Leitartikel

Personalentwicklung in Zeiten der Transformation

Die ZF Friedrichshafen AG bekommt den Wandel als weltweit aktiver Technologiekonzern in den Bereichen Automobil, Mobilität und Sparten wie Bau- und Landmaschinen, Windkraft, Bahn- und Schiffsverkehr besonders zu spüren und reagiert auf diese Veränderungen. „Rund 50 Prozent unserer Jobrollen sind extrem von der Transformation betroffen“, erklärt Anke Bergmann von der Personalentwicklung in Deutschland. Ob E-Mobilität, Nachhaltigkeitsthemen oder Digitalisierung, es würden sich große Chancen eröffnen, an neuen Märkten zu partizipieren: „Dies stellt neue Herausforderungen an die Qualifikation der Mitarbeitenden, um die Wettbewerbsfähigkeit der Standorte in Deutschland langfristig zu sichern.“ Aktuell arbeiten rund 54.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an deutschen ZF-Standorten. „Das Thema Personalentwicklung ist von großer Bedeutung“, sagt Bergmann. Felix Aurich, zuständig für den Bereich Kompetenzentwicklung und Reskilling (=Umschulung) bei ZF, nennt ein Beispiel: „Der mechanische Entwicklungsingenieur wandelt sich zum Software-Entwicklungsingenieur.“ Neben der Forschung und Entwicklung betreffe diese Transformation auch andere Berufsgruppen in allen Bereichen: „Manche Jobs verändern sich aufgrund der Transformation so stark oder fallen sogar weg, sodass wir bei ZF hierfür eine Lösung finden mussten.“

Reskilling sichert Arbeitsplätze

ZF möchte Beschäftigung sichern. „Unsere Mitarbeiter verfügen über Erfahrung und Wissen, sie stecken in den Themen und Abläufen drin. Gleichzeitig werden wir durch Reskilling unserer sozialen Verantwortung als Stiftungsunternehmen gerecht“, betont Bergmann. Manchmal genügten Up- und Cross Skilling-Maßnahmen, manchmal sei eine Umschulung, also Reskilling, zielführender. Möglichkeiten gebe es viele, ob eine sechsmonatige Umqualifizierung als Vollzeitprogramm im virtuellen Klassenraum, ob berufsbegleitend oder in Teilzeit: „Wir wollen jedem Mitarbeiter die Möglichkeit geben, Verantwortung für die eigene Entwicklung zu übernehmen.“ Für seine Qualifizierungsmaßnahmen hat ZF auch Fördermittel der Bundesagentur für Arbeit in Anspruch genommen (mehr dazu im Interview ab Seite 24). Sie seien jederzeit gut beraten und gut begleitet worden, stellen die Personalverantwortlichen übereinstimmend fest, betonen jedoch: „Man sollte das Thema Weiterqualifizierung nicht nur von Fördermitteln abhängig machen, sondern selbst Geld in die Hand nehmen.“ Nun ging das Unternehmen noch einen Schritt weiter und holte sich die Zertifizierung „Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung (AZAV)“. Mit dieser Zulassung kann ZF förderfähige Maßnahmen in Eigenregie durchführen.

Kollaborative Lernformate

Aus den ersten Reskilling-Maßnahmen hat das Unternehmen drei wesentliche Erkenntnisse gewonnen, die Aurich zusammenfasst. Erstens: Die Dringlichkeit der Situation müsse durch eine Informationskampagne klar vermittelt werden. Zweitens sei es wichtig, das unternehmerische Umfeld einzubeziehen, sprich den abgebenden und aufnehmenden Bereich der Mitarbeiter. „Manager müssen wissen, dass sie keine Senior- Experten vom Markt bekommen, sondern Mitarbeiter, die in ihre Bereiche hineinwachsen und neues Wissen aus ihrem bisherigen Arbeitsumfeld einbringen.“ Drittens sei es effizienter, mehr Raum für selbstständiges Lernen einzuplanen. „Kollaborative flexible Lernformate, mit einer Mischung aus praxisnahen und interaktiven Elementen, Selbstlern- und Gruppenphasen sind besonders erfolgversprechend“, stellt Aurich fest.
Wir sind nah dran an unseren Mitarbeitern und können Potenziale gut einschätzen.
- Matthias Tries

