Vertrieb und Markteinführung innovativer Produkte
Erst mit dem erfolgreichen Marktzugang wird aus einer guten Idee eine echte Innovation. Lesen Sie hier, welche Methoden von der Marktanalyse bis zum Onlinemarketing den erfolgreichen Vertrieb neuer Produkte unterstützen können und welche Hilfe weitere Anlaufstellen bieten.
Ausgangslage
Häufig resultieren Innovationen aus der Verfügbarkeit neuer Technologien, hochspezialisiertem Know-how oder zufälligem Aufeinandertreffen von Wissen, Erfahrungen und Ideen. Für das entsprechende Unternehmen entsteht somit erhebliches Wachstumspotenzial durch Zugang zu neuen Märkten.
Doch hier beginnen die Herausforderungen: Funktioniert der neue Markt so, wie der seit Jahrzehnten bekannte? Welcher Marketing-Mix eignet sich, um die Kunden für das Produkt zu begeistern? Sind bestimmte Zulassungen oder Kennzeichnungen erforderlich?
Vertrieb von der Entwicklung an mitdenken
Eine sequentielle Abfolge der Art Marktanalyse – Entwicklung – Vertrieb ist nur in wenigen Fällen zielführend. Vielmehr müssen diese Maßnahmen ebenso ineinandergreifen, wie die ausführenden Akteure eng zusammenarbeiten müssen.
Im Folgenden sind daher nicht nur verschiedenste Methoden und Hilfsmittel rund um die Markteinführung von Produkten zusammengefasst, sondern ebenso Beispiele zur Flankierung erfolgreicher Vertriebsmaßnahmen bereits in verschiedenen Phasen der Produktentstehung.
Produktsicherheit und Produkthaftung
Deutlich vor der tatsächlichen Markteinführung - idealerweise gleich zu Beginn der Produktentwicklung - sollte geprüft werden, ob alle rechtlichen Anforderungen an das Produkt bekannt sind und eingehalten werden. Speziell bei Produkten, die für das eigene Unternehmen neu sind, besteht aufgrund der Vielfalt an Regelungen ein gewisses Risiko, eine oder mehrere Vorgaben zu übersehen. Hier sind insbesondere die Bereiche Produktsicherheit (zum Beispiel CE-Richtlinien) und Produkthaftung zu nennen, aber auch umwelt-, lebensmittel- oder chemikalienrechtliche Vorschriften sowie damit verbundene Kennzeichnungs- und Dokumentationspflichten.
Grundsätzlich müssen alle Produkte sicher sein. Fällt ein Produkt beispielsweise unter eine CE-Richtlinie, darf es erst nach Erfüllung der in dieser Richtlinie beschriebenen Anforderungen in Verkehr gebracht werden. Haftungsrisiken können sich dabei nicht nur bei einem Verstoß gegen eine der zahlreichen expliziten Vorschriften ergeben, auch Formulierungen in Werbeprospekten oder der Betriebsanleitung können verschiedenste Risiken mit sich bringen.
Auf unserer Website finden Sie umfangreiche Informationen zu diesen Themen in speziellen Kapiteln zu den Bereichen CE-Kennzeichnung und Normen, Produkthaftung und Produzentenhaftung sowie Produktrückrufe. Informationen zu weiteren potenziell relevanten Bereichen von der Verpackungsverordnung bis zur EAN/GTIN Nummer finden Sie in unserem Leitfaden Produktentwicklung. Zudem enthält der Artikel Herstellung und Inverkehrbringen von Produkten Hinweise zur Bedeutung dieser für das Verständnis verschiedener Gesetze wichtigen Begriffe.
Kaufentscheidungen verstehen
Definieren Sie nicht aus dem Büro oder der FuE-Abteilung heraus Alleinstellungsmerkmale (USP). Am Anfang sollte die Frage stehen, wer später überhaupt Einfluss auf die Kaufentscheidung für Ihr neues Produkt hat: Zum Beispiel der Endkunde im Geschäft, der Online-Händler per Aufnahme in sein Portfolio, der Einkäufer des Maschinenbau-Unternehmens oder eine zentrale europäische Beschaffungsabteilung mit strukturierter Bezugsquellenfreigabe? Je nachdem gilt es zu verstehen, welche Kriterien für die einzelnen Entscheider gelten und wie diese mit den jeweils anderen wechselwirken: Entscheidet etwa der Endkunde über das Material oder nur über die Farbe? Wird der Verkäufer über Provisionsmodelle, Markenbindung, Liefersicherheit oder technische Details zum Anbieten der Produkte animiert?
Vereinfachte Darstellung einer möglichen Vorgehensweise zur Ermittlung von Kaufentscheidern sowie deren Anforderungen und Kriterien.
