Titelthema IHKplus 5.2023

Mobilität – gemeinsam gestalten!

Köln und die Kommunen in der Region ringen mit der Mobilitätswende. Bei dem Versuch, den Verkehr neu zu organisieren, wird die Wirtschaft jedoch oftmals vergessen. Dabei sind die Unternehmerinnen und Unternehmer der Region nicht das Problem, sondern Teil der Lösung.
Text: Julia Leendertse
Oliver Wessel, Inhaber der St. Josef-Apotheke in Köln-Kalk, erfuhr vor anderthalb Jahren aus der Zeitung, dass die Stadt die Kalker Hauptstraße in eine Einbahnstraße verwandeln wollte, um mehr Raum für Radfahrende, Fußgängerinnen und Fußgänger zu schaffen. Für den Geschäftsmann ein Schock. „Die Kalker Hauptstraße ist eine lebendige Einkaufsstraße, auch weil der Einzelhandel vor Ort mit Autos und Lkw regelmäßig beliefert werden kann und viele Kundinnen und Kunden zu uns mit dem Auto kommen“, so Wessel. Bei einer Umfrage in seiner Nachbarschaft fand er heraus: 99 Prozent der Geschäftsleute auf der Kalker Hauptstraße fühlten sich von den Planungen der Stadt in ihrer Existenz bedroht.
„Die Lebensqualität in Kalk soll sich verbessern. Kein Gewerbetreibender spricht sich gegen mehr Raum für zu Fuß Gehende und Radfahrende aus, aber eine Einbahnstraße ist keine Lösung“, so Wessel. Viele Kundinnen und Kunden der Kalker Hauptstraße müssten dann für ihren Einkauf im Veedel erhebliche Umwege in Kauf nehmen. Der Kalker Handel befürchtet deshalb, dass viele zukünftig bei ihren Einkäufen direkt auf die Innenstadt ausweichen könnten.

Verkehrsplanung mit und nicht gegen die Wirtschaft

„Köln braucht endlich ein vernünftiges Mobilitätskonzept, das auch die Bedürfnisse und Anforderungen der Wirtschaft berücksichtigt“, fordert Frank Oelschläger, Geschäftsführer der GILOG – Gesellschaft für innovative Logistik mbH in Frechen und Co-Vorsitzender des IHK-Mobilitätsausschusses.
„Schon die gescheiterten Verkehrsversuche auf der Deutzer Freiheit und auf der Venloer Straße haben gezeigt, was passiert, wenn bei der Verkehrsplanung die Versorgungsfunktion von Einkaufsstraßen nicht mitbedacht wird“, stellt seine Kollegin im Co-Vorsitz des IHK-Mobilitätsausschusses, Birgit Heitzer, fest. Birgit Heitzer ist Leiterin Beschaffungslogistik und Logistik Services bei der Kölner Rewe Zentralfinanz eG.
In enger Zusammenarbeit mit der Vollversammlung, dem Präsidium und dem Hauptamt der IHK sorgt der Mobilitätsausschuss für Beratung und Impulse, um Themen wie Verkehr in der Stadt und der Region oder Bundesverkehrswege mitzugestalten. Das Gremium verfasst Stellungnahmen, Resolutionen oder Positionspapiere. Es trifft sich zu Sitzungen oder unternimmt Betriebsbesichtigungen. Lesen Sie hier, warum sich die Mitglieder ehrenamtlich bei der IHK Köln engagieren.
Die Geschäfte sind nur noch schwer erreichbar, die Viertel sind von den Verkehrsflüssen aus dem Umland abgeschnitten. Die Folge: Umsatzeinbrüche bei den Unternehmen vor Ort.
Die Stadt Köln entwickelt gerade einen Sustainable Urban Mobility Plan. Dieser Mobilitätsplan soll eigentlich alle Verkehrsträger vernünftig integrieren und nicht einzelne Verkehrsträger diskriminieren. In der Stadt Köln wird dies jedoch leider nicht berücksichtigt. Einseitiges Ziel ist es vielmehr, den Autoverkehr aus der Stadt zu verdrängen. Man unterscheidet hier auch nicht zwischen Elektroautos und Verbrennerfahrzeugen. Die Belange älterer Bürgerinnen und Bürger oder von Menschen mit Beeinträchtigungen werden genauso wenig berücksichtigt wie die Belange der Wirtschaft.
Und so entstehen Rad- und Schnellfahrradwege, Geschäftsstraßen werden autofrei, die Stadt diskutiert auch eine Seilbahnlösung. Sie lässt sich aber mit einem klaren Zielbild Zeit, an dem auch die Wirtschaft erkennen könnte, wie es mit dem stetig wachsenden Verkehr in Köln und der Region weitergehen soll.
„Politik und Verwaltung sollten auch bei kleinräumigen Verkehrsmaßnahmen die Betroffenen beteiligen“, sagt Birgit Heitzer.
Christopher Köhne, Verkehrsexperte der IHK Köln, und sein Kollege Timo Knauthe sprechen regelmäßig mit Unternehmen aus dem Kammerbezirk, wie sie die Mobilität in Köln und der Region wahrnehmen. „Viele freuen sich, dass sich überhaupt mal jemand für ihre Bedürfnisse interessiert“, so Christopher Köhne.
Sie sind betroffen? Melden Sie sich!
Sie sind Unternehmerin oder Unternehmer im Kammerbezirk Köln und haben selbst mit den Folgen einer Verkehrsmaßnahme zu kämpfen? Ihre Stimme zählt. Melden Sie sich bei uns: Christopher Köhne, Tel. 0221 1640-4020, christopher.koehne@koeln.ihk.de
Neue Geschäftsmodelle, wie das des 2021 gegründeten Kölner Start-ups HomeRide zeigen, dass die Wirtschaft durch ihre Innovationen die Mobilität weiterentwickelt. Das Geschäftsmodell verknüpft die Vorteile des stationären, regionalen Handels mit den Vorteilen der digitalen und nachhaltigen Wirtschaft. HomeRide bietet über eine App mehrere 100.000 Produkte von Kölner Händlerinnen und Händlern online an.
In Kooperation mit dem Kölner Lastenfahrradkurierdienst LAMICA werden Bestellungen von den Läden CO2-neutral zur Kundschaft in Köln ausgeliefert. Vor allem kleinteilige Lieferungen an Endkunden in dicht bebauten Quartieren können problemlos von Cargobikes übernommen werden. Für die Versorgung des stationären Einzelhandels und der Gastronomie werden aber allein aufgrund der schieren Menge der Produkte auch weiterhin Lkw nötig sein.

