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Prüfungsorte im Betrieb
Bei vielen praktischen Abschlussprüfungen werden Räume und Maschinen von Unternehmen benötigt. So wie die Ausbildungswerkstatt des Maschinenbauers Thies, in der schon über hundert Azubis ihre praktische Prüfung abgelegt haben. | Text: Dominik Dopheide
Besuch aus dem Ausland ist bei der Thies GmbH & Co KG keine Seltenheit. Schließlich liefert das mittelständische Familienunternehmen seine Produkte – Textilfärbemaschinen – in viele Länder, rund um die Welt. Viele Kunden, die ins Werk nach Coesfeld kommen, stellen schnell fest: Nicht nur in den Maschinen „Made in Germany“ steckt hohe Qualität, sondern auch im deutschen Ausbildungssystem. „Immer wieder staunen unsere Gäste über die große Praxisnähe unserer Ausbildung, die in manchem anderen europäischen Land nicht erreicht wird“, erzählt Geschäftsführerin Verena Thies-Niehoff. Sie ist überzeugt, dass das duale System dem Ausbildungsstandort Deutschland seine Stärke verleiht, und will dazu beitragen, dass dies auch so bleibt. Deshalb stellt das Familienunternehmen die betriebseigene Ausbildungswerkstatt im Coesfelder Werk für Abschlussprüfungen in industriell-technischen Berufen regelmäßig kostenfrei zur Verfügung – genau wie ca. 55 weitere Unternehmen in Nord-Westfalen.
© MICHAEL C.MOELLER
„Die IHK ist auf Unternehmen angewiesen, die Räume und Maschinen bereitstellen“, sagt Stefan Brüggemann, Abteilungsleiter Berufsbildung IHK Nord Westfalen. In bestimmten Bereichen können praktische Prüfungen an den Berufskollegs oder bei Bildungsträgern stattfinden. Gekocht werden kann beispielsweise auch in Lehrküchen. Insbesondere in industriell-technischen Berufen indes sind die betrieblichen Werkstätten unverzichtbar, zumal die Prüfungen immer anspruchsvoller und aufwändiger werden, wie Brüggemann betont. Im Auftrag der IHK Nord Westfalen hat er die Thies GmbH & Co KG im April 2024 mit dem Prädikat „Zugelassener Prüfungsort“ ausgezeichnet. Die IHK will mit diesem Dokument das Engagement der Unternehmen noch sichtbarer machen, erläutert Stefan Brüggemann die Auszeichung, denn: „Die duale Berufsausbildung lebt von dem Zusammenspiel zwischen den Betrieben und den weiteren Beteiligten.“ Für Verena Thies-Niehoff ist der Einsatz eine Selbstverständlichkeit. „Die Förderung von Auszubildenden ist bei uns seit mehr als 50 Jahren gelebte Tradition, berichtet sie. Es mache einfach Freude, junge Menschen zu Profis zu entwickeln und somit auch die Prüflinge zu unterstützen. Schließlich sei das eine Investition in die Zukunft. Die Geschäftsführerin denkt dabei über das eigene Werksgelände hinaus: Als IHK-Prüfungsort stärke ein Unternehmen nicht nur die Auszubildenden des Hauses, sondern ganze Berufszweige. „Es geht ja für alle Betriebe darum sicherzustellen, dass die Auszubildenden nach dem Abschluss sofort in der Fertigung durchstarten können“, erklärt sie. Das Werkstück, das am Prüfungstag entstehe, spiegele drei Jahre Ausbildungsarbeit wider, deshalb sei eine Prüfung unter praxisnahen Bedingungen so wichtig.Ohnehin gilt für Thies-Niehoff: Je früher junge Menschen praktische Arbeitserfahrungen sammeln, um so besser. Sie selbst hat bereits im Zuge von Schul-Praktika und Ferienjobs im elterlichen Betrieb Tuchfühlung zum Textilmaschinenbau aufgenommen.
Christoph Kerkeling, hauptberuflicher Ausbilder und ehrenamtlicher IHK-Prüfer „Industriemechaniker Maschinen- und Anlagenbau“, war zu dieser Zeit bereits im Unternehmen tätig. Er hat 1987 bei Thies seinen Berufsweg begonnen. „Es war damals schon üblich, dass auch Auszubildende aus anderen Betrieben bei uns ihre Prüfung absolvieren“, erinnert er sich. Kerkeling hat schon vor vielen Jahren ein Konzept entwickelt, damit weder Maschinen, noch seine Nerven an Prüfungstagen strapaziert werden. Demnach werden alle externen Prüflinge eine Woche zuvor in die Ausbildungswerkstatt eingeladen. Dort können sie sich umsehen und Fragen stellen. Einige Auszubildende aus dem eigenen Haus zeigen den Gästen die prüfungsrelevante Technik und leiten sie an – unter den Augen des Meisters. „In aller Ruhe, bei Bedarf bis zum Feierabend“, wie Kerkeling betont. Auch am Prüfungstag ist dieses „Rettungsteam“ zur Stelle, um im Notfall bei der Bedienung einer Maschine zu helfen oder den „roten Knopf“ zu drücken, falls wirklich etwas aus dem Ruder zu laufen droht. Dieses Sicherheitssystem hat bisher bestens funktioniert: In all den Jahren hat der Maschinenpark von Thies an Prüfungstagen keinen Schaden erlitten.
Materialkosten fallen für die Gastgeber nicht an. „Das müssen die externen Auszubildenden selbst mitbringen“, sagt Kerkeling. Um sieben Uhr starten die Prüfungen, nach 6,5 Stunden ist Schluss. Kerkeling kalkuliert noch bis zu einem Tag Nachbereitung ein. Dass hier etwas Mehraufwand für die Externen anfällt, sieht Verena Thies-Niehoff nicht als Nachteil. „Die Erfahrungen, die Christoph Kerkeling und sein Team im Rahmen der Prüfungsbegleitung machen, kommen ja auch unseren eigenen Auszubildenden zugute“, begründet sie, um weitere positive Effekte eines betrieblichen Prüfungsortes zu nennen: den Aufbau von Kontakten im Prüfungsnetzwerk und die Entwicklung der Arbeitgebermarke. Thies-Niehoff empfiehlt allen Unternehmen, die in den Kreis der betrieblichen Prüfungsorte aufgenommen werden wollen, mit der IHK Kontakt aufzunehmen, um zu klären, welche Kriterien zu erfüllen sind. Stefan Brüggemann würde es besonders freuen, wenn eine bestimmte Branche wieder einen Prüfungsort im Emscher-Lippe-Raum ansteuern könnte: „Zurzeit müssen wir die Berufskraftfahrer in Unna prüfen, weil die regionalen Betriebe keinen adäquaten Platz anbieten“, sagt der IHK-Abteilungsleiter.
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Redaktion Wirtschaftsspiegel