Rückrufaktionen und Rückrufmanagement
Falls trotz aller Vorsichtsmaßnahmen ein Produktrückruf erforderlich ist, finden Sie hier Informationen zur Vorgehensweise sowie zur proaktiven Vorbereitung auf dieses Szenario.
Hinweis: Diese Informationen stellen die Thematik stark vereinfacht dar und behandeln in erster Linie vom Produktsicherheitsgesetz erfasste Produkte. Je nach Produktkategorie sind andere oder spezifischere - teilweise deutlich weitergehende - Maßnahmen erforderlich. Bei der Umsetzung betriebs- beziehungsweise produktspezifischer Maßnahmen ist die Einschaltung eines erfahrenen Dienstleisters beziehungsweise Rechtsexperten zu empfehlen.
Allgemeines
An erster Stelle steht für Unternehmen selbstverständlich das Herstellen und Inverkehrbringen sicherer Produkte. Zu diesem Thema sowie zur Minderung von Produkthaftungsrisiken finden Sie auf unserer Website detaillierte Informationen.
Dennoch ist nie ganz auszuschließen, dass erst nach dem Inverkehrbringen von einem Produkt ausgehende Fehler erkannt werden. Dies kann beispielsweise begründet sein durch
- bei der Entwicklung oder Produktion nicht erkannter Fehler (zum Beispiel Brandgefahr durch zu gering dimensionierter Elektronikkomponente)
- nicht vorhergesehenen – jedoch naheliegenden und weit verbreiteten - Einsatz des Produkts durch die Nutzer (zum Beispiel Verwendung eines Werkzeugs als Spielzeug)
Der Rückruf eines Produkts stellt im Fall von Sicherheitsrisiken die ultimative Maßnahme dar. Besteht beispielsweise ein sehr geringes Risiko und kommt das Produkt ausschließlich bei fachkundigen Personen zum Einsatz, genügen – auf Basis einer systematischen Bewertung - möglicherweise Maßnahmen wie etwa Informationen über die korrekte beziehungsweise sichere Verwendung oder eine Anpassung der künftig ausgelieferten Produkte.
Dennoch ist es für Hersteller grundsätzlich ratsam, sich auf das Szenario einer Rückrufaktion vorzubereiten. Wenngleich die konkreten Maßnahmen je nach Einzelfall anzupassen sind, können einige grundsätzliche Fragen und Handlungsoptionen in der Regel proaktiv durchdacht und vorbereitet werden.
Dieser Leitfaden soll hierbei als erste Orientierung dienen und dadurch den Einstieg in die Thematik erleichtern.
Rechtliche Grundlagen
Paragraph 6 des Produktsicherheitsgesetzes fordert von Herstellern, Einführern (Importeuren) und Händlern Maßnahmen zur Vermeidung von Risiken durch Verbraucherprodukte. Explizit genannt werden Maßnahmen bis hin zu Warnungen oder dem Rückruf. Zudem muss die am Geschäftssitz zuständige Marktüberwachungsbehörde über das Vorliegen eines Risikos sowie über die getroffenen Maßnahmen zur Vermeidung dieses Risikos unterrichtet werden.
Analoge Aussagen finden sich in den verschiedenen CE-Richtlinien beziehungsweise deren nationaler Umsetzung, in der Regel im Artikel zu den jeweiligen Pflichten für Hersteller, Einführer und Händler (Beispiel 1. ProdSV). Zudem lässt sich auch aus der Produzentenhaftung eine Pflicht zur Produktbeobachtung ableiten, weshalb letztlich für jedes Produkt eine Analyse von Rückruf-Szenarien anzuraten ist.
Ein mit der Meldepflicht verbundener Grundgedanke ist – neben dem Schutz der Verbraucher - die Möglichkeit, dass von gleichartigen Produkten (anderer Hersteller) ähnliche Risiken ausgehen könnten. Hieraus könnten sich dementsprechend auch produktspezifische Kontrollen von Marktaufsichtsbehörden bei anderen Anbietern ergeben.
