Erneuerbare Energien: Noch lange nicht am Ziel

Auf dem Weg in eine klimaverträgliche und wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft gilt es, viele Herausforderungen zu bewältigen. Nicht nur der Ausbau der erneuerbaren Energien muss beschleunigt werden, auch die Netzstabilität und die Speicherkapazitäten müssen verbessert werden. Zudem gefährden hohe Energiepreise die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland.
Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2045 klimaneutral zu werden. Der Ausstoß von Treibhausgasen und deren Kompensation zum Beispiel durch Wälder und Moore müssen dann ausgeglichen sein. Bereits bis 2030 sollen die Emissionen um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken, vor allem auch durch den Ausbau erneuerbarer Energien. Diese sollen dann mindestens 80 Prozent des Stromverbrauchs decken und ihr Anteil soll sich gegenüber 2021 verdoppeln. Um dieses Ziel zu erreichen, muss der Ausbau dreimal so schnell vorangehen wie bisher. Im vergangenen Jahr wurde laut Bundesnetzagentur erstmals deutlich mehr als die Hälfte des Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugt, auch weil die Stromnachfrage wegen der Wirtschaftskrise massiv gesunken ist.
Die deutschen Strompreise an der Börse liegen immer noch doppelt so hoch wie 2019.

Peter Adrian

Den größten Beitrag zur Stromerzeugung leisten derzeit Wind- und Photo­voltaikanlagen – vor allem an Land. Während in einigen Bundesländern wie Schleswig-Holstein der Ausbau der Windkraft gut vorankommt, dominieren in Süddeutschland Photovoltaikanlagen. Es wird daher immer wichtiger, den Ausbau der Übertragungsnetze an den Zubau der erneuerbaren Energien anzupassen, um kostspielige Abschaltungen von Erzeugungsanlagen zu vermeiden.
Mit Blick aufs Tempo steht die Solarenergie deutlich besser da: 2023 wurden so viele Solaranlagen angeschlossen wie noch nie, das Ausbauziel für 2023 von neun Giga­watt wurde bereits Ende August erreicht. Auch (grüner) Wasserstoff spielt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Gas- und Kohlekraftwerke abzulösen. Deshalb soll die Produktionskapazität für grünen Wasserstoff in Deutschland bis 2030 von derzeit nahe null auf zehn Gigawatt ausgebaut werden. Der Kohleausstieg soll bis spätestens 2038 erfolgen. Die letzten Kernkraftwerke gingen im April 2023 vom Netz.

Energiekosten im internationalen Vergleich enorm hoch

Die Energiewende bietet der deutschen Wirtschaft die Chance, eine technologische Vorreiterrolle einzunehmen. Gleichzeitig stellt sie die Unternehmen vor große Herausforderungen. Schon vor der Energiekrise hatten die hohen Energiepreise die Wirtschaft belastet. Nun verharren sie im internationalen Vergleich auf einem enorm hohen Niveau. „Allein die deutschen Strompreise an der Börse liegen immer noch doppelt so hoch wie 2019“, rechnet DIHK-Präsident Peter Adrian vor. „Inklusive Steuern, Netzentgelten und Umlagen sind die Kosten zum Teil viermal so hoch wie in anderen Ländern.“ Deutsche Firmen bräuchten aber international wettbewerbsfähige Energiepreise sowie eine sichere und klimafreundliche Energieversorgung.
Deutschland muss einen Energieturbo zünden.

Niclas Wenz

Dazu muss Deutschland einen Energieturbo zünden – erläutert Niclas Wenz, Referatsleiter für Strommarkt, erneuerbare Energie und nationalen Klimaschutz bei der DIHK. Um den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben, müssten mehr Flächen für den Bau von Windkraft- und Photovoltaikanlagen ausgewiesen, Genehmigungsverfahren beschleunigt und Blockaden beseitigt werden. „Die Eigen­stromerzeugung sollte für Unternehmen attraktiver gemacht werden, etwa indem Überschüsse aus einer betrieblichen Photovoltaikanlage leichter in benachbarten Betrieben genutzt werden können“, so Wenz. „Sobald jemand in Deutschland auch nur eine Kilowattstunde Energie weitergibt, wird er zum Energieversorger und muss die gleichen Anforderungen erfüllen wie ein großer Stromlieferant. Das führt dazu, dass kaum jemand diese Möglichkeit nutzt und Anlagen von vornherein kleiner geplant werden.“ Die DIHK schlägt deshalb eine Bagatellgrenze vor, mit der überschüssiger Strom unkompliziert weitergegeben werden kann.

