Viele Töpfe auf dem niedersächsischen Herd

Ob Arbeitskräftemangel, überbordende Bürokratie, unberechenbare Energiepreise oder marode Infrastruktur – die Liste der Hemmnisse am Wirtschaftsstandort Niedersachsen ist lang. Doch wie lassen sich diese ausräumen oder zumindest abmildern? Darüber sprachen Ministerpräsident Stephan Weil und IHKN-Präsident Matthias Kohlmann in der Niedersächsischen Staatskanzlei.
IHKN: Herr Weil, was tun Sie, damit Unternehmen – auch die kleinen und mittleren – Niedersachsen wieder als attraktiven Wirtschaftsstandort wahrnehmen, an dem es sich lohnt zu investieren?
Weil: Ich besuche jetzt seit vielen Jahren zahlreiche Unternehmen. Und mir fällt auf, dass es im Wesentlichen immer drei Themen gibt. Erstens Kosten, vor allem Energiekosten, zweitens Überregulierung und drittens Arbeits- sowie Fachkräftegewinnung. Die Energiekosten können wir als Land nur indirekt beeinflussen durch die Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien. Wir nehmen aber gerade auch massiv Einfluss auf die Bundespolitik. Und jedenfalls Stand heute, gibt es durchaus ermutigende Signale, was die Entlastung der energieintensiven Industrie angeht.
Kohlmann: Die verlässliche, permanente Verfügbarkeit von Energie steht für die Unternehmen an erster Stelle. Wir haben als Gebiet in Niedersachsen den großen Vorteil, dass wir Häfen haben. Mit den LNG-Terminals in Wilhelmshaven und Stade haben wir eine Basis für eine sichere Energieversorgung geschaffen. Ich denke, das ist erstmal das Wichtigste bei Energie. Direkt dahinter folgt der Preis. Der muss international vergleichbar sein und auch zu den Branchen passen. Aber auch die Netzentgelte müssen angeschaut werden.
Weil: Da bin ich dabei. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht einer Reihe von Branchen die Arbeit in Deutschland unmöglich machen. Wir wollen nicht nur die Unternehmen schützen, die bei uns schon seit vielen Jahren die Wirtschaft entscheidend prägen, sondern auch für Zukunftsbranchen interessant sein. Dazu gehört beispielsweise die Produktion von Batterie- oder Solarzellen und noch einiges mehr. Die Reduktion der Netzentgelte ist ein wichtiger Punkt. Wir werden nach wie vor viel Geld in die Netzmodernisierung investieren. Wenn wir das weiter nur auf die Verbraucher umlegen, seien es die privaten oder gewerblichen, werden viele Betriebe das nicht mehr stemmen können. Deshalb benötigen wir in diesem Bereich eine gründliche Reform und ein deutliches Engagement des Staates.
Kohlmann: Eine dritte Komponente bei Energie, die man auch nicht außer Acht lassen darf, ist die Art, wie die Energie erzeugt wird: Stichwort Nachhaltigkeit. Die Defossilisierung ist ein großes Thema. Und das spiegelt sich zum Teil dann im Preis wider. Da die Energie auch transportiert werden muss, ist die Infrastruktur eine große Herausforderung. Vor einigen Wochen habe ich in Achim die erste Leitung des Wasserstoffkernnetzes gesehen. Die nötige Infrastruktur müssen wir jetzt aufbauen und gleichzeitig die Anwendungen fördern, um die Transformation zu ermöglichen.
Wir sehen, dass das Regelungsgeflecht insgesamt einfach viel zu groß geworden ist.