Prinzip: „Fördern und Fordern“

Die Tries GmbH & Co. KG aus Ehingen ist ein führender Entwickler und Hersteller von Hydraulikelementen, der zudem Steuerblöcke, Ventile, Aggregate und Sondermaschinen für den Maschinen- und Fahrzeugbau entwickelt und fertigt. Matthias Tries ist Teil der Inhaberfamilie in zweiter Generation: „Als mittelständisches Unternehmen sind wir nah dran an unseren Mitarbeitern; wissen, wo wer steht und können Potenziale gut einschätzen.“ Ein soziales Miteinander und ein gutes Betriebsklima sind der Firma wichtig, auch bei der Personalentwicklung setzt man auf Tugenden wie Fleiß und Teamarbeit. „Da ist ein Hobby oder Ehrenamt meist aussagekräftiger als ein Titel.“ Bereits seit 1997 hat das Unternehmen ein Qualitäts- und Umweltmanagement nach DIN EN ISO eingeführt. Bei Kernthemen wie Abfall- und Recyclingwirtschaft, EDV, Arbeitssicherheit und rechtlichen Belangen werde regelmäßig geschult. Bei der persönlichen Mitarbeiterentwicklung setzt die Firma auf die Eigeninitiative ihrer Mitarbeiter nach dem Motto „Fördern und Fordern“.
“In unseren Schulungen sitzen alle Hierarchieebenen nebeneinander, vom Supervisor bis zum Vice President.”
- Steffen Fischer
Tries verdeutlicht dies konkret: „Meisterschulen halten Blockvorlesungen ab. Hierfür haben wir für unsere Mitarbeiter spezielle Programme zum Auf- und Abbau von Überstunden bei gleichzeitiger Lohnfortzahlung entwickelt.“ Dafür verlange die Firma Leistung von ihrer Belegschaft, halte ihnen als Betrieb aber gleichzeitig bei gemachten Fehlern den Rücken frei. Auch Soft Skills wie Lob- und Kritikkultur stehen hoch im Kurs. „Wir greifen uns einen engagierten Kernmitarbeiter aus dem Betrieb heraus, der als Belohnung eine wochenlange Schulung besuchen darf, um sich in eine neue Technologie einzuarbeiten. Wieder zurück, schult er die anderen im Betrieb.“

Duale Ausbildung von Vorteil

Matthias Tries ist vom dualen System überzeugt. „Im Bereich Industrie ist es besser, eine gute Ausbildung und einen Erfahrungsschatz zu haben und sich dann intern weiterzubilden, ob Techniker, Meister, Master oder Bachelor. Leute, die vom reinen Studium kommen, müssen oft einen Schritt zurückmachen.“ Es kann vorkommen, dass sich ein Ingenieur vom Arbeiter an der Maschine erklären lässt, wie es richtig funktioniert. Der Unternehmer sieht zudem Veränderungen in der Einstiegsqualifizierung: „Bei Haupt- und Realschülern schulen wir im sprachlichen Bereich heute viel mehr nach.“ Überzeugt ist Matthias Tries vom Ulmer Modell, einem kooperativen Studium bei der Technischen Hochschule Ulm, bei dem sich Theorie und Praxis abwechseln. Die Firma Tries setzt Anreize, doch auch die Politik müsse mitziehen: „Wir haben einige Fälle, in denen sich Mitarbeiter durch Weiterbildung und Engagement auf ein Lohnniveau hochgearbeitet haben, in dem sie maximal besteuert werden. Das hemmt die Arbeitsmotivation.“ Matthias Tries fordert stattdessen, die Steuerfreibeträge und Gehaltsgrenzen für den Spitzensteuersatz anzuheben: „Fleiß soll belohnt werden!“ Es könne nicht sein, dass sich Menschen weigerten, für einen Stundenlohn von 17 Euro zu arbeiten, weil der Sozialstaat falsche Anreize setze, so der Unternehmer.