In verschiedenen Leitlinien wird auch auf die Pflicht zur Nachbeobachtung von Produkten hingewiesen, beispielsweise in Form von Berichten über Unfälle, sicherheitsrelevanten Beschwerden der Verbraucher, über die Qualitätskontrolle des Unternehmens gemeldete Fehler oder wissenschaftlichen Entwicklungen im Bereich Produktsicherheit.
Ablauf einer Rückrufaktion
Ein auf der Website der Europäischen Kommission verfügbarer Leitfaden (noch aus dem Jahr 2004) gibt einen kompakten Überblick über Vorbereitung und Ablauf von Korrekturmaßnahmen einschließlich Rückrufen. Die Kurzfassung ab Seite 51 ermöglicht einen schnellen ersten Überblick.
Stark vereinfacht zusammengefasst stellt sich der Ablauf folgendermaßen dar:
Ausgangssituation
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Über ein im Vorfeld aufgebautes Verfahren zur Produktbeobachtung oder über andere Kanäle gehen Hinweise auf Risiken durch ein Produkt ein.
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Erforderlichkeit von Maßnahmen ableiten
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Bei mittlerem oder hohem Risiko sind laut Leitfaden (zeitnahe) Maßnahmen erforderlich. Bei geringem Risiko können sich Maßnahmen möglicherweise auf Änderungen beim Produktdesign oder ähnlichem beschränken.
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Bestimmung der Korrekturmaßnahmen
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Zum Beispiel Information der Marktüberwachungsbehörden, Information von Händlern, Kommunikationsmaßnahmen in Richtung der Verbraucher zusammenstellen, Rückruf, interne Anpassungen bezüglich Konstruktion/Produktion/Anleitung
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Durchführung der Maßnahmen
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Wie oben
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Überwachung des Fortschritts
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Zum Beispiel Messung anhand von Zielparametern beziehungsweise Reaktionsgraden
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Aus der Erfahrung lernen
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Ableitung von Maßnahmen gegen künftige Fehler, Identifikation von Verbesserungsmöglichkeiten für künftige Korrekturmaßnahmen
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Bereits diese vereinfachte Zusammenfassung des oben aufgeführten Leitfadens macht deutlich, dass sich im Falle eines Rückrufs zahlreiche Detailfragen stellen werden (zum Beispiel Identifikation betroffener Chargen, zuständige Behörden, interne Zuständigkeiten, Arbeitshilfen und vieles mehr), auf die man sich teilweise jedoch gut vorbereiten kann.
Rückrufmanagement
Das Rückrufmanagement zielt in erster Linie darauf ab, einen Prozess zur Produktbeobachtung zu etablieren, die hieraus resultierenden Erkenntnisse systematisch zu bewerten und gegebenenfalls erforderliche Maßnahmen einzuleiten. Vereinfacht zusammengefasst lassen sich vier grundsätzliche Elemente darstellen:
Entwicklung, Beschaffung, Produktion, Inverkehrbringen
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Nur sichere Produkte in Verkehr bringen. Relevante Quellen, Technologien, Nutzergruppen, Wettbewerber et cetera für Produktbeobachtung definieren
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Produktbeobachtung
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Informationen über Produktfehler, Verwendungsarten, technischen und wissenschaftlichen Fortschritt et cetera sammeln
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Risikoeinschätzung
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Hinweise auf Risiken systematisch bewerten
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Reaktion auf Risiken
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Anpassung des Produkts/Warnung /Rückruf/Meldung an Behörden …
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Im Folgenden werden über diese Kernelemente hinaus einige beispielhafte Handlungsoptionen in der Praxis weiter konkretisiert. Die Reihenfolge ist eher zufällig gewählt und entspricht nicht zwingend derjenigen einer praktischen Umsetzung.
Chargenverwaltung
Kann die von einem Rückruf betroffene Charge nicht hinreichend eingegrenzt werden, droht ein unnötig großer Aufwand beispielsweise durch Ausweitung der Rückrufaktion auf Produkte aus einem größeren Produktionszeitraum oder gar die gesamte Serie.
