IHKplus Februar 2023

Zu Besuch im Veedel - aber wie?

Händlerinnen und Händler protestieren gegen Pilotversuche und willkürlich anmutende Verkehrsberuhigung.
Es regnete in Strömen, doch davon ließen sich die Demonstrierenden nicht abschrecken. Anfang November 2022 gingen Anwohnerinnen und Anwohner, Händlerinnen und Händler auf die Straße, sie hielten Schilder hoch mit Hilferufen: „Leben & Überleben lassen!“, hieß es da beispielsweise. Sie demonstrierten gegen einen Pilotversuch, der seit Juni 2022 auf der Deutzer Freiheit läuft: Zwölf Monate lang soll die Straße autofrei sein. Eine Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern hatte einen entsprechenden Antrag erfolgreich in die Bezirksvertretung Innenstadt eingebracht.
Auf Beschluss des Gremiums testet die Stadt seit dem Sommer 2022 für ein Jahr, wie sich eine Deutzer Freiheit ohne Autoverkehr auf die Lebensqualität der Menschen und auf die Geschäfte vor Ort auswirkt. Die ersten Ergebnisse sind aus Sicht einiger Gewerbetreibenden
ernüchternd: Sie beklagen Umsatzeinbußen, Anwohnerinnern und Anwohner beschweren sich über aggressive Radfahrer. Und es gibt noch einen weiteren Schmerzpunkt: Die Unternehmen ärgert es besonders, dass sie vorher nicht gefragt worden sind. Wie die Auswirkungen des Versuchs genau gemessen und bewertet werden sollen, ist unklar.
Die Deutzer Freiheit steht exemplarisch für die Probleme, denen sich viele Unternehmerinnen und Unternehmer in der Domstadt ausgesetzt fühlen: Plötzlich ist da ein Radweg, wo vorher keiner war. Dafür verschwindet ein Zebrastreifen. Oder es gibt eine neue Verkehrsberuhigung, die Kundinnen und Kunden die Anfahrt zum Geschäft erschwert. Baustellen kommen über Nacht. Der Lieferverkehr wird plötzlich anders geregelt oder stark eingeschränkt.
Das passiert nicht nur in Deutz, sondern in vielen Kölner Veedeln, zum Beispiel auf der Venloer Straße in Ehrenfeld, auf der Ehrenstraße oder am Eigelstein. Zu Buche stehen oftmals Umsatzeinbußen und frustrierte Gewerbetreibende.

Hohe Logistikkosten, niedrige Umsätze

Die IHK Köln hat die betroffenen Gewerbetreibenden an der Deutzer Freiheit zum Pilotversuch befragt. 62 Unternehmen aus verschiedenen Branchen haben sich beteiligt. Das Ergebnis: Rund 85 Prozent der Firmen berichten, dass sich die Erreichbarkeit ihres Standortes verschlechtert habe. Gründe dafür sind erschwerte Anfahrtswege für die Kunden, fehlende Ladezonen für den Lieferverkehr und ein zu enges Zeitfenster für die Lieferanten – die dürfen nämlich während des Versuchs nur zwischen sechs und elf Uhr morgens die Deutzer Freiheit befahren. Rund 20 Prozent der Unternehmen müssen bereits jetzt für ihre Logistikprozesse Mehrkosten in Kauf nehmen.
Bis zu 8.000 Euro mehr pro Monat zahlt mancher Händler. Zu alledem brechen die Umsätze ein: Zwischen Juni und August 2022 sind die Umsätze von rund 70 Prozent der Befragten zwischen 10 und 60 Prozent zurückgegangen, rund 80 Prozent der Unternehmen verzeichnen Rückgänge bei der Kundenfrequenz. Und betroffen sind auch Unternehmen, die weniger konjunkturanfällig sind, etwa Apotheken.

Leerstände vermeiden, nicht vermehren!

Ein Unternehmer kritisiert: „Es ist eine gähnende Leere, Geschäfte schließen, und wenn es so weitergeht, werden es noch mehr werden.“ Diese gähnende Leere beschäftigt die Kölner Gewerbetreibenden weit über die Grenzen des Deutzer Veedels hinaus. Ende September 2022 betonte die Vollversammlung der IHK Köln, wie wichtig es ist, gegen Leerstände vorzugehen und die Innenstädte attraktiv zu gestalten.
Doch der Pilotversuch in Deutz hat die Lage nicht verbessert – im Gegenteil. Daniel Wolf, Vorstandsvorsitzender der Interessengemeinschaft Deutz für Handel, Gewerbe und Dienstleistungen e. V., und Geschäftsführer einer Werbeagentur, sagt: „Einige alteingesessene Geschäfte haben aufgrund dieses Verkehrsversuches bereits aufgegeben oder stehen auf der Kippe.“