© IHK Bodensee-Oberschwaben
Für einen ersten Überblick über diese Kriterien eignen sich in der Regel Experteninterviews, gegebenenfalls durch externe Dienstleister. Häufig kommt hierbei das Förderinstrument Innovationsgutschein A zum Einsatz, welcher 2.500 Euro Zuschuss für extern beauftragte (kleinere) Marktstudien bietet. Auch eine eigenständige Umsetzung der Interviews ist denkbar. Mögliche Ansprechpartner in Unternehmen verschiedenster Branchen finden Sie in zahlreichen verfügbaren Online-Datenbanken.
Sobald die Entscheidungswege, Vertriebswege und Anforderungen der einzelnen Akteure verstanden sind, können die theoretisch machbaren USP erstmals auf den Prüfstand kommen: Nur diejenigen sollten gewählt werden, die Bedarf und Interesse eines tatsächlichen Kaufentscheiders abdecken oder den relevanten Personen mit Einfluss auf die Kaufentscheidung die erforderlichen (oder gewünschten) Argumente liefern. Selbstverständlich sollte der Kunde auch bereit sein, etwaige Mehrkosten für bestimmte Produkteigenschaften zu bezahlen.
Den Markt analysieren
Inwieweit eine breite Marktanalyse erforderlich ist, hängt vom jeweiligen Produkt und dem Ergebnis der ersten oben angegebenen Analysen ab. Gerade für kleinere Unternehmen ist es ratsam, vor umfassenden Marktstudien zu prüfen, ob ein künftiger Vertriebspartner nicht schon über die meisten relevanten Daten verfügt.
Erste Einblicke in Märkte bieten neben der Kenntnis etwaiger Vertriebspartner beispielsweise Daten der statistischen Ämter, verschiedene Studien und Statistiken von Ministerien oder Europäischer Kommission beziehungsweise weiterer Einrichtungen, Studien von Kammern oder Verbänden sowie wissenschaftliche Veröffentlichungen. Auch die Prodcom-Produktionsstatistiken unterstützen die Analyse. Ebenso bieten verschiedene Dienstleister entsprechende Daten beziehungsweise Studien an.
Von elementarer Bedeutung ist eine umfassende Übersicht über Wettbewerber beziehungsweise Konkurrenzprodukte. Beschränken Sie sich bei der Suche nach diesen nicht auf die aus Ihrer Perspektive relevante Produktbezeichnung. Verwenden Sie alternative Begriffe und suchen Sie zum Beispiel auch per Online-Suche anhand der Bedarfssituation nach Lösungen beziehungsweise Produkten. Beispiel: Eine “LED-Feuchtraumleuchte” könnte ebenso gesucht werden mittels “Keller Lampe”, “Badbeleuchtung sparsam” und so weiter.
Je nach Branche eignen sich manchmal auch Patentdatenbanken für die Suche nach Wettbewerbern oder ähnlichen Produkten. Wie Sie mit überschaubarem Aufwand einen ersten Überblick erhalten, erfahren Sie in unserem Leitfaden Patentrecherche.
Tipp: Zeitweise verwenden Kunden oder andere Anbieter ganz unterschiedliche Begriffe für ein Produkt. Unter anderem unterstützt der Google Keyword-Planer bei der Identifikation typischer in Google eingegebener Suchanfragen. Diese Analyse unterstützt nicht nur Ihren Marktüberblick im Vorfeld der Entwicklung, sondern stellt auch eine wesentliche Grundlage für den späteren Teilbereich Online-Marketing dar.
Kooperationen eingehen
Der Anteil der Vertriebskosten am Umsatz mit etablierten Produkten liegt nicht selten im zweistelligen Prozentbereich. Entsprechend sind mit dem Vertrieb von Innovationen anfangs hohe Kosten verbunden. Analysieren Sie diese realistisch und selbstkritisch: Planen Sie zum Beispiel mit insgesamt 20 Mitarbeitern den Zugang zu einem Markt, in dem Wettbewerber 500 und mehr Vertriebsmitarbeiter haben? Ist es realistisch, in diesen Markt “nebenbei” ein vielleicht sogar erklärungsbedürftiges Produkt einzuführen?
Häufig ist es sinnvoll, Kooperationen mit Unternehmen einzugehen, die im angestrebten Markt etabliert sind oder zumindest die erforderlichen Kapazitäten für einen Marktzugang haben. Der Kooperationspartner sollte hierbei nicht nur als Vertriebsgesellschaft für das fertige Produkt betrachtet werden. Durch Marktkenntnisse oder technisches Know-how in wichtigen Teilbereichen kann bereits zu Beginn der Produktentwicklung ein großer Mehrwert für beide Seiten entstehen.