Insofern ist es ratsam, jederzeit in der Lage zu sein, Produkte nicht nur Vertriebsregionen, Händlern oder Kunden zuordnen zu können, sondern auch Lieferanten, Rohstoffen, Produktionslinien, Fertigungszeiträumen und so weiter.
In der Praxis wird dies häufig über das ERP-System in Verbindung mit geeigneten Kennzeichnungen an den Produkten (Seriennummer, Losnummer, spezifische Modellbezeichnungen oder ähnlichem) realisiert. Entsprechend sollte gegebenenfalls bereits im Rahmen der Produktentwicklung auf eine Möglichkeit zur Kennzeichnung geachtet werden. Teilweise ist eine entsprechende Kennzeichnung auch gesetzlich vorgeschrieben.
Rückruf-Team
Im Unternehmen sollte ein Rückruf-Team definiert sein, welches im Fall einer Rückrufaktion mit der operativen Umsetzung betraut wird. Dies setzt sich typischerweise - je nach Verfügbarkeit im eigenen Unternehmen - aus Vertretern von Entwicklungsabteilung, Qualitätssicherung, Produktion, Einkauf, Vertrieb, Marketing, Buchhaltung, Rechtsabteilung zusammen.
Es empfehlen sich ein anfänglicher intensiverer und dann ein in angemessenem Umfang regelmäßiger Austausch über Rückruf-Szenarien, Pflichten, interne Zuständigkeiten et cetera.
Unter anderem bietet es sich an, diese Gruppe mit einer regelmäßigen Zusammenführung und Bewertung der relevanten Informationen zu befassen. Auch könnte jeweils exemplarisch eine Bewertung eines fiktiven Risikos vorgenommen werden, um im Ernstfall mit der Methodik und aufkommenden Fragen vertraut zu sein. Zudem ergeben sich aus dieser Diskussion möglicherweise Erkenntnisse, die zur Vermeidung von Fehlern oder Risiken in den jeweiligen Abteilungen führen.
Produktbeobachtung
Die Produktbeobachtung ist in der Regel an die Produktart und die potenziell vom Produkt ausgehenden Risiken anzupassen. Für die praktische Umsetzung der Produktbeobachtung kommen ganz unterschiedliche Quellen in Frage, zum Beispiel Stichproben-Prüfungen, die Erfassung und Auswertung von Reklamationen, die Beobachtung relevanter Literatur und Datenbanken, Presseberichte, Kundenbefragungen, Informationen von Händlern. Rein exemplarisch sind beispielsweise auch das Portal www.rueckrufe.de oder die Meldungen im Safety Gate zu nennen, über welche nach Hinweisen auf Risiken bei ähnlichen Produkten gesucht werden könnte.
Wichtig sind insbesondere die systematische Dokumentation der Maßnahmen zur Produktbeobachtung (beziehungsweise der konkreten Erkenntnisse bei jeder Durchführung) sowie ein funktionierender Prozess zur Zusammenführung der Ergebnisse (zum Beispiel beim Rückruf-Team).
Idealerweise lassen sich Synergien mit anderen Aktivitäten darstellen, so dass keine mehrfache Führung “paralleler Listen” bei verschiedenen Mitarbeitern beziehungsweise Abteilungen notwendig ist (zum Beispiel eine Verknüpfung mit Datenbanken im Kontext Wettbewerbsbeobachtung, Innovationsmanagement, Service-Auswertungen, Marktanalysen, ...)
Anlaufstellen
Eine kurzfristig erforderliche Recherche geeigneter oder zuständiger Ansprechpartner beziehungsweise Behörden kann im Ernstfall zu einer erheblichen Verzögerung der übrigen Maßnahmen führen.
Dementsprechend könnten beispielsweise folgende Kontaktinformationen im Vorfeld zusammengefasst werden:
- Umgehend zu informierende Mitarbeiter, beispielsweise zur Information über einen Vertriebsstopp beziehungsweise zum Umgang mit Kundenanfragen (zum Beispiel Vertrieb, Produktion, Einkauf, Marketing, Buchhaltung, ...)
- Zu informierende Vertriebspartner (Vertriebsgesellschaften, Händler, ...)
