Baustelle City

Bunt mischen statt schwarzsehen

Zwei vormalige Kaufhäuser beleben in Recklinghausen und in Gelsenkirchen-Buer die multifunktionale Innenstadt. (Von Dominik Dopheide)
Es gilt über die Grenzen von NRW hinaus als Symbol der innovativen Innenstadtnutzung: das Außengelände der Kita auf dem Dach des ehemaligen Karstadt-Kaufhauses in Recklinghausen. Im Sommer 2016 hatte das Handelsunternehmen seinen Standort am Altstadtmarkt geschlossen, die City musste Frequenzverluste hinnehmen. Ein Jahr später erkennt ein Projektentwickler aus Düsseldorf das Potenzial des Gebäudes, das zum großen Teil aus der Jugendstil-Zeit stammt. Er gewinnt eine Investorengruppe. Sie erwirbt die Immobilie und mischt seitdem buchstäblich mit in der Innenstadtentwicklung: Das Gebäude, jetzt MarktQuartier genannt, wird auf rund 12.500 Quadratmetern für einen Nutzungs-Mix umgebaut, der Magnetwirkung haben soll.

Aufenthaltsqualität als Kriterium

Eine teilweise begrünte Fassade und ein Lichthof als grüne Oase zeigen, nach welchem Hauptkriterium hier geplant wird: Aufenthaltsqualität. Eingezogen sind bereits ein Discountmarkt, der die Rolle des Nahversorgers übernimmt, ein Hotel, eine Apotheke, ein Café und eine große Zahnarztpraxis. Vor der Fertigstellung stehen rund 80 Wohneinheiten und eine Kindertagesstätte der Stadt, die von der Diakonie betrieben wird. Komplettiert wird das Portfolio durch weitere Gastronomie, Büros und – auf kleiner Fläche – Einzelhandel. Die Motive für einen Bummel hätten sich gewandelt, begründet Sebastian Höber, der bei der Stadt als Altstadt- und Quartiersmanager angestellt ist. Der Café-Besuch etwa sei für die Kundinnen und Kunden oft wichtiger als das Shoppen.

Gegenseitige Impulse

Wie aber passt dann ins Bild, dass hier eines der letzten Einkaufscenter in Deutschland gebaut worden ist? Diese Frage führt mitten hinein in das Erfolgsgeheimnis der Altstadt. Längst löse das Palais Vest, in dem überwiegend Filialisten residieren, keine größeren Kontroversen mehr aus, berichtet Höber. Alle, auch der MarktQuartier-Investor, hätten erkannt, dass das Center gute Impulse gibt. Das Palais Vest profitiere von der Qualität der Altstadt und ziehe jüngere Menschen an. Das komme im Gegenzug dem inhabergeführten Einzelhandel zugute. „Auf das Zusammenspiel kommt es an“, betont Höber. Als Quartiersmanager trägt der Stadtentwicklungsprofi dazu bei, dass es gut läuft zwischen den Playern. Regelmäßig lädt auch Bürgermeister Christoph Tesche die Akteurinnen und Akteure der Altstadt an einem „Runden Tisch“ zum Meinungsaustausch ein.

Fördergelder auch für Anmietungen

Höbers drei wichtigste Aufgaben? „Reden, reden, reden“, sagt der gelernte Geograph, der als zentraler Ansprechpartner die Anliegen aller Akteure aus den fünf Altstadt-Quartieren entgegennimmt, um Probleme selbst zu lösen oder die passende Abteilung der Stadtverwaltung einzubinden. Wiederkehrende Themen sind Sauberkeit und Sicherheit.