Stephan Weil

Herr Kohlmann, Ministerpräsident Weil hat das Thema Überregulierung bei den Top 3-Herausforderungen genannt. Was hören Sie aus der Unternehmerschaft?
Kohlmann: Wir hören immer, dass für die Unternehmen Bürokratie abgebaut werden soll. Ich sehe aber, dass Bürokratie in nächster Zeit weiter massiv aufgebaut wird. Ich sage hier nur Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, CBAM, CO2-Ausgleichsabgabe, Nachhaltigkeitsberichterstattung. Es kann nicht sein, dass ich, wenn ich für 150 Euro Schrauben aus dem Nicht-EU-Ausland kaufe, einen einzelnen Nachweis liefern muss.
Weil: Wir haben den kleinsten Hebel. Oft sind wir es, die Bundesgesetze oder europäische Regelungen umzusetzen haben. Wenn die aber sehr komplex sind, dann sind auch die Verfahren langwierig und kompliziert. Das ist dann auch keine gute Basis für eine Digitalisierung. Erfolgreiche Digitalisierung gelingt bei möglichst einfachen Verfahren. Das ist die Ausgangslage, mit der wir umzugehen haben. Wir müssen jetzt überflüssige Bürokratie abbauen und Prozesse vereinfachen. Wir sehen, dass das Regelungsgeflecht insgesamt einfach viel zu groß geworden ist.
Auch die aktuellen Umfragen zeigen, dass die Unternehmen weiterhin einen Fach- und Arbeitskräftemangel beklagen. Wie kann das Land hier unterstützen?
Weil: Wir müssen die Bildungsqualität erhöhen und damit auch die Ausbildungsqualität. Wir werden Lesen, Schreiben und Rechnen an den Grundschulen noch mal ganz anders betonen. Die Stundentafeln für die ersten Klasse sind bereits zum Schuljahr 2024/2025 angepasst worden. Zudem wird die Berufsbildung an Schulen ausgebaut. Die berufliche Orientierung wird Gegenstand einer Initiative des Kultusministeriums sein, voraussichtlich Anfang nächsten Jahres.
Kohlmann: Viele wollen zunächst in den akademischen Beruf, orientieren sich dann jedoch um und brechen ihr Studium ab. Ich finde, die duale Ausbildung wird unterschätzt und hat völlig zu Unrecht bei einigen ein Imageproblem. Wir als Kammern müssen zeigen, dass Berufsausbildung und akademische Ausbildung gleichwertig sind. Wichtig ist mir noch, dass die Landespolitik auch die Personen erreicht, die keinen Schulabschluss haben. Wir müssen diesen Personen Türen öffnen und sie auch motivieren.
Weil: Ja, da steckt noch viel Potenzial. Doch auch wenn wir für mehr Schulabschlüsse sorgen, werden wir nicht ohne kontrollierte Zuwanderung auskommen. Wir haben in Niedersachsen gerade eine zentrale Ausländerbehörde zur Fachkräfteeinwanderung auf den Weg gebracht. Sie soll zuständig sein für das Einreisemanagement und Prozesse bei der Einreise ausländischer Fachkräfte vereinfachen und beschleunigen. Aber wenn die Leute sich hier nicht willkommen- und wohlfühlen, werden sie nicht lange bei uns bleiben. Hier kommen dann auch die Wirtschaft und die Gesellschaft ins Spiel. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Integration von bereits hier lebenden Geflüchteten in den Arbeitsmarkt. Wir haben in den letzten neun Jahren in Niedersachsen etwa 250 000 Menschen aufgenommen. Das ist eine große Zahl. Noch können wir nicht zufrieden sein mit dem Anteil derjenigen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen.
Kohlmann: Das sehe ich genauso. Das kann ich aus meinen Erfahrungen mit Geflüchteten im privaten Bereich bestätigen. Doch uns muss klar sein: Wir können mit Geflüchteten nicht unsere Arbeitsmarktprobleme lösen, aber wir können mit Arbeit sehr viel Probleme der Geflüchteten lösen. Ich denke, das ist unser gemeinsamer Ansatz, eine gute Initiative ist das Bündnis ‚Niedersachsen packt an‘.
Lassen Sie uns zum Schluss noch zum Dauerbrenner Infrastruktur kommen? Wie ist das Land hier aktuell aufgestellt?
Weil: In Sachen Breitbandausbau und 5G-Netz haben wir große Fortschritte gemacht. Da sind wir unter den Flächenländern auf Platz 2 in Deutschland. Was Straßen, Schienen, Wasserwege und öffentliche Gebäude angeht, haben wir unbestritten einen Sanierungsstau. Wenn wir die Versäumnisse der Vergangenheit gründlich aufarbeiten wollen, werden wir das mit dem engen Finanz­korsett, das wir haben, nicht schaffen.
Kohlmann: Wichtig ist, dass neben der Wirksamkeit der Maßnahmen aber auch die Machbarkeit in Zeiten des Arbeitskräftemangels berücksichtigt wird. Geschwindigkeit, finanzielle Machbarkeit und personelle Ressourcen spielen immer eine Rolle. Und es stehen Projekte eben auch in Konkurrenz.
Weil: Das ist so ein bisschen wie eine zu kurze Bettdecke, bei der man sich entscheiden muss, ob es unten kalt sein kann oder oben. Es stehen zu Recht im Moment viele Kochtöpfe gleichzeitig auf dem Herd. Und man mag auch aus Verantwortung den nachfolgenden Generationen gegenüber keinen herunternehmen.
Kohlmann: Es sind wirklich viele Kochtöpfe, die eigentlich alle ein bisschen mehr Energie benötigen, um zu Ende gekocht zu werden.
Quelle: IHK Niedersachsen
9/2024