Für FuE-Kooperationen bieten zahlreiche Förderprogramme von EU, Bund und Land Zuschüsse in teilweise beachtlicher Höhe. Hierdurch werden die Risiken der Entwicklung verringert und der Einstieg in eine Kooperation fällt unter Umständen leichter als in Form von Preisverhandlungen für den Vertrieb eines fertigen “fremden” Produkts.
Kunden einbeziehen
Durch anfängliche Marktanalyse ist die Einbeziehung von Kunden nicht abgeschlossen. Unter dem Schlagwort Open Innovation werden zahlreiche Konzepte propagiert, die Kunden in verschiedenen Phasen der Produktentstehung einzubeziehen und deren Anforderungen und Erfahrungen aufzugreifen.
Ein pragmatischer Ansatz besteht häufig darin, zunächst ausgewählte “freundliche Kunden” in geeigneten Phasen der Produktentwicklung einzubeziehen. Dies kann zum Beispiel realisiert werden durch gezielte Besuche bei den Kunden, Workshops im Rahmen von Messen oder eigenen Kundenveranstaltungen oder in Form von Demonstrator-/Prototypen-Vorführungen durch regionale Vertriebsmitarbeiter. Wenn 9 von 10 einbezogenen Kunden einen bestimmten Knopf vermissen, das Design ablehnen oder das Produkt falsch bedienen, sollte mit hoher Wahrscheinlichkeit nachgebessert werden. Gleichzeitig ergänzt dieses Feedback die anfängliche Marktanalyse, indem bestimmte Anforderungen oder Verhaltensweisen nicht erst am fast fertigen Produkt zu Tage treten. Häufig lassen sich bereits durch einfache Maßnahmen erhebliche Kosten infolge unnötiger oder nicht zielgerichteter Entwicklung vermeiden.
Das Produkt muss hierbei nicht zwingend fertig entwickelt sein. Ganz im Gegenteil können fortlaufend gesteigerte “Testverkäufe” dieser Art dazu führen, dass erste Kunden bereits vor dem eigentlichen Vertrieb positive Erfahrungen mit Ihrem Produkt verbinden oder Dritten beziehungsweise deren Kunden den baldigen Start eines innovativen Produkts ankündigen.
Je nach Produktart kann die Anzahl einbezogener Kunden sukzessive gesteigert werden. Häufig kommen auf Basis der ersten Erfahrungen erstellte Kundenumfragen (online oder durch Vertriebsmitarbeiter) in größerem Umfang zum Einsatz. So eignet sich beispielsweise eine Umfrage zur bisherigen Zufriedenheit zur Platzierung einer für das neue Produkt relevanten Frage.
Hinweis: Falls Sie die Anmeldung gewerblicher Schutzrechte (zum Beispiel Patente) anstreben, darf eine Erfindung vorab nicht offenbart werden. Berücksichtigen Sie dies gegebenenfalls in Zusammenhang mit den aufgeführten Maßnahmen und beziehen Sie - falls erforderlich - einen Patentanwalt in die Planung der Vorgehensweise ein.
Das Geschäftsmodell festlegen
Während der Verkauf eines Produkts oder die Erbringung einer Dienstleistung naheliegende Geschäftsmodelle darstellen, bestehen deutlich darüber hinausgehend Möglichkeiten zur Generierung von Umsätzen, zur Bindung von Kunden oder hinsichtlich anderer Zielsetzungen.
Insbesondere die Digitalisierung birgt in diesem Zusammenhang erhebliche disruptive Potenziale, weshalb eine systematische Analyse möglicher Geschäftsmodelle nicht nur Impulse hinsichtlich des eigenen Konzepts liefern kann, sondern auch die frühzeitige Erkennung möglicher Risiken unterstützt.
In unserem Leitfaden Digitalisierung und neue Geschäftsmodelle finden Sie einen einführenden Überblick sowie erste Anregungen zum praktischen Vorgehen. Die Erläuterungen und weiterführenden Informationsquellen lassen sich ohne weiteres sinngemäß auch auf Geschäftsmodelle ohne Bezug zur Digitalisierung übertragen.
Vorbereitung des Vertriebs
Marketing ist nur ein Aspekt des Vertriebs. Absolute Grundvoraussetzung sind zwar ein gelungener Online-Auftritt, ansprechende und vollständige Verkaufsunterlagen sowie gegebenenfalls Instrumente wie Anzeigenwerbung, Messeauftritte oder auch einfach nur Muster des Produkts – beziehen Sie jedoch frühzeitig auch alle relevanten Personen ein.