International und hierarchieübergreifend

Die ifm-Gruppe, mit Standort in Tettnang, ist als Technologieunternehmen mit Bereichen vom Sensor bis ins Industrial Internet of Things großen Veränderungen ausgesetzt. „Wir bieten nicht nur Produkte an, sondern auch Dienstleistungen. Die leben von Menschen. Unsere Personalstrategie sahen wir von Anfang an als integralen Bestandteil. Nicht nur national, sondern international“, erklärt Steffen Fischer, Personalgesamtverantwortlicher bei ifm. Dazu zählen weltweit rund 9.000 Mitarbeitende.
Die Leiterin der Personalentwicklung Anja Messnarz ist für ein paar Wochen an den Standort Indien gefahren, um dortige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schulen. „Das Thema Fort- und Weiterbildung in einem anderen kulturellen Kontext zu praktizieren, hat beiden Seiten viel gebracht“, so Messnarz. Die Mitarbeiterqualifizierung reiche bei ifm von Veranstaltungen für Newcomer und Personalgesprächen über Mentoring-Programme bis hin zur ifm-Lernfabrik und dem individuell ermittelten „K8-Kompass“ für Führungskompetenzen.

Fokus auf Führungskräfte

Das Thema Weiterqualifizierung betreffe alle Hierarchieebenen. Bei vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Produktion handle es sich um ungelernte Kräfte. Hier will ifm Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen, indem Ausbildungen wie Fachkraft für Elektronik oder Industrieelektriker mit IHK-Abschluss stark bezuschusst werden. „Auch Mitarbeitende, die bei uns seit 20 Jahren beschäftigt sind, sehensich neuen technischen Hilfsmitteln gegenüber, von der Software bis zur KI. Alles wird komplexer und schneller“, so Messnarz. In Personalgesprächen werde eruiert, welche individuellen Maßnahmen dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin etwas bringen, Feedback und Controlling seien wichtig.
sich neuen technischen Hilfsmitteln gegenüber, von der Software bis zur KI. Alles wird komplexer und schneller“, so Messnarz. In Personalgesprächen werde eruiert, welche individuellen Maßnahmen dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin etwas bringen, Feedback und Controlling seien wichtig.

KI als wichtiges Schulungsthema

Fischer und Messnarz halten grundsätzlich fest: „Wissen und Bildung sind demokratischer geworden. Die alte Meisterschule mit bloßen Anweisungen funktioniert heute nicht mehr.“ Was sich beim Thema Corporate Social Responsibility besonders stark zeige. Umwelt- und Nachhaltigkeitsscouts, sogenannte Orange Greenies, tragen die Themen in die ifm-Abteilungen hinein. Ein KI-Tool hilft dabei, die rund 17.500 Lieferanten weltweit zu überprüfen, damit ökologische, ökonomische und soziale Standards wie Arbeitsschutzgesetze eingehalten werden. „Außerdem nutzen wir KI bereits zur Voraussage von Ausfällen sowie für Umsatzprognosen.“ Daher werde der Umgang mit KI künftig ein großes Schulungsthema werden, ist sich die Personalabteilung einig.
Die artiso solutions GmbH, Blaustein, stellt jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin ein Lern- und Zeitkontingent von 2,5 Stunden pro Woche zur freien Verfügung – eine beachtliche Zeitspanne für individuelle Lernziele. Zusätzlich qualifiziert das Unternehmen seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf projektspezifische Anforderungen. „Unsere Kunden erwarten von uns als Software-Unternehmen, dass wir Dinge neu denken und immer up to date sind“, nennt Geschäftsführer Volker Rath seinen Beweggrund. Das Unternehmen sieht sich als Dienstleister für AITechnologien für alle Branchen zur Optimierung ihrer Prozesse entlang der Wertschöpfungskette. Ein weiterer Punkt liegt in der Altersstruktur des Unternehmens. 45 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind unter 30 Jahre alt. Als innovatives Unternehmen setzt artiso auf Werte wie Neugier, Selbstvertrauen, Offenheit, Eigenverantwortung und den Glauben an einen positiven Ausgang als Voraussetzung für jeden Wandel. Bereiche, in die junge Erwachsene meist erst hineinwachsen. „Wir merken, dass wir in puncto Sozialisierung heute mehr leisten müssen, als noch vor 30 Jahren“, sagt Rath.
“Man ist überrascht, was alles auf E-Learning-Plattformen angeboten wird.”
- Volker Rath