Energieinfrastruktur schneller ausbauen

Darüber hinaus setzt sich die DIHK für reduzierte Netzentgelte für Energieerzeugung in räumlicher Nähe ein. „Wenn ich mich als Unternehmen beispielsweise an eine örtliche Windkraftanlage anschließen möchte, zahle ich derzeit trotz der räumlichen Nähe das volle Netzentgelt“, erklärt Wenz. Reduzierte Netzentgelte könnten stattdessen einen Anreiz für Unternehmen bieten, eigene Anlagen zu bauen oder ausgeförderte Anlagen zu erwerben. So könnten nicht nur die heimischen Potenziale ausgebaut und die Abhängigkeit von Importen verringert werden. „Wir bräuchten dann auch nicht so viel Netzausbau in kürzester Zeit“, sagt Wenz. Auch würde mehr privates Kapital für die Energiewende mobilisiert.
Der Aus- und Umbau der Netzinfrastruktur ist eine weitere Herausforderung der Energiewende. „Bisher lag der Fokus in Deutschland auf der Erzeugung erneuerbarer Energien. Deren Transport und Übertragung wurden aber vernachlässigt“, erläutert Wenz. „Die Netzbetreiber müssen ihre Netze dringend verstärken, damit die immer zahlreicher werdenden erneuerbaren Energiequellen wie Wärmepumpen, Photovoltaikanlagen oder auch Ladestationen für E-Fahrzeuge angeschlossen werden können.“ Die notwendigen Modernisierungen dürften aber nicht einfach über die Netzentgelte auf Betriebe und Verbraucher umgelegt werden, bemerkt Wenz. „Das würde Deutschland als Wirtschaftsstandort noch weiter schwächen.“
Netzentgelte sind Gebühren, die Energieversorgungsunternehmen für die Nutzung des Stromnetzes erheben. Sie decken die Kosten für Firmen, die Instandhaltung und den Ausbau der Stromnetze. In Deutschland haben sich die Netzentgelte in den vergangenen gut zehn Jahren fast verdoppelt. Um wettbewerbsfähige Energiepreise zu erreichen, schlägt die DIHK vor, die Stromsteuer für alle Branchen dauerhaft auf das europäische Minimum zu senken und die Umlagen und Entgelte möglichst vollständig in den Bundeshaushalt zu überführen. Spürbare Fortschritte könnten auch langfristige Stromlieferverträge zwischen Betreibern von Erneuerbare-Energien-Anlagen und Stromabnehmern aus Industrie und Gewerbe in Form von „StromPartnerschaften“ bringen.

Investitionskosten statt Betriebskosten fördern

Mit Blick auf das bereits im Jahr 2000 in Kraft getretene Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das den Erzeugern erneuerbarer Energien feste Einspeisevergütungen garantiert, plädiert die DIHK dafür, künftig stärker auf den Markt, statt auf staatliche Planung zu setzen. „Das EEG gibt Sicherheit, hemmt aber auch die Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle, zum Beispiel im Bereich der Elektromobilität und der Systemdienlichkeit. Es fehlen finanzielle Anreize, Strom dann bereitzustellen, wenn Nachfrage besteht“, konkludiert Wenz. „Wir schlagen daher vor, dass der Staat statt der Betriebskosten einmalige Investitionen fördert.“
Klar ist: Bis zur Klimaneutralität ist es noch ein weiter Weg, die Energiewende in Deutschland muss aber weiter konsequent vorangetrieben werden – allerdings stärker mit marktwirtschaftlichen Mitteln. Dazu gehört laut Wenz auch, dass Politik und Wirtschaft den Wandel solidarisch tragen. „Die Energiewende ist eine gemeinschaftliche Aufgabe.“
Autorin:
Mascha Dinter, freie Journalistin
5/2024