Idealerweise haben Sie bereits in der Anfangsphase Mitarbeiter beziehungsweise Kollegen aus Vertrieb, Service-Abteilung, Auftragsabwicklung et cetera konsultiert. Planen Sie nun rechtzeitig Schulungen für die entsprechenden Personenkreise ein. Stimmen Sie im Vorfeld ab, aus welcher Perspektive diese Akteure das Produkt wahrnehmen. Beschränken Sie die internen Informationen nicht auf den Inhalt des Verkaufsprospekts, sondern stellen Sie es anhand des Alltags der jeweiligen Abteilung dar. Sehr schnell werden Sie dabei auf noch zu ergänzende Instrumente und Hilfsmittel aufmerksam: Interne Vergleichslisten mit anderen Produkten für den Vertrieb, ein Montage-Muster für den Innendienst zur besseren Bearbeitung von Anfragen, einen ergänzen Hinweis für die Logistik und so weiter.
Der Marktzugang
Anhand der Analyse von Wettbewerbern und Funktionsweise des Marktes können Sie frühzeitig ermitteln, wie das fragliche Produkt typischerweise beworben beziehungsweise eingeführt wird. In Frage kommen je nach Produktart häufig Messen, Anzeigen in Fachzeitschriften, Aussendungen an Endkunden, Fachhändler oder sonstige Multiplikatoren, spezielle Events für Händler, der direkte Vertrieb durch den Außendienst, Aktionsstände im Handel et cetera - und selbstverständlich eine große Bandbreite an Maßnahmen des Online-Marketings.
Für die Suche nach Ansprechpartnern im B2B-Vertrieb eignen sich beispielsweise zahlreiche verfügbare Online-Datenbanken.
Eine weitere Option sind zudem Crowdfunding-Plattformen. Vereinfacht zusammengefasst bieten diese die Möglichkeit, eine neue Produktidee online vorzustellen und beispielsweise die erforderlichen Mittel für Entwicklung, Produktion, Markterschließung oder ähnliches von vielen Einzelpersonen einzusammeln. Typische Gegenleistung des Anbieters sind Prämien wie das jeweilige Produkt selbst, eine Erfolgsbeteiligung oder eine Rückzahlung des “Kredits”. Indem bereits im Vorfeld zahlreiche Unterstützer gefunden werden müssen, wird parallel zur Finanzierung des Projekts die erste Zielgruppe aufgebaut. Darüber hinaus können deren Ideen für Verbesserungen gegebenenfalls direkt in die weitere Umsetzung einfließen.
Verlassen Sie sich beim Vertrieb nicht auf Einzelmaßnahmen wie einen redaktionellen Bericht über Ihr Produkt in einem Fachmagazin oder einen Prospekt mit markantem Spruch. Dies sind wichtige Aspekte, oft führt aber nur der zeit- und kostenintensive Einsatz mehrerer Vertriebs- und Marketingelemente zum gewünschten Erfolg. Konkret bedeutet dies zielgruppenspezifisches Marketing, regelmäßiger enger Kontakt mit Multiplikatoren, Händlern sowie Endkunden und vor allem eine regelmäßige Auswertung von Kennzahlen. Beziehen Sie gegebenenfalls spezialisierte Marketingagenturen oder Vertriebsexperten ein.
Zusammenfassung
Diese Darstellung kann nur als erster Einstieg in die konkrete Vorbereitung Ihres Marktzugangs dienen. Als wesentliche – in der Regel zielführende – Erfolgsfaktoren einer erfolgreichen Vertriebsstrategie für innovative Produkte lassen sich jedoch festhalten:
- Vor Markteinführung alle rechtlichen Anforderungen an das Produkt ermitteln und deren Erfüllung sicherstellen.
- Die Funktionsweise des relevanten Marktes verstehen: Wer entscheidet auf welchem Weg über den Kauf und wer beeinflusst diesen auf welche Weise?
- Die Anforderungen der Kaufentscheider und Kunden erfassen: An das Produkt selber und an Zusatzinformationen und Hilfsmittel.
- “Freundliche Kunden” nach Möglichkeit früh in die Entwicklung einbinden: Was macht der Kunde überhaupt mit dem Produkt – benutzt er es so wie “gewünscht”? Was fehlt oder ist gar nicht notwendig?
- Sukzessive mehr Kunden einbeziehen: Zur Verbesserung des Produktes noch während der Entwicklung und zur Generierung eines “Wartens auf das bessere Produkt”.
- Beim Marketing die Kundenperspektive einnehmen: Welche tatsächliche Bedarfslage wird mit dem Produkt befriedigt?
- Bei Website und Online-Marketing Begriffe umsetzen, die auch tatsächlich gesucht werden sowie solche, die der Bedarfslage entsprechen.
- Multiplikatoren, Mitarbeiter und Vertriebspartner laufend einbeziehen und rechtzeitig per Schulung oder Event mit allen wichtigen Informationen ausstatten.
- Erforderlichen Zeit- und Kostenaufwand einplanen und konsequent investieren.