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Musterlösung für die Kern-Frage
Mit Mut, Know-how und langem Atem lässt sich mancher Ortskern lebendig machen. Die Gemeinde Ascheberg macht es vor. Auch in Heiden sind die Pläne reif für die Umsetzung. Von Dominik Dopheide
Präsentieren die erfolgreiche Neuaufstellung des Ascheberger Ortskern: der ehemalige Bürgermeister Dr. Bert Risthaus (l.) und der jetzige Thomas Stohldreier.
© Grundmann/IHK
Vor rund zehn Jahren hatte in Ascheberg die einzige Drogeriekette dichtgemacht. Andere Anbieter hatten am Standort kein Interesse, die Nahversorgung war nicht mehr zukunftsfähig aufgestellt. „Die Kaufkraft floss ab in andere Orte“, erinnert sich Katharina Grove, Chefin des Modehauses Siebeneck, das ebenfalls im Ortskern ansässig ist. Sehr schwer wäre es für den örtlichen Einzelhandel geworden, hätte die Gemeinde nicht gegengesteuert, fügt sie hinzu. Als Bürgermeister am Ruder ist damals Dr. Bert Risthaus. Er will verhindern, dass die Kommune, die rund 15000 Einwohner zählt, an Attraktivität verliert, dass sie aus dem Blickfeld der Fachkräfte fällt. Seine erste Idee: Ein Supermarkt soll zwischen Zentrum und Ortsrand ansiedeln. „Jens von Lengerke von der IHK hat uns aber auf einen anderen Pfad gesetzt“, erzählt Risthaus.
Grundversorgung in die Mitte
Grundversorgung bitte in die Mitte! So lautet, damals wie heute, die IHK-Empfehlung in Kurzform. Unterstützt von der IHK also erstellt die Kommune ihr Einzelhandelskonzept, danach ein integriertes Handlungskonzept zur Ortskernentwicklung, das auch eine Basis für Förderanträge ist. Dabei zeigt sich, dass der zentrale Versorgungsbereich in Ascheberg größer definiert werden kann. Die Kommune kann mit mehr Fläche kalkulieren. „Nicht nur auf Pläne gucken, auch eine Runde durchs Dorf drehen“, empfiehlt Risthaus allen, die am Konzept fürs Zentrum feilen. Der damalige Bürgermeister plant den großen Wurf. Der ganze Eschenplatz und seine Peripherie sollen aufblühen. Den Prozess der Erneuerung stößt er mit Rückenstärkung von Bevölkerung, Gemeinderat und Verwaltung an, denn die folgenden Entscheidungen müssen von vielen Schultern getragen werden.
Kettenreaktion angestoßen
Die Kommune geht ins Risiko: Sie erwirbt Grundstücke, reißt leerstehende Immobilien ab, lagert Feuerwehrgerätehaus und die Rettungswache aus. „Die Neuaufstellung eines Ortskerns erfordert langen Atem, auch finanziell“, sagt Risthaus. Flächennutzungsplan, Bauleitplanung und Bebauungspläne werden mehrfach modifiziert, dann folgt die Gutachtenserie. Boden, Artenschutz, Verkehr, Lärm, städtebauliche Wirkung – so lauten die Themen. Die Kommune plant mehr Lärmschutz, als gesetzlich gefordert, und sofort steigt die Akzeptanz der Anlieger für das gesamte Vorhaben. Doch bremst eine andere Reibungsfläche den Projektverlauf.
Eigentlich fehlen nur noch wenige Quadratmeter, damit das gewünschte zusammenhängende Areal entsteht. Die aber sind in privater Hand. Es wird hart verhandelt, die Gemeinde macht schließlich ein Vorkaufsrecht geltend und leitet ein Umlegungsverfahren zum Flächentausch ein. „Man muss auch in den Konflikt gehen können, das Baugesetzbuch sieht Möglichkeiten vor“, sagt Risthaus. Besser aber sei, Grundstücke, die im Zentrum liegen, grundsätzlich nicht zu veräußern.
Im zweiten Bieterverfahren schließlich findet sich ein Investor, der die geforderten architektonischen Ansprüche erfüllt: Die HIT-Handelsgruppe eröffnet im vergangenen März einen Vollsortiment-Supermarkt, dessen Angebotsvielfalt für die Versorgung eines Grundzentrums Maßstäbe setzt. Selbst der Weg zu frischen Sushis beispielsweise ist für die Ascheberger kurz geworden. „Mit versetzten Satteldächern, verspringenden Fassaden und seiner Klinkerfarbe fügt sich der Neubau wunderbar ein“, sagt Thomas Stohldreier, der als amtierender Bürgermeister die Entwicklung des Zentrums weiter vorantreibt. Er empfiehlt, solche Projekte frühestmöglich im Modell zu visualisieren, um die Bevölkerung für die Sache zu gewinnen. Inzwischen seien „zwei Handvoll“ Investoren am Eschenplatz und den angrenzenden Arealen engagiert, darunter ein Rossmann-Drogeriemarkt, eine Aldi-Filiale sowie eine Bäckerei mit Café, berichtet Stohldreier.
