Fachartikel

Das neue EU-Patent

Das neue europäische Einheitspatent ist am 1. Juni 2023 in Kraft getreten, in Ergänzung zum bisherigen europäischen Bündelpatent.
Wesentliche Grundlage des europäischen Patentsystems sind die vom Europäischen Patentamt erteilten europäischen Patente. Das Europäische Patentamt ist keine EU-Behörde, so dass dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) des Europäischen Patentamtes auch Nicht-EU-Staaten angehören. Das bisherige europäische Patent zerfällt nach der Erteilung in ein Bündel nationaler Patente, das sogenannte Bündelpatent. Bei einer Verletzung dieses Bündelpatents muss dieses in jedem einzelnen Mitgliedsstaat getrennt mit einem Verletzungsverfahren durchgesetzt werden.
Bei diesem Nachteil setzt das neue europäische Einheitspatent an. Das europäische Einheitspatent hat eine einheitliche Wirkung in den teilnehmenden Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und kann mit einem neuen Gerichtssystem, dem Einheitlichen Patentgericht (EPG), in diesen teilnehmenden Mitgliedsstaaten auch einheitlich durchgesetzt werden. Das EPG hat seine Tätigkeit in den beteiligten Mitgliedsstaaten – Deutschland, Frankreich, Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Slowenien – am 1. Juni 2023 aufgenommen. Die Rechtsfolge der einheitlichen Wirkung ist, dass die territoriale Schutzwirkung einheitlich in sämtlichen teilnehmenden Mitgliedsstaaten ist und gerichtlich durchgesetzt werden kann. Die vom Europäischen Patentamt erteilten europäischen Patente können in EU-Staaten und Nicht-EU-Staaten weiterhin als Bündelpatent validiert werden, beispielsweise in Großbritannien, Norwegen, der Schweiz und der Türkei. Das bisherige Bündelpatent und das neue europäische Einheitspatent existieren somit simultan und parallel.

Siebenjähriger Übergangszeitraum nach dem Inkrafttreten

Das neue europäische Patentsystem mit dem Einheitlichen Patentgericht (EPG) gilt nicht nur für das neue europäische Einheitspatent, sondern auch für die bisherigen Bündelpatente. In einem Übergangszeitraum von sieben Jahren nach dem Inkrafttreten des neuen europäischen Patentsystems kann jedoch mittels eines Opt-out die Zuständigkeit des EPGs für die Bündelpatente weiterhin ausschließlich bei den nationalen Gerichten zugeordnet bleiben. Für den nationalen Teil in Deutschland eines europäischen Patents sind für Verletzungsklagen und Nichtigkeitsklagen ohne das Stellen des Opt-out während des Übergangszeitraums von sieben Jahren das EPG und die nationalen Gerichte gleichzeitig zuständig. Mit einer Nichtigkeitsklage oder einer Verletzungsklage beim EPG werden nicht nur der nationale Teil in Deutschland, sondern sämtliche anderen nationalen Teile des europäischen Bündelpatents erfasst, abgesehen von Staaten, die nicht Mitglied des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) sind. Patentinhaber, die vermeiden wollen, dass ihr europäisches Patent Gegenstand einer Nichtigkeitsklage oder einer negativen Feststellungsklage vor dem Einheitlichen Patentgericht wird, können diese Zuständigkeit des EPGs mit dem Opt-Out in dem Übergangszeitraum ausschließen.

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Strategische Optionen

Wesentliche Grundlagen für die strategischen Überlegungen im Anmeldeverhalten sind die Bewertung der Märkte mit Abnehmern, Herstellern, Konkurrenten und Lizenznehmern sowie deren Sitz und inwiefern in territorialer Hinsicht ein Patentschutz notwendig ist. Dies sollte mit der entsprechenden territorialen Abdeckung beim Einreichen der Patentanmeldung berücksichtigt werden. Die Entscheidung, ob bei einem europäischen Patent dieses als Bündelpatent und/oder europäisches Einheitspatent validiert werden soll, muss erst bis spätestens einen Monat nach der Patenterteilung durch das Europäische Patentamt erfolgen. Der Anmelder kann somit erst nach der Erteilung des europäischen Patents mit dem bekannten Schutzumfang gemäß den Patentansprüchen entscheiden, welchen Weg er in territorialer Hinsicht einschlägt, also ob er nur ein Bündelpatent, nur ein europäisches Einheitspatent oder eine Kombination aus Bündelpatent und europäischem Einheitspatent wählt. Art. 25 b) EPGÜ bietet auch Schutz für Verfahrenspatente, sodass mit dem europäischen Einheitspatent auch ein guter Schutz für computerimplementierte Erfindungen (CII) aus dem Bereich Künstliche Intelligenz möglich ist. In einem Patentverletzungsverfahren zur Durchsetzung eines Patents für CII hat das europäische Einheitspatent den Vorteil, dass aufgrund des größeren Verletzungsterritoriums in einer arbeitsteiligen Verletzung, etwa bei einer Aufteilung eines monolithischen Programms in Module zur Lösung von Teilaufgaben, die Chancen für eine erfolgreiche Patentverletzungsklage größer sind.
Die Jahresgebühr für das europäische Einheitspatent mit derzeit 17 teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten entspricht ungefähr den Jahresgebühren für vier nationale Patente des europäischen Bündelpatents. Auch die Kosten für die Validierung des europäischen Einheitspatents nach der Patenterteilung im Vergleich zu einer Validierung eines Bündelpatents in den 17 teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten sind geringer, weil der Verwaltungs- und Übersetzungsaufwand kleiner ist und keine weiteren nationalen Vertreter bestellt werden müssen.

Patentanwalt Dr.-Ing. Franz Stadler, LL. M., ist als Partner in der Patentanwaltskanzlei Nowlan & Stadler Patentanwälte Partnerschaft mbB in Friedrichshafen tätig