Kurzfristige Anpassungen nötig

Gewerbetreibende haben die Stadt dazu aufgefordert, den Versuch sofort einzustellen. Aber auf politischer Seite ist eine Mehrheit für einen sofortigen Abbruch nicht in Sicht. Die Verwaltung setzt auf eine Untersuchung der Hochschule Bochum im Frühjahr 2023 und will sich in der Zwischenzeit mit Gegnern und Befürwortern austauschen.
Die IHK Köln setzt sich für kurzfristige Anpassungen ein: „In seiner bisherigen Form hat der Verkehrsversuch auf der Deutzer Freiheit schwere negative Folgen für Unternehmen vor Ort“, sagt Hauptgeschäftsführer Uwe Vetterlein. Zumindest der östliche Teil der Deutzer Freiheit zwischen Luisenstraße und Gotenring sollte umgehend wieder für den Autoverkehr geöffnet werden, der Lieferverkehr wieder vollumfänglich möglich sein, sagt Vetterlein: „Die Rahmenbedingungen vor Ort müssen so schnell wie möglich angepasst werden. Unternehmen sind Teil eines lebendigen Viertels, ihre Belange müssen ernst genommen werden.“
Auch die Initiative „Deutzer (Auto-)Freiheit“, die den Pilotversuch initiiert hatte, ist mit dem bisherigen Verlauf nicht komplett zufrieden. „Wir sehen Verbesserungsbedarf bei der Umsetzung des Verkehrsversuchs durch die Verwaltung: Autos fahren weiter ein und parken, der Fahrradverkehr ist teilweise zu schnell. Dadurch konnte sich bisher der Eindruck einer Fußgängerzone nicht einstellen“, sagt eine Sprecherin.

Für und Wider

Aus der Deutzer Bevölkerung gibt es auch positive Rückmeldungen: Die Aufenthaltsqualität habe sich erhöht, die wichtigste Straße im Veedel belebt. Auch Aktionen wie die Vermittlung von Pflanzpatenschaften für die blühenden Stadtterrassen, ein Straßenkino und Minigolf hätten viele Leute nach Deutz gelockt.
Der Deutzer Bezirksbürgermeister Andreas Hupke zeigt sich aus Sicht der Wirtschaft uneinsichtig: „Der Pilotversuch ruft auch viel Zuspruch hervor“, sagt er. Er hatte eine Bürgerversammlung anberaumt, um die Fronten zu klären, seiner Einladung waren 200 Leute gefolgt. „Die Stimmung war dort fünfzig zu fünfzig.“ Es gelte nun, alle getätigten Umfragen unter die Lupe zu nehmen und danach mit allen Akteurinnen und Akteuren wieder ins Gespräch zu kommen.
Auf der Venloer Straße in Ehrenfeld setzte die Stadt Köln unangekündigt einen weiteren Verkehrsversuch um: Die Straße wurde in eine Einbahnstraße umgewandelt und ein Tempolimit von 20 Kilometern pro Stunde eingeführt. Auf der Straße aufgeklebte Markierungen sorgten vor allem in den ersten Wochen für Irritationen und Chaos bei allen Verkehrsteilnehmenden. Auch dieser Versuch, der ebenfalls mit den anliegenden Unternehmen nicht abgestimmt wurde, ist zunächst auf ein Jahr begrenzt. Die Ehrenstraße, auf der einst Autos, Radfahrer und Fußgänger im Einkaufstrubel konkurrierten, ist inzwischen eine Fußgängerzone.
All diese Maßnahmen haben jedoch zwei Dinge gemeinsam. Erstens: Es sind adhoc-Maßnahmen, denen kein strategisches Mobilitätskonzept zugrunde liegt. Zweitens: Die von den Verkehrsversuchen betroffenen Unternehmen wurden nicht in die Entscheidungsfindung eingebunden. Dies verwundert insofern, als dass die Treiber der Verkehrsversuche aus der Partei der Grünen kommen, die ursprünglich das Thema „Beteiligung“ zu ihrer DNA erklärt hatten.

Sustainable Urban Mobility Plan

Das Mobilitätskonzept soll nun nachgereicht werden. Dazu will die Stadtverwaltung einen nachhaltigen urbanen Mobilitätsplan (Sustainable Urban Mobility Plan, kurz: SUMP) nach europäischem Standard entwickeln. Ein großes Plus dieses Planungsansatzes sind Transparenz und Mitbestimmung: Anders als bisher müssen bei einem „SUMP“ die relevanten Player angehört und mit in die Planungen einbezogen werden. Darüber hinaus sind nach diesem Standard adhoc-Maßnahmen wie bisher auszuschließen und es sind alle Verkehrsträger gleichwertig zu integrieren.
Zum SUMP gehört auch ein Mobilitätsbeirat, in den die IHK Köln berufen wurde. Hier wird sie sich zum Wohle ihrer Mitgliedsunternehmen für ein vernünftiges – und nicht ideologiegetriebenes – Mobilitätskonzept für Köln einsetzen.

Ergänzung, September 2023

Zwischenzeitlich wurde der Verkehrsversuch auf der Deutzer Freiheit vom Verwaltungsgericht für rechtswidrig erklärt. Die Stadt kündigte an, den Verkehrsversuch zu beenden.
Ähnlich auf der Venloer Straße: Nach dem ersten Verkehrsversuch – den man wohl als gescheitert betrachten darf – wird die Venloer Straße ab Ende Oktober vom Ehrenfeldgürtel im Kölner Westen bis kurz vor die Zentralmoschee zur Einbahnstraße und darf vom motorisierten Verkehr nur noch stadteinwärts befahren werden.


Christopher Köhne
Verkehrspolitik, Logistik, Mobilität