Höber schließt sich schon mal einer Polizeistreife an, um deren Innenstadt-Perspektive live zu erleben. Er kümmert sich sowohl um große Events und andere Marketingprojekte als auch um die Entwicklungsperspektive von Gebäuden. Mit den Eigentümern pflegt er steten Austausch. „Die meisten von ihnen wissen, dass die guten Zeiten des stationären Einzelhandels nicht mehr wiederkommen, und sie Abstriche machen müssen“, berichtet Höber. Recklinghausen hat gute Erfahrungen gemacht mit dem NRW-Sofortprogramm Innenstädte, hat die Gelder auch für Anmietungen verwendet. Die meisten Geschäfte haben sich bereits mit ihren
Das Gute findet Innenstadt
© IHK Nord Westfalen
Vermietern über Anschlussverträge nach Auslauf der Förderung geeinigt. „Leuchttürme sind wichtig, aber die kleinen Ladenlokale werden genauso gebraucht, denn sie machen den Charme einer Innenstadt aus“, sagt Höber, der aktuell nur fünf Prozent Leerstand registriert, wenn er durch die Altstadtgassen streift. Viel spricht dafür, dass die Quote noch besser wird. „Das MarktQuartier-Projekt, aber auch die zielstrebige Umsetzung des Innenstadt-Entwicklungskonzepts seit 2012, haben Recklinghausen in den Blickpunkt der Investoren gerückt“, freut sich Höber. Zurzeit erarbeitet die Stadt einen Bebauungsplan, damit am ehemaligen SinnLeffers-Standort an der Breiten Straße ein neues Gebäude entstehen kann. Hier sieht das Konzept der Investoren eine gemischte Nutzung mit dem Schwerpunkt Wohnen vor.

Mix minimiert Risiko

Dass die gut gemachte Umnutzung eines Kaufhauses zu Folgeinvestitionen führen kann, lässt sich seit rund zehn Jahren in Gelsenkirchen-Buer beobachten, wo die Mitte wieder richtig Puls hat. Auch das Linden-Karree war mal ein Karstadt-Hertie-Kaufhaus, und sein Konzept hat sicher auch die MarktQuartier-Macher inspiriert. Viel Licht, viel Freiraum: Nach dieser Maßgabe, die typisch ist für die Jugendstilzeit, wurde hinter der historischen Tuffstein-Fassade umgebaut. „Ein Kaufhaus war damals Erlebnislandschaft und sozialer Treffpunkt mit Café, Restaurant und Live-Musik, später hat man diese Idee aus Renditegründen verbaut, das rächt sich jetzt“, erklärt Dr. Siegbert Panteleit. Er ist Geschäftsführer der SPE City Management Gelsenkirchen und als Sprecher der Investorengruppe mit der Koordination und der Kommunikation des Projektes betraut.
„Wir haben die Ursprungsidee in zeitgemäßer Interpretation wiederbelebt“, bringt er das Karree-Konzept auf den Punkt – eine Kombination aus Handel, Wohnungen und Dienstleistungen. Die Stadt ist selbst als Ankermieter mit Bücherei und Volkhochschule eingezogen. „Wir haben mit der gemischten Nutzung das wirtschaftliche Risiko gestreut, müssen uns nicht auf eine Branche verlassen“, nennt Panteleit aus Investorensicht einen Pluspunkt des Prinzips. Auf Mieterwechsel ist das Linden-Karree sogar architektonisch vorbereitet: Die ursprüngliche Säulenkonstruktion im Inneren blieb weitgehend erhalten, was dem Flächenzuschnitt auch bei zukünftigen Veränderungen Flexibilität verleiht.
Und die baurechtlichen Barrieren? Es gelte immer, innerhalb des rechtlichen Rahmens so kreativ zu denken wie möglich, empfiehlt Panteleit. „Das Entscheidende ist aber, dass die Akteure – Stadtspitzen, Verwaltung, Anwohner, Investoren, Banken, in unserem Fall auch Denkmalamt – zunächst ein Grundverständnis erzielen, und zwar nicht am Schreibtisch, sondern draußen vor Ort“, sagt der Projektentwickler. Wenn beispielsweise klar sei, dass „Dritte Orte“, also öffentliche Treffpunkte mit hoher Aufenthaltsqualität, ins Stadtgefüge gehören, werde es immer zu Lösungen kommen. Die Kommunen sollten ihre Einrichtungen möglichst in der Innenstadt ansiedeln, die Immobilienbesitzer mit moderaten Mieten entgegenkommen. Hinter dem Linden-Karree stehen ausschließlich Investoren, die einen Bezug zu Buer haben. Ihnen gehe es nicht um eine schnelle, hohe Rendite, sondern um eine längere und bessere Perspektive: die nachhaltig gute Innenstadtentwicklung, erklärt Panteleit. Die Eröffnung des Linden-Karrees jedenfalls hat Aufbruchstimmung erzeugt: „Millionen sind danach investiert worden in Gastronomie, Geschäfte und Veranstaltungsplatz, und die Domplatte ist zu einem Treffpunkt geworden, der auch Besucher aus anderen Kommunen anzieht“, berichtet der Sprecher der Investorengemeinschaft.