Was steckt hinter dem europäischen Einheitspatent, und welche Änderungen bringt das neue System für Unternehmen?
Das europäische Einheitspatent und das Einheitliche Patentgericht sind zwei Meilensteine auf dem Weg zu einem einheitlichen EU-Patentsystem: Das Einheitspatent – korrekt: europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung – ist ein vom Europäischen Patentamt mit Wirkung für alle teilnehmenden Mitgliedsstaaten erteiltes Patent, über das in späteren Auseinandersetzungen in einem einzigen Gerichtsverfahren für alle diese Staaten eine gemeinsame einheitliche Gerichtsentscheidung getroffen werden kann, zum Beispiel bei Patentverletzungen oder Nichtigkeitsklagen. Für die Unternehmen bietet das neue System die Chance, mit einem einzigen Antrag beim Europäischen Patentamt einheitlichen Patentschutz in großen Teilen der EU zu erhalten und ihn in einem einzigen Verfahren durchzusetzen. Leider hat die Landkarte des Einheitspatents – noch – deutliche Lücken. Zunächst sind lediglich 17 Staaten der EU dabei. Weitere werden in den nächsten Jahren dazukommen. Mit Sicherheit nicht dabei sein werden Spanien, Kroatien und Polen sowie die Nicht-EU-Länder wie etwa Norwegen, Schweiz, Türkei oder Ukraine.
Zum europäischen Einheitspatent wurde auch ein Einheitliches Patentgericht geschaffen. Wo liegen die Aufgaben des neuen Gerichts?
Das Einheitliche Patentgericht, kurz EPG oder englisch UPC, ist ein neu errichtetes Gericht, das unter anderem für Fragen der Verletzung und der Rechtsgültigkeit von Einheitspatenten und auch klassischen europäischen Patenten zuständig ist, sofern für letztere kein Opt-out erklärt wird. Die Urteile gelten in allen Mitgliedsstaaten, die das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht ratifiziert haben. Das Einheitliche Patentgericht ist seit dem 1. Juni 2023 für Patentstreitigkeiten über Einheitspatente und bestehende europäische Patente in den teilnehmenden Mitgliedsstaaten zuständig.
Wo sehen Sie die Vor- und Nachteile des neuen europäischen Einheitspatents und des Einheitlichen Patentgerichts?
Der Verwaltungsaufwand wird kleiner, da mit dieser Validierung 17 Staaten der EU gemeinsam erfasst werden. Die Gebühren entsprechen etwa denen, die bisher für vier bis fünf Benennungen anfielen. Ob es Kostenvorteile gegenüber dem bisherigen Vorgehen gibt, hängt vom individuellen Anmeldeverhalten ab. Bei Auseinandersetzungen gilt: ganz oder gar nicht. Das kann ein Vorteil sein, wenn es um die Durchsetzung des Patents gegen einen in ganz Europa tätigen Wettbewerber geht. Es kann sich aber auch nachteilig auswirken, wenn das Patent angegriffen und für nichtig erklärt wird.
© Patent- und Markenzentrum Baden-Württemberg
Kann man als Inhaber eines EP-Patents, also eines europäischen Patents, die Zuständigkeit des neuen Gerichts ausschließen?
Ja. Der Anmelder oder sein Patentanwalt muss dazu beim EPG einen Opt-out-Antrag stellen. Dann bleiben die nationalen Gerichte zuständig. Dieser Antrag ist nur möglich, solange kein Patentstreitverfahren vor dem EPG anhängig ist. Der Opt-out-Antrag kann einmal rückgängig gemacht werden, als Opt-in, aber nur, wenn kein nationales Patentstreitverfahren anhängig ist. Ein zweiter Opt-out ist dann allerdings nicht mehr möglich.
Welche Vor- und Nachteile hat ein Opt-out-Antrag?
Wenn eine Opt-out-Erklärung abgegeben wurde, entscheiden die nationalen Gerichte – wie bisher – einzeln über Verletzung und Nichtigkeit. Wenn keine Opt-out-Erklärung abgegeben wird, entscheidet das EPG mit Wirkung für alle teilnehmenden Mitgliedsstaaten.
Was raten Sie den Unternehmen?
Wer regelmäßig EP-Patente anmeldet oder EP-Patentanmeldungen im IP-Portfolio hält, sollte sich frühzeitig sorgfältig überlegen, wann die Validierung als Einheitspatent sinnvoll ist und in welchen Fällen ein Opt-out-Antrag gestellt werden sollte. Der Austausch mit befreundeten Unternehmen, die Beratung durch Patentanwälte oder eine Diskussion im Rahmen eines individuellen Patentcoachings können dabei hilfreich sein.
Interview: Melanie Riether, Gudrun Hölz