- Zuständige Marktüberwachungsbehörden (sofern eine Meldepflicht besteht)
- BAuA-Rückruf-Formular
- Externe Test- beziehungsweise Prüflabore
- Externe Berater oder Anwälte
- Versicherung
- Ansprechpartner bei IHK, Verband et cetera
- Dienstleister (zum Beispiel für Service-Rufnummern, Pressearbeit et cetera)
Dokumente und Informationen
Im Rahmen der Produktentwicklung und Fertigung werden zahlreiche Dokumente erstellt, zum Beispiel die technischen Unterlagen im Sinne der CE-Richtlinien, Stücklisten, Prüfvorschriften, et cetera.
Es sollte sichergestellt werden, dass im Falle eines Rückrufs beispielsweise auch in Urlaubszeiträumen vollständiger Zugriff auf die erforderlichen Unterlagen möglich ist. Demgegenüber stehen die notwendige Geheimhaltung bestimmter Informationen und die daraus resultierende Beschränkung des internen Zugriffs auf diese. Dementsprechend sollte ein Rückrufszenario bei der Definition der Zugriffsrechte berücksichtigt beziehungsweise durchgespielt werden.
Im Vorfeld studierte Literatur beziehungsweise Leitfäden sollten ständig verfügbar sein, insbesondere auch eine Vorlage beziehhungsweise Anleitung zur Bewertung des Risikos. Zudem bietet sich auf Basis der weiterführenden Literatur die Erstellung einer unternehmensspezifischen Checkliste an. Ebenso könnten Vorlagen für Kundeninformationen auf Websites, Anschreiben an Kunden/Händler und ähnliches vorbereitet werden.
Im Vorfeld studierte Literatur beziehungsweise Leitfäden sollten ständig verfügbar sein, insbesondere auch eine Vorlage beziehhungsweise Anleitung zur Bewertung des Risikos. Zudem bietet sich auf Basis der weiterführenden Literatur die Erstellung einer unternehmensspezifischen Checkliste an. Ebenso könnten Vorlagen für Kundeninformationen auf Websites, Anschreiben an Kunden/Händler und ähnliches vorbereitet werden.
Checkliste
Die folgenden Fragestellungen können - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - Hinweise liefern, ob in Ihrem Unternehmen weiterführende Maßnahmen im Bereich Rückrufmanagement erforderlich sind.
[ ] Erfolgt eine systematische Beobachtung der eigenen beziehungsweise vergleichbarer Produkte? Werden Durchführung und Ergebnisse dokumentiert?
[ ] Erfolgt eine systematische Beobachtung der eigenen beziehungsweise vergleichbarer Produkte? Werden Durchführung und Ergebnisse dokumentiert?
[ ] Sind Mitarbeiter mit Kundenkontakt hinsichtlich der Erkennung, Erfassung und Weitergabe sicherheitsrelevanter Hinweise sensibilisiert?
[ ] Sind die internen Kommunikationswege und Zuständigkeiten hinsichtlich des Umgangs mit potenziell sicherheitsrelevanten Informationen bekannt? Laufen die Informationen an geeigneter Stelle zusammen?
[ ] Erfolgt eine Chargenverwaltung beziehungsweise ist eine Zuordnung von Produkten zu Materialien, Lieferanten, Abnehmern et cetera möglich?
[ ] Existiert eine Checkliste oder ein Notfallplan, was im Fall risikobehafteter Produkte zu tun ist?
Weiterführende Informationen und Anlaufstellen
Verschiedene Institutionen bieten Informationen rund um das Thema Produktrückruf an, zudem existiert diverse Literatur zum Thema, die sich beispielsweise als weiterführende Hilfestellung für ein Rückruf-Team eignet.
Auf der BAuA-Website findet sich eine strukturierte Übersicht mit Links zu weiterführenden Leitfäden.
Verschiedene Berater bieten Dienstleistungen rund um die Thematik an. Zudem bieten mehrere Versicherungen Rückrufkostenversicherungen an, die in der Regel mit spezifischen Vorgaben für den Versicherten hinsichtlich des Rückrufmanagements verbunden sind.