5 min
Lesezeit
„Zu viele Eier im chinesischen Korb“
Prof. Dr. Stephan Bierling blickt mit Sorge auf die US-Wahlen im November und sieht nicht zuletzt vor diesem Hintergrund das starke Engagement deutscher Unternehmen in China als großes wirtschaftliches Zukunftsrisiko an.
Prof. Dr. Bierling, sind die US-Wahlen für deutsche Unternehmen wirklich so entscheidend wie oftmals angenommen?
Prof. Dr. Stephan Bierling: Ja. Am 5. November finden die wichtigsten Wahlen meines Lebens statt. Es geht um nicht weniger als den Fortbestand der Demokratie in den USA und die internationalistische Ausrichtung des Landes. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zeigt drastisch, dass wir Europäer unsere Sicherheit nicht ohne Washington organisieren können. Donald Trump will ja nicht nur „Diktator an Tag Eins“ sein, wie er selber sagt, sondern lädt Moskau auch zum Angriff auf Staaten ein, die das Zwei-Prozent-Ziel der Nato nicht erfüllen. Und er will sofort nach seiner Wahl einen zehnprozentigen Strafzoll für ausländische Waren erheben, bei chinesischen sogar 30 Prozent. Auch Joe Biden ist kein Freihändler, aber berechenbar und gesprächsbereit.
Wie beurteilen Sie die weltwirtschaftliche Entwicklung in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten vor allem im Hinblick auf die USA?
Da gab es zwei Megatrends. Zum einen den raketenhaften Aufstieg Chinas, noch nie ist ein Land der Erde so schnell so reich geworden. Zum anderen die Machtverschiebung innerhalb des Westens. Lagen die USA und die EU inklusive Großbritannien 1990 noch gleich auf bei der Wirtschaftskraft, ist Amerika heute ein Drittel reicher.
Welche Vorteile haben die USA, die zu dieser wirtschaftlichen Dynamik führen?
Da fallen mir vier ein. Erstens ist es der riesige Binnenmarkt ohne Sprach- und Mobilitätsbarrieren wie in der EU. Wenn die Jobs in Texas sind und nicht in Michigan, dann gehe ich halt dorthin – das ist die Einstellung vieler Amerikaner. Zweitens ist die US-Wirtschaft weniger reglementiert als die europäische und insbesondere die deutsche. Auch die Amerikaner haben viel Bürokratie, aber was wir uns hierzulande leisten, auch an den Unis, ist horrend. In den USA kann ich schneller entscheiden, Unternehmen gründen, Leute einstellen oder feuern. Das steigert die Effizienz. Drittens verfügen die USA über einen nicht abreißenden Zustrom hochqualifizierter Arbeitskräfte. Im Silicon Valley sind 50 Prozent der Leute mit einem Doktorabschluss nicht im Land geboren, viele Tech-Unternehmen werden von Indern geleitet. Von den größten 500 US-Firmen wurde die Hälfte von Immigranten oder ihren Kindern gegründet. Last but not least ist Amerika führend in der Spitzenforschung, primär im Technologiesektor. Da liegen Universitäten wie Stanford und Berkeley weit vor den Europäern. Sämtliche Höchstleistungschips werden in den USA designt, die beste KI kommt aus San Francisco und dem südlich davon gelegenen Santa Clara County.
Was bedeutet das für die deutsche Wirtschaft?
Zunächst: Im 21. Jahrhundert werden die USA die stärkste Wirtschaftsmacht der Welt bleiben. China wird sie nicht überholen. Das Land steht vor einer demografischen Katastrophe, der Bausektor liegt am Boden, es herrscht Deflation und KP-Chef Xi Jinping macht Fehler über Fehler. Peking tritt außenpolitisch hyperaggressiv auf und provoziert damit Widerstand. Vor allem der Konflikt über Taiwan droht zu eskalieren. Sollte Xi eine Blockade über den Inselstaat verhängen, was seine Flotte schon trainiert, wird Washington mit harten Sanktionen antworten. Und denen muss sich Europa anschließen, will es nicht den Schutzschirm der USA und den Zugang zu ihrem Markt verlieren. Dem werden Italien, Frankreich, Großbritannien oder die Osteuropäer nachkommen, weil sie relativ wenig Handel treiben mit China. Aber Deutschland ist in einer exponierten Position. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben wir den Handel mit China massiv ausgeweitet, das war ein Standbein unseres Wohlstandsgewinns. Das wird jetzt zum Pferdefuß – Deutschland wird im Konfliktfall den höchsten Preis bezahlen.
Haben also vor allem diejenigen deutschen Unternehmen künftig ein Problem, die groß in China investiert haben?
Absolut. Die Firmen, die zu viele Eier in den chinesischen Korb gelegt haben, bekommen das größte Problem. Dadurch könnte die deutsche Volkswirtschaft in eine lange Stagnation fallen, was mit einer Kaskade von Streiks einhergeht, wie wir sie jetzt schon in ihren Anfängen erleben. Das schreckt wiederum ausländische Investoren ab.
Das klingt alles wenig optimistisch – auf die Gefahr, dass es reflexhaft wirkt, nach den Amerikanern als Rettungsanker zu schielen: Ergibt es jetzt vielleicht besonders viel Sinn, sich stärker nach Westen zu orientieren?
Mein Rat an Unternehmen ist tatsächlich, hinter die Zollschranken zu gehen und in den USA Direktinvestitionen zu tätigen oder ein Vertriebsnetz aufzubauen. Außerdem werden die USA der attraktivste Markt der Welt bleiben mit stabilen Wachstumsraten. Deutsche Unternehmen sollten sich umgekehrt auch für die Amerikaner attraktiv machen: Wenn diese hier investiert sind, werden sie sich Handelsrestriktionen, wie unter Trump zu erwarten, widersetzen.
Das scheint bei vielen schon angekommen zu sein, denn gerade in Bayern hat der Handel mit den USA ja zuletzt deutlich zugelegt. Ist das uneingeschränkt positiv?
Auf jeden Fall. Bei aller Sorge um die amerikanische Demokratie: Egal, ob Biden oder Trump gewinnt, die Vorteile der US-Wirtschaft im Vergleich zur europäischen, chinesischen oder indischen werden eher größer als kleiner.
Über die Person:
Prof. Dr. Stephan Bierling leitet die Professur für Internationale Politik und transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg.
Das Gespräch führte Alexandra Buba.