Lernarbeitszeit mit E-Learning-Tools

Bei der 67 Mitarbeiter starken Belegschaft von artiso werden die Fachkräfte von morgen in der „Talentschmiede“ und dem „Blue Valley Campus“ sowohl in den neuesten Technologiebereichen geschult als auch in ihrer Persönlichkeit. Dafür stellt das Unternehmen kostenlos eine E-Learning- Plattform zur Verfügung; mittels KI werden individuelle Lernpfade erstellt. Von Fremdsprachen über Verhaltensökonomie bis zum Debattier- Modul: „Man ist überrascht, was alles auf E-Learning-Plattformen angeboten wird“, so Rath. Learning Out Loud (LOL) als Konzept für die moderne Lernwelt im beruflichen Alltag regt dazu an, mit anderen in kleinen Gruppen zu lernen und sich auszutauschen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichten von ihren Erfahrungen mit dem jeweiligen Tool. Welche Fähigkeiten habe ich dadurch erworben? In welcher Kundensituation konnte ich davon profitieren? Die Kolleginnen und Kollegen geben sich gegenseitig Feedback, können eigene Erfolge darstellen und andere inspirieren.

Fachkräftesicherung und Kundenschulungen

Fachkräftemangel sei bei artiso kein Thema. Der „Blue Valley Campus“ profitiere von den unternehmenseigenen Netzwerken und hole sich externes Wissen ins Haus, sagt Rath: „Aktuell begleiten wir zwei Studenten aus Kapstadt bei ihrer Master-Thesis. In erster Linie sind sie Wissensempfänger, bringen aber ihr eigenes Wissen und ihren eigenen Habitus mit ein.“ Zustande gekommen ist der Kontakt über die Hochschule Neu-Ulm. „Wir haben hervorragende Hochschulen in der Region, ich rate auch kleineren Betrieben, offen auf diese zuzugehen“, betont Rath. Zudem gibt artiso sein Wissen nach außen weiter. Kunden des Unternehmens können ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenfalls in artiso- Workshops weiterbilden lassen, immer praxisbezogen auf das jeweilige Projekt. Hintergrund: „Manche unserer Projekte laufen bis zu zwölf Jahre lang, in dieser Zeitspanne kann sich einiges tun.“ Firmeneigene Werte und persönliche Ziele zueinander führen, so versteht Rath den Bereich Mitarbeiterqualifizierung. Dies hat er sich auf seine Agenda geschrieben. Dabei setzt er auf Eigenverantwortung. Ein von ihm mittels KI entworfenes Bild verdeutlicht den Ansatz. Zu sehen sind Menschen auf dem Weg zum Fitnessstudio, die sich von einer Rolltreppe hinaufbefördern lassen. Wer die Ironie dahinter versteht, ist bei artiso richtig.

Weiterqualifizierung als lebenslanger Prozess

Anke Bergmann und Felix Aurich von ZF zeigen, dass es sich lohnt, in Personalentwicklung zu investieren. Sie freuen sich über den Erfolg ihrer Maßnahmen: „Nahezu 100 Prozent unserer umgeschulten Mitarbeiter sind in einer neuen Stelle. Wir haben unsere Ziele sogar übererfüllt und erhalten viele positive Rückmeldungen aus dem Unternehmen.“
Anja Messnarz und Steffen Fischer sehen im Thema Personalentwicklung vor allem eine „Optimierung von Arbeitsprozessen und Arbeitsplätzen am Standort Deutschland“. Beispiel: Früher erfolgten Produktionsarbeitsanweisungen noch via Papier, heute teilweise mittels Videos. „Damit können wir sogar Sprachbarrieren überwinden.“ Matthias Tries hat einen Wunsch in Richtung Steuerpolitik und Staat: „Es muss den Menschen wieder die Möglichkeit gegeben werden, eigeninitiativ eine Altersvorsorge aufzubauen, indem Engagement und der Anreiz, etwas aus sich zu machen, belohnt werden.“
Volker Rath ist überzeugt: „Lernen ist ein lebenslanger Prozess!“ Arbeitnehmenden rät er, sich nicht auf dem Fachkräftemangel in Deutschland auszuruhen. „Gerade in vernetzten, digitalen Branchen ist es mittlerweile egal, wo und in welchem Land ein Mitarbeiter sitzt.“ Von seinen motivierten Master-Studenten aus Südafrika, die „uns in manchen Werten voraus sind“, ist Rath begeistert. Dass die firmeneigenen Besprechungsräume Namen wie Kapstadt und Johannisburg tragen, sei hingegen reiner Zufall, betont der artiso-Geschäftsführer schmunzelnd.
Diana Wieser, Inhaberin von adWORDising Journalismus & Werbetext, Ulm