Mobilität belebt Stadtquartiere

Einen Weg, wie Mobilitätsprojekte unter Beteiligung der Wirtschaft erarbeitet werden können, zeigt das Positionspapier Mobilität in Stadtquartieren auf, das die Vollversammlung der IHK Köln im Frühjahr 2023 verabschiedete. Darin fordert die IHK Köln Politik und Verwaltung auf, die Güterlogistik sowie die Kunden- und Pendlerverkehre auch im Verbund mit den umliegenden Kommunen in ihrer Verkehrspolitik mitzudenken.

„Köln wächst. Bei jeder Umgestaltung der knappen Verkehrsflächen ergeben sich komplexe Wechselwirkungen. Das Traurige daran ist, dass die Versorgung mit Waren und Dienstleistungen für Unternehmen und Menschen dabei fast überhaupt keine Rolle mehr zu spielen scheint“, sagt Jörg Hamel, Geschäftsführer des Handelsverbandes NRW Aachen-Düren-Köln. „Statt eines übergeordneten Plans lässt sich derzeit nur erkennen, dass Entscheidungen immer wieder aufgeschoben werden.“
Im Kölner Umland gibt es weitere Herausforderungen. Wer auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen ist, muss hier damit leben, dass der Bus- und Bahnlinienverkehr nicht alle Zeiten abdeckt. Dank Digitalisierung ermöglichen innovationsfreudige Unternehmen wie die REVG Rhein-Erft Verkehrsgesellschaft mbH ihren Fahrgästen auch jenseits der festen Fahrplanzeiten per App spontan buchbare Fahrten in barrierefreien Autos und mit Stationsmietfahrrädern. „Das Beispiel zeigt, dass die Zeit der Mobilität der Zukunft zum Teil schon angebrochen ist und vieles auch funktionieren kann“, sagt Gero Fürstenberg, Leiter der Geschäftsstelle Rhein-Erft der IHK Köln.
Tanya Bullmann de Carvalho dos Santos steht neben einem Cambio-Carsharing-Auto
„Statt 90 Prozent der Zeit zu stehen, lässt sich ein und dasselbe Auto zeitversetzt von mehreren Personen nutzen. Stationsbasiertes Carsharing entlastet den ruhenden und fließenden Verkehr in der Innenstadt.“ - Tanya Bullmann de Carvalho dos Santos, Vertriebs- und Marketingleiterin cambio CarSharing Rheinland & Wuppertal © IHK Köln/Thilo Schmülgen
Der Blick ins Umland zeigt auch, dass die aktuellen Herausforderungen neue Formen der Kooperation notwendig machen. Zum Beispiel beim Dauerthema Sanierung der Brückeninfrastruktur. In Kürze wird die Brücke Overath-Untereschbach auf der Autobahn A4 saniert. „Die ursprüngliche Idee, die A4 auf diesem Teilstück komplett zu sperren, konnten wir mit Unterstützung der IHK abwenden“, berichtet Dr. Michael Metten, Geschäftsführer der Metten Stein+Design GmbH & Co. KG in Overath. „Dank einer Kooperation der IHK Köln mit der Autobahn GmbH erfahren betroffene Unternehmen künftig tagesaktuell, wann die Strecke wie für den Verkehr eingeschränkt sein wird“, ergänzt Peter Peisker, Geschäftsführer von Peisker Logistik in Waldbröl.
Unternehmen fordern, dass die für den Verkehr zuständigen Behörden und Ämter zukünftig stärker zusammenarbeiten. Ob in Köln oder in der Region: Die frühzeitige Zusammenarbeit mit den betroffenen Betrieben vermeidet nicht nur Frust, sondern spart auch Zeit und Geld.