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Es hat sich nie wie Arbeit angefühlt
Die Zahl der Frauen in Deutschland, die sich für Unternehmensgründungen interessieren, ist so hoch wie noch nie. Über 40 Prozent der Gründerberatungen der Deutsche Industrie und Handelskammer (DIHK) werden mittlerweile von weiblichen Teilnehmerinnen wahrgenommen. Etliche gründen anschließend daran – so wie etwa Leonie Illing aus Regensburg oder Lisa Samhammer aus Neustadt an der Waldnaab.
Die größte Challenge? „Na, überhaupt Geld zu verdienen“, sagt Lisa Samhammer aus Neustadt an der Waldnaab. Die Gründerin und Geschäftsführerin der Second Life Fashion GmbH startete ihr Business in einer Zeit, als gebrauchte Kleidung noch nicht mainstreamfähig war, begann während des Psychologiestudiums nebenbei, ihre eigenen Stücke auf Plattformen zu verkaufen. Dabei verbrachte sie immer mehr Zeit damit, attraktive Fotos zu machen, Hosen und Blusen, die eigenen wie die Bekannter, genau zu beschreiben und Texte und Bilder hochzuladen. „Wie Arbeit hat sich das nie angefühlt“, erinnert sich Samhammer.
Durch den Verkauf von Second-Hand-Kleidung entlastet die Second Life Fashion GmbH die Umwelt und spart nachhaltig Ressourcen.
© Simone Reger
Der Weg in den gewerblichen Verkauf hin zum echten Unternehmertum war für sie ein eher bedächtiger: Er führte zunächst über Ebay und Excellisten, ehe mit dem Entschluss, in den eigenen, kundenfreundlichen Webshop zu investieren, auch die Entscheidung fiel, den Online-Secondhand-Modevertrieb zum einzigen beruflichen Standbein zu machen. Das war 2016. Heute hat Samhammer 25.000 Artikel in ihrer Datenbank, eine voll durchdigitalisierte Warenwirtschaft, angemietete Büro- und Lagerräume in einer ehemaligen Glasfabrik, eine Vollzeitmitarbeiterin und Praktikantinnen.
Realistische Umsatzprognosen
„Und ganz wichtig: Ich kann gut davon leben“, sagt die Unternehmerin. Zwar sei ihr bewusst, dass ihr Geschäft vermutlich nie große Reichtümer aufwerfen werde, doch das sei auch nie Ziel ihrer nachhaltigen Geschäftsidee gewesen. „Es hat mir einfach total gut gefallen, dass jemand noch Freude an Sachen hat, die andere abgelegt haben“, erinnert sie sich. Und großartige Umsatzprognosen, wie sie vielleicht in der Unternehmerfamilie, aus der sie stammt, an der Tagesordnung sind, seien nie ihre Sache gewesen. „Ich denke, hier gibt es einen Generationenwandel: Nicht mehr jeder oder jede will die Arbeit zum Lebenszweck erklären und ihr alles unterordnen.“
„Es dauert, bis man sich wirklich einen Kundenstamm aufgebaut hat und stabile Umsätze erwirtschaftet.“Lisa Samhammer, Second Life Fashion GmbH
Für angehende Gründerinnen und Gründer hat sie daher auch einen klaren Rat: „Ruhe bewahren! Es dauert, bis man sich wirklich einen Kundenstamm aufgebaut hat und stabile Umsätze erwirtschaftet“, sagt sie. Umgekehrt bringe es nichts, sich Dinge schönzurechnen. Absolute Ehrlichkeit mit sich selbst betrachtet sie als Grundvoraussetzung für unternehmerischen Erfolg. „Und natürlich die Überzeugung, dass man das, was man da macht, auch tatsächlich 20 Jahre lang tun will“, sagt Samhammer. Was nicht heißt, dass sie ihr Geschäft nicht weiterentwickelt. „Vom Wettbewerb heben wir uns durch unseren Service ab – wir haben 50 Prozent Wiederbestellquote – und durch Outfitvorschläge, die man im Set kaufen kann“, erklärt sie den USP von Second Life Fashion.
