteln und flehen, damit unsere Kunden berücksichtigt werden. Vielen nehmen wir damit eine riesige Last ab.“
Unternehmen als ­Vertragspartner
Die Service Agentur MV arbeitet ausschließlich mit Unternehmen zusammen. Ist ein Vertrag abgeschlossen, können die jeweiligen Mitarbeiter die Leistung von Jana Stelzig und ihren Kolleginnen in Anspruch nehmen. Wie genau die Kooperation aussieht, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. „Manche Betriebe zahlen einen Pauschalbetrag pro Mitarbeiter, andere schließen einen Vertrag für zehn Fälle im Quartal ab und gleichen eine eventuelle Differenz dann hinterher aus“, erklärt die Geschäftsführerin.
Aktuell arbeitet die Agentur mit sechs Unternehmen zusammen, die ihre Standorte entweder in der Hansestadt oder im Landkreis Rostock haben. Größentechnisch ist alles dabei: von der RSAG mit knapp 800 Mitarbeitern bis zur Warnowquerung GmbH mit einem 34-​köpfigen Team. „Dazwischen ist alles möglich“, sagt Jana Stelzig, die hofft, in Zukunft noch mehr Firmen überzeugen zu können.
Dass ihr Angebot kein Luxus, sondern heutzutage ein probates Mittel zum Gewinnen und Halten von Fachkräften ist, davon ist Jana Stelzig überzeugt. Es sei sehr wichtig, dass die Führungsebene von Unternehmen ihre Mitarbeiter als Menschen sehen, die auch diverse Päckchen zu tragen haben. An gewissen Stellen Hilfe anzubieten, vermittle ein Gefühl von Wertschätzung, das am Ende unbezahlbar sei. „Gerade neue Mitarbeiter sind immer unglaublich dankbar und können oft gar nicht glauben, dass ihr Arbeitgeber solchen Service für sie bezahlt.“
Ein Thema, drei Standbeine
Die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zieht sich auch durch Jana Stelzigs Leben, wurde für sie schon mit Anfang 20 zu einem größeren Problem. Der Grund: Da ihre damals noch sehr kleine Tochter krank wurde, musste sie mehrere Wochen zu Hause bleiben und konnte so ihre erste Arbeitsstelle nach der abgeschlossenen Ausbildung zur Hotelfachfrau nicht antreten. Später arbeitete sie für eine Weile bei einer Versicherung, was sie allerdings auch aufgeben musste, da ihr Mann schwer erkrankte.
Auf der Suche nach Babysittern stieß Jana Stelzig damals auf ein Rostocker Projekt, auf dessen Service allerdings nur Arbeitnehmer einen Anspruch hatten. „So kam es, dass ich mich in der Elternzeit mit meinem zweiten Kind nebentätig selbstständig machte mit Babysitting für Eltern, die eben keinen Arbeitsnachweis hatten“, erzählt die mittlerweile vierfache Mutter. Daraus entstand schließlich die Familienagentur „Engelchen und Bengelchen“, die nach wie vor Kinderbetreuung bei Firmenveranstaltungen und privaten Feiern anbietet.
In Teilzeit ist Jana Stelzig zudem auch Gesellschafterin bei der gemeinnützigen GmbH „Elternzeit – Rostocker Familienservice“, die aus dem Verein Fambeki hervorging und Kinderbetreuung zu den Zeiten anbietet, zu denen Kitas und Horte nicht mehr geöffnet haben.
Zur Service Agentur MV stieß Jana Stelzig 2018. „Dieses Angebot lief früher über ein Projekt, wurde später erst zu einer Firma“, erzählt sie. „Der Inhaber wollte die Firma gern abgeben, und da er mich und meine Kolleginnen aus dem Projektgeschehen kannte, sprach er uns an.“ Im Laufe ihrer Tätigkeit bei „Engelchen und Bengelchen“ habe sie sich schon länger gefragt, ob sie für die Unternehmen nicht mehr sein wolle als nur ein reiner Ansprechpartner für Kinderbetreuung.
Am Ende sei die Entscheidung für die Übernahme der Firma nicht schwergefallen. Letztlich habe nur die Frage im Raum gestanden, ob man die Themenfelder Kinderbetreuung und weiteren Service für Arbeitnehmer nicht deutlich voneinander abgrenzen solle. So nahm die Service Agentur MV am 1. Januar 2019 ihre Arbeit auf.
„Unsere Arbeit basiert auf Vertrauen“
„Wir bündeln alle unsere Kompetenzen, die wir aus unserem persönlichen Leben heraus schon mitbringen“, beschreibt Jana Stelzig die Expertise ihres Teams. In erster Linie heißt das für die drei Frauen: erst zuhören, dann aktiv werden und organisieren. „Unsere Arbeit basiert vor allem auf Vertrauen. Schließlich kippen die Leute vor uns ihr Leben aus.“ Und das sieht von Fall zu Fall unterschiedlich aus.
Da gibt es den jungen Mann, der aufgrund einiger falscher Entscheidungen in seiner Jugend negative Schufa-​Einträge hat und dadurch keinen Wohnungsvermieter von sich überzeugen konnte. Oder die Frau, deren Lebensgefährte im Koma lag. Menschen wie ihnen konnte die Agentur helfen. „Da scheuen wir uns auch nicht, mitzuweinen. Und wenn wir in solchen Fällen helfen können, freuen wir uns umso mehr.“
Um auch auf die kompliziertesten Fragen Antworten zu finden, haben Jana Stelzig und ihre Kolleginnen gleich zu Beginn kompetente Partner mit ins Boot geholt, zum Beispiel den Pflegestützpunkt oder juristisch versierte Ansprechpartner. „Wir kennen unsere eigenen Grenzen, wollen die Menschen aber nicht alleine lassen. Daher vermitteln wir gern auch weiter an Stellen, wo es eine hundertprozentig rechtssichere Antwort gibt“, sagt die Geschäftsführerin.
Erweiterung des Kundenstammes im Plan
Aktuell läuft die Arbeit der Agentur über das Homeoffice. Normalerweise sind die drei Frauen in der Wokrenter Straße zu finden, in einer Bürogemeinschaft mit „Engelchen und Bengelchen“ und der gGmbH. „Wir hoffen, dass wir bald auch wieder vor Ort aktiv sein können. Denn wir machen auch gern persönliche Termine mit unseren Kunden aus“, betont Jana Stelzig.
Die Coronakrise hat vieles zwar ausgebremst, ganz zum Erliegen kam die Agentur allerdings nicht. „Wir konnten so einige Fälle abschließen und haben es auch geschafft, ein neues Unternehmen als Kunden zu gewinnen“, berichtet Jana Stelzig. Sie hoffe, dass es in Zukunft so weitergehe. Bislang habe es zwar keine Gespräche mit Unternehmen außerhalb des Landkreises Rostock gegeben, aber „wir sind offen für Neues“.
Christina Milbrandt