Mehr Trubel im Ortskern
Das nächste Plus an Aufenthaltsqualität ist schon geplant: Wasserspiele. Die Kommune, freut er sich, habe mit ihren Investitionen kein Minus gemacht, zudem eine Kettenreaktion weiterer Investitionen in Gang gesetzt. Die Ascheberger Rechnung scheint aufzugehen: „Schon mit der Ansiedlung des Drogeriemarktes haben wir gemerkt, dass plötzlich wieder Trubel herrscht und Kaufkraft zurückfließt“, bestätigt Katharina Grove. Sie ist sicher, dass die Frequenzen weiter steigen, weil die Sandstraße „aus einem Guss“ neu gemacht und die Erreichbarkeit des Ortskerns nach den Maßgaben moderner Mobilität verbessert werde. Jens von Lengerke sieht es ähnlich: „Ascheberg zeigt als herausragendes Beispiel, was Politik und Verwaltung erreichen können, wenn sie über viele Jahre konstruktive Innenstadtentwicklung betreiben – der Ort hat Vorbildcharakter für Grundzentren“, zieht der IHK-Handelsexperte sein Fazit.
Die richtige Mischung
In der Gemeinde Heiden ist das Projekt „Vollsortimenter und Drogeriemarkt" seit mehr als zwei Jahrzehnten ein Thema. Ursprünglich war die Ansiedlung auf einer zentralen Fläche im Ort geplant, die jedoch nach heutigen Verkaufsflächen-Standards zu klein ist, wie Bürgermeister Dr. Patrick Voßkamp erklärt. Anschließend hat die Gemeinde versucht, einen Drogeriemarkt in einem damals bestehenden Leerstand im „Sondergebiet Nahversorgungszentrum“ am Ortsrand anzusiedeln.
Das neue Quartier "An der Mühle" präsentieren der Bürgermeister der Stadt Heiden,
Dr. Patrick Voßkamp, und Maike Deelmann von der Wirtschaftsförderung.
© Betz/IHK
Nach dem Veto von Bezirksregierung und IHK aber beschließt der Rat vor rund zwei Jahren, im zentralen Versorgungsbereich ein 13000 Quadratmeter großes Areal zu veräußern – „das Tafelsilber der Gemeinde“, wie Voßkamp sagt. Dort, „An der Mühle“, soll bis 2025 ein ganzes Quartier entstehen. „Wir haben das Konzeptverfahren schlank gehalten, der Gemeinderat war zugleich Jury und Vergabegremium“, erzählt der Bürgermeister. Die Anlieger haben den Prozess begleitet, ihre Interessen sind im Kriterienkatalog für die Bewertung der Projektentwürfe verankert. Den Zuschlag erhielt die L.Stroetmann-Unternehmensgruppe, die zwei größere Baukörper mit gemischter Nutzung plant. Ein Komplex soll einen Drogeriemarkt, Dienstleistungen und Wohnungen beherbergen, der andere einen Vollsortiment-Supermarkt, einen Pflegedienst und weitere Dienstleistungen. Auch Wohnbebauung ist vorgesehen, denn, wie Ascheberg, ist auch Heiden eine Kommune mit stetig wachsender Einwohnerzahl – aktuell werden rund 8200 gezählt. Insbesondere junge Familien zieht es in diese Gemeinden.
Kurze Wege geschaffen
„Wohnraum ist bei uns knapp geworden, zugleich sind wir im Bereich des täglichen Bedarfs unterversorgt, es fehlt vor allem ein Drogeriemarkt“, schildert Wirtschaftsförderin Maike Deelmann das Dilemma. „Wenn sich Eltern aber für Windeln auf den Weg in den Nachbarort machen, werden dort auch die weiteren Bedarfe gedeckt“, nennt Voßkamp die Folgen und fügt an: „Deshalb brauchen wir einen barrierefreien, gut angebundenen Vollsortimenter.“ Noch fließt ein Drittel der Kaufkraft aus Heiden ab. Doch Gutachten, darunter eine Stellungnahme der IHK, sagen voraus, dass das Mühlenquartier Magnetwirkung entfalten wird. Voßkamp denkt noch weiter: Er sieht gute Chancen, dass Heiden mittelfristig Städtebauförderung erhält – angesichts des Projektes, das außergewöhnlich sei für eine Gemeinde. So wird in Heiden zurzeit am so genannten Integrierten kommunales Entwicklungskonzept (IKEK) und dem integriertem städtebaulichen Entwicklungskonzept (ISEK) gearbeitet, die Voraussetzung für einen Antrag sind. Vollsortimenter, Drogeriemarkt und Wohnungsbau: Diese Elemente der Quartiersentwicklung werden für die Gemeinde Heiden ein Frequenzbringer sein, betonen Deelmann und Voßkamp.
Die IHK gibt Stellungnahmen im Bereich Einzelhandel ab
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