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„Sehr gut ausgebildete Mitarbeiter“
Sebastian Grundstein ist Professor für Cyberphysische Produktionssysteme am Technologie Campus in Cham, einem Ableger der Technischen Hochschule Deggendorf. Seine Steckenpferde sind Industrie 4.0 und die Digitalisierung von Produktionsprozessen. Wo steht die heimische Automobilindustrie in diesen zukunftsweisenden Bereichen?
Prof. Grundstein, was macht ein Professor für Cyberphysische Produktionssysteme?
Prof. Dr.-Ing. Sebastian Grundstein: Ich lehre meine Studentinnen und Studenten, wie man die Produktion in Industriebetrieben effizienter gestalten kann, indem man Maschinen schlau miteinander vernetzt, Stichwort Industrie 4.0. Bevor ich als Professor zur TH Deggendorf gewechselt bin, habe ich als Berater mehrere Transformationsprozesse in dieser Hinsicht geleitet – auch im Automobilbereich.
Wo steht die Automobilbranche in Deutschland in Sachen Digitalisierung?
Darauf gibt es keine pauschale Antwort. Manche Firmen sind schon sehr weit, andere haben dieses Thema bisher noch verschlafen und wachen gerade erst auf. In den vergangenen zehn Jahren lief der Export von Produkten aus Deutschland, auch von Autos, sehr gut – weil die Produkte auch durch den niedrig bewerteten Euro recht günstig waren. Viele Betriebe sahen bei gut laufendem Geschäft nicht die Dringlichkeit, ihre Prozesse zu digitalisieren und damit effizienter zu machen.
Und das ist jetzt anders?
Ja, jetzt kommen mehrere Entwicklungen zusammen und setzen die Automobilbranche unter Druck. Zum einen ist da der Wandel hin zu mehr Elektromobilität. In Elektroautos werden weniger Komponenten verbaut und es braucht auch nur noch etwa 60 bis 70 Prozent der Mitarbeiter, die für die Herstellung von Autos mit Verbrennungsmotor benötigt wurden. Außerdem sind die Produktionskosten in Deutschland sehr hoch, wegen hoher Tarifabschlüsse, teuren Energiepreisen oder strengen Umwelt- und sonstigen Standards. Das macht die Situation für Autohersteller und -zulieferer im Moment nicht einfach.
Und deshalb muss die Produktion stärker digitalisiert werden?
Ja, das ist oft die einzige Schraube, an der Unternehmen in Sachen Produktivität noch drehen können – zumindest, wenn ich meine Produktion nicht beziehungsweise noch mehr als bisher schon ins Ausland verlegen möchte. In den 1990er Jahren gab es ja das Stichwort Lean Management, wonach alle Abläufe im Produktionsprozess maximal verschlankt werden sollten. Aber bei den Firmen der Automobilindustrie sind meist schon seit vielen Jahren alle Prozesse maximal verschlankt, da großer Wettbewerbsdruck herrscht. Mit analogen Mitteln komme ich da in Sachen Effizienz nicht mehr weiter.
Was müssen Unternehmen im Bereich Autoindustrie dann tun?
Ich muss mir anschauen, welche Produkte in Zukunft in der Automobilbranche gefragt sein werden. Manche Teile, die etwa in Verbrennungsmotoren vorkommen, werden weniger gefragt sein. Andere, etwa Dichtungen, werden auch in Zukunft noch gebraucht, genauso wie Sitze oder Lenkräder. Wobei Sitze ihre Funktion ändern werden: Wenn ich als Fahrer oder Fahrerin nicht mehr das Auto steuern muss, weil es autonom fährt, kann ich in der Zwischenzeit andere Sachen machen. Mit meinem Laptop arbeiten zum Beispiel. Dazu muss dann auch der Sitz anders gestaltet sein, als er es heute ist.
Welche Maßnahmen gibt es noch?
In Deutschland sollte ich vor allem die Produktionsschritte durchführen, die am meisten Wertschöpfung versprechen. Hierzulande kann ich im Unternehmen aber die Wertschöpfung nur steigern, indem ich alle Maschinen, alle Produktionsschritte maximal miteinander vernetze, Daten sammle und daraus einen zusätzlichen Wert für den Kunden schaffe. Der Mensch ist dann nur noch der Dirigent dieses Konzerts von selbstständig miteinander kommunizierenden Maschinen und Computern. Das Sammeln und Vernetzen hilft mir auch an anderer Stelle: Zum Beispiel wollen Autohersteller heute wissen, wie viel CO₂ bei der Herstellung eines Bauteils entstanden ist. Das muss ich als Zulieferer wissen und nachweisen können.
Welchen Effekt wird diese Entwicklung auf die Mitarbeitenden haben?
Manche Berufe werden nicht mehr in der bisherigen Anzahl gebraucht werden, etwa kaufmännische Berufe oder Monteure. Deren Arbeiten werden in Zukunft zunehmend Computer oder Roboter erledigen oder sie werden ins Ausland verlagert. Aber andere Berufe werden noch immer sehr gefragt sein: IT-Experten, Mechatroniker oder Maschinenbauer zum Beispiel. Übrigens: Zu großer Arbeitslosigkeit bei Fachkräften wird es durch diesen umfassenden Strukturwandel meiner Meinung nach nicht kommen. Größere Unternehmen, die es sich leisten können – kleinere Betriebe können das meist nicht – können ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umschulen. Außerdem werden tendenziell Arbeitsplätze wegfallen, die sowieso nicht besonders attraktiv waren, weil die Arbeit sehr monoton oder körperlich anstrengend war. Bei der Weiterbildung sehe ich auch die Politik in der Pflicht, eine „zweite Ausbildungschance“ zu ermöglichen, was zum Beispiel Singapur vormacht.
Was kann die deutsche Automobilindustrie besonders gut?
Wir haben sehr gut ausgebildete Mitarbeiter. Die duale Ausbildung wird zurecht immer wieder gelobt. Oft ist es so: Jemand, der bei uns eine Ausbildung gemacht hat, hat in der Praxis mindestens so viel drauf wie jemand, der einen Bachelor-Abschluss im selben Fach gemacht hat. Auch in Sachen Anwendung und Wissen über KI und Digitalisierung sind wir nicht so schlecht, wie viele sagen. Klar, die führenden KI-Unternehmen kommen woanders her. Das ist langfristig ein Thema. Aber bei der Anwendung von KI-Lösungen sind manche mittelständischen Unternehmen auf dem Land schon ganz gut dabei – und oftmals weiter als mancher OEM.
Über die Person:
Prof. Dr.-Ing. Sebastian Grundstein ist Professor für Cyberphysische Produktionssysteme am Technologie Campus in Cham, einem Ableger der Technischen Hochschule Deggendorf.
© Tobias Hase
Das Interview führte Dr. Julia Egleder.