TECH.LAND

Lang lebe das Lastenrad

Mit Kooperationen die Nachhaltigkeit in der niederländisch-deutschen Grenzregion zu stärken: So lautet das Ziel des Interreg-VI-Förderprojektes „Two4C“. Cargo Cycling und Nijland Cycling sind schon mal vorgefahren. Sie bringen Räder zum Refurbishen auf den Markt. | Text: Dominik Dopheide
„Two4C“: Wer diese Abkürzung entschlüsselt hat, landet mitten in einem TECH.LAND-Themenfeld. Das Projekt stehe richtungsweisend für den Circular-Economy-Cluster der Grenzen überschreitenden Initiative, erklärt Kim-Oliver Hellmers von der Handwerkskammer Münster (HWK). Der Bestandteil „Two“ weist darauf hin, dass Kooperationen von jeweils zwei Unternehmen förderfähig sind. Eines muss in den Niederlanden, das andere in Deutschland ansässig sein. „4C“ schließlich steht für den “Cross-border Collaborative Circularity Check“ – ein Tool zur Selbsteinschätzung der Unternehmen in Bezug auf Kreislaufwirtschaft. Die nämlich soll beidseits der Grenze weiter angekurbelt werden – unter Federführung der Handwerkskammer Münster (HWK) und mit einem mehrstufigen Beratungsprogramm. Der Begriff „Circularity“ bezieht sich dabei nicht nur auf die Rückgewinnung von Rohstoffen. Er schließt unter anderem auch das Refurbishing ein, also die Wiederaufbereitung von Produkten.
Konkret wird das in der Zusammenarbeit von Cargo Cycling und Nijland Cycling: „Es geht darum, den Lebenszyklus von Lastenrädern so weit wie möglich zu verlängern“, erklärt Hellmers, warum diese beiden Unternehmen gefördert werden. Der stellvertretende Leiter des Two4C-Projekts nennt Schritte zur Nachhaltigkeit, die vor dem Recycling des Rohstoffes vollzogen werden können. So werden im Remanufacturing einzelne gebrauchte Bauteile aufbereitet und in gleicher Funktion in eine neue Serie integriert. Zudem lässt sich in vielen Fällen die Reparaturfähigkeit gezielt verbessern. Aber laufen solche Konzepte nicht den Interessen von Hersteller und Handel entgegen, möglichst viele fabrikneue Produkte auf den Markt zu bringen? „Auf den ersten Blick schon“, räumt der Geschäftsführer der Cargo Cycling GmbH &Co. KG, Jasper Wanink, ein und fügt an: „Wir können von einem guten Gewissen allein nicht leben, müssen also ein Geschäftsmodell entwickeln“.

Alles dreht sich um IoT

Genau aus diesem Grund haben er und Willy Nijland, Inhaber von Nijland Cycling, das Two4C-Förderangebot wahrgenommen. Nijland produziert in Heeten, in der Provinz Overijssel, hochwertige Fahrräder und hat sich unter anderem auf das Lastenrad spezialisiert. Er beliefert das Produktentwicklungsunternehmen und B2B-Anbieter Cargo Cycling in Steinfurt. Die Aufgabenverteilung im Projekt: Wanink widmet sich der Gebrauchsdatenerhebung und Dokumentation, Nijland Cycling um die Fertigung. Die Idee: Alle Nijland Cycling Cargo Bikes sollen IT-gestützt konstruiert werden – unter Einsatz des Internet of Things (IoT). An allen Bauteilen, die relevant sind fürs Refurbishment, sind IoT-Sensoren vorgesehen. Sie messen den Verschleiß der Teile im Betrieb, etwa auf den täglichen Touren der gewerblichen Kunden aus der Kurier- und Postdienstleistungsbranche. Rollen die Bikes zur Wartung an, werten Wanink und sein Team in der Werkstatt die Daten aus – wenn die Informationen nicht bereits automatisch in die Produktion nach Heeten gesendet wurden. Nijland weiß somit, an welchen Stellschrauben seine Entwicklungsabteilung drehen kann, um den Prozess der Wiederaufbereitung aus technischer und betriebswirtschaftlicher Sicht zu verbessern. Am Ende müsse die Rechnung sowohl für Kunden als auch für Händler und Hersteller aufgehen, sagt Nijland. In dieser frühen Phase der Geschäftsmodellentwicklung hilft die Interreg-Förderung den Partnern erheblich weiter: Die Projektkosten belaufen sich insgesamt auf etwa 100.000 Euro, und sie erhalten einen Zuschuss von 50 Prozent. Nur ca. 50 Prozent des Neupreises übrigens müssen Kunden für ein Nijland-Rad aus dem Refurbish-Regal auf den Tisch legen. So hat das Produkt Nijland zufolge einen kompletten zweiten Lebenszyklus vor sich – wenn alles rund läuft, sogar einen dritten.

Mehrstufiges Training

Beide Unternehmen stehen seit Jahren in Kontakt und haben sich, nachdem sie von der HWK Münster über Two4C informiert worden waren, sofort für den „Quick Scan“ angemeldet – eine erste geleitete Selbsteinschätzung, in der Firmen herausfinden können, wo sie im Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft stehen. Beide Firmen sind in den Circo-Track eingestiegen, ein Trainingsprogramm, das von der TU Delft entwickelt worden ist und als Intensiv-Workshop in NRW von der Effizienz Agentur (EFA NRW) angeboten wird. Weil das Angebot individuell auf die Bedarfe der einzelnen Unternehmen ausgerichtet ist, sei es sinnvoll, dass beide Kooperationspartner gemeinsam teilnehmen, betont Hellmers. „Im Circo-Track werden Wege aufgezeigt, Produktdesign und Lieferketten zu optimieren und die Wertschöpfung zu verbessern“, erklärt der Umweltingenieur. Alle Teile des Fahrrads kamen auf den Prüfstand, erinnert sich Wanink. Aluminium oder gar Carbon standen als Materialien erst gar nicht zur Diskussion: Beide eignen sich Wanink und Nijland zufolge nicht für die Produktion von nachhaltigen Lastenrädern. Aluminium wiege zwar wenig, sei aber nur schwer aufzubereiten und deshalb kostenintensiv statt nachhaltig. Carbon könne zurzeit gar nicht wiederaufbereitet oder recycled werden. Das Material der Wahl heißt Chromstahl. „Mit einem solchen Rahmen wurde in den 90ern noch die Tour de France gewonnen“, weist Nijland auf die Qualität der Räder dieser Machart hin. Ganz entspannt Kurs halten werden wohl auch die beiden Kooperationspartner in den kommenden Projektjahren. Mit Sprache und Kommunikationskultur jedenfalls kommt Wanink auf beiden Seiten der Grenze bestens zurecht: Seine Mutter ist in Deutschland, sein Vater in den Niederlanden aufgewachsen.
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