Bildschirmfreies Lernen
An jenem feilt gerade noch eine andere Frau, die erst am Anfang der Unternehmerinnenkarriere steht: Leonie Illing aus Regensburg. Gemeinsam mit zwei Partnern gründet sie gerade ein Unternehmen mit dem Namen CURIOX. Geschäftsgegenstand ist ein bildschirmfreies, interaktives Edutainment-System für Kinder. „CURi ist als interaktive Spielfigur konzipiert, die auf Bewegungen und andere äußere Reize reagiert, um so eine spielerische Interaktion zu ermöglichen. Ein erster, spielbarer Prototyp aus dem 3D-Drucker wird bereits in Familien und Kitas getestet. Aktuell sind wir auf der Suche nach Investoren, um CURIOX vom Prototyp zum serienreifen Produkt weiterzuentwickeln“, erklärt die Gründerin.
„Im größten Risiko steckt auch die größte Chance.“Leonie Illing, CURIOX
Unterstützt wird Illings Vorhaben von verschiedenen Seiten: So entwickelte sie ihre Geschäftsidee im Rahmen des Studiums „Digital Entrepreneurship“ an der OTH Regensburg weiter und konnte durch Förderungen auch in professionelle Beratung aus der Spielentwicklung investieren. Unterstützung gab es auch vom GameDev Verein Regensburg, in dem CURIOX Mitglied ist. Doch trotz vieler Hilfen und EXIST-Gründerstipendium bleibt die Kapitalbeschaffung eine Herausforderung. „Man lernt erst mit der Zeit, dass Absichtserklärungen noch nichts bedeuten, und der Zeitraum von einer Unterschrift bis zu dem Punkt, an dem wirklich Geld fließt, sehr lang werden kann“, sagt Illing.
Mehr Selbstständigkeit
Sie rät anderen in einer ähnlichen Situation, so früh wie nötig zu gründen – aber so spät wie möglich. Das habe mit Förderrichtlinien zu tun. Außerdem appelliert sie: „Habt den Mut, versucht es! Denn im größten Risiko steckt auch die größte Chance.“ Über sich selbst sagt sie: „Ich wollte immer selbstständig sein – ich brauche den Adrenalinkick.“ Das geht vermutlich immer mehr Frauen so. Denn wie die DIHK in einer Sonderauswertung ihres Reports „Unternehmensgründungen 2024“ ermittelte, ist inzwischen knapp die Hälfte der Interessierten in IHK-Beratungen weiblich.
„Niemand muss oder sollte in seiner Bubble bleiben.“Julia Pirzer, IHK Regensburg für Oberpfalz / Kelheim
Zum Vergleich: Vor 20 Jahren waren es nur 31 Prozent. Zentrale Triebfeder für Frauen sei dabei die mit der Selbstständigkeit gewonnene Flexibilität: Nach den Erfahrungen etwa in der IHK Regensburg gelte dies für neun von zehn der angehenden Unternehmerinnen. Für rund drei Viertel gehören finanzielle Anreize ebenso zu den Hauptmotiven.
Gründung im Nebenerwerb
„Diese können auch darin bestehen, zunächst im Nebenerwerb ein zusätzliches Einkommen zu erwirtschaften und nach der Startphase die unternehmerische Selbstständigkeit zum wesentlichen Standbein zu machen“, erklärt Julia Pirzer, Referentin Gründung, Finanzierung und Unternehmensnachfolge bei der IHK. Sie ermutigt Gründerinnen und Gründer, aktiv zu werden und den Schritt nach außen zu wagen. „Die Infrastruktur ist vorhanden. Gründerinnen finden zahlreiche Möglichkeiten zur Vernetzung und zum Austausch“, erklärt sie. Sie wirbt vor allem auch dafür, über den eigenen Tellerrand zu schauen: „Niemand muss oder sollte in seiner Bubble bleiben.“