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Unlevel Playing Field: Herausforderung für Händler und Behörden

Dem Abwärtssog des Ukrainekriegs und geopolitischer Handelskonflikte der vergangenen Jahre konnte sich auch der deutsche Online-Handel nicht entziehen. Stark gestiegene Preise und die wirtschaftliche Unsicherheit der Verbraucher haben dazu geführt, dass die Menschen in Deutschland nur noch für sie absolut notwendige Produkte einkauften und andere Ausgaben lieber aufschoben.
Dies lässt sich an den Umsatzzahlen im Online-Handel ablesen. Wichtige Kategorien mit hoher Online-Durchdringung wie Unterhaltungselektronik und Fashion sind auf Vor-Corona-Niveau gefallen. Einzig Waren des täglichen Bedarfs konnten sich im schlechten Konsumklima behaupten. Unter dem Strich schlug in den vergangenen beiden Jahren jeweils ein negatives Wachstum im E-Commerce zu Buche, und auch der Anteil am Einzelhandel war rückläufig. Erst allmählich beginnt die Branche, wieder optimistisch in die Zukunft zu blicken.
Denn das Wachstumsmodell „E-Commerce“ ist strukturell intakt und bleibt der wichtigste Impulsgeber im gesamten Handel. Entgegen der schlechten wirtschaftlichen Stimmung in Deutschland sendet der Online- Handel seit Mitte dieses Jahres wieder zuversichtliche Signale. Die Umsätze im B2C Bereich haben sich im dritten Quartal weiter stabilisiert und zeigen ein nominales Wachstum von 1,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal. Anfängliche Umsatzeinbußen zu Jahresbeginn konnten fast wieder wettgemacht werden. Auch wenn das Wachstum nicht besonders groß ist, zeigt sich, dass sich der Online-Handel langsam erholt.

Ärger über unfaire Wettbewerber

Grund zum Aufatmen gibt es dennoch nur bedingt. Ausgerechnet im ohnehin schlechten Preis- und Margen-Umfeld drängen neue Billig-Plattformen auf den europäischen Markt, die sich unfaire Kostenvorteile zunutze machen. Schlimmer wird die Situation dadurch, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher immer preissensibler werden. Nachhaltigkeit oder sonstige Qualitätsmerkmale geraten dafür bei der Produktwahl in den Hintergrund. Dass die Produkte dieser Anbieter oftmals nicht die europäischen Normen und Standards erfüllen, wird dabei von vielen hingenommen. Vor allem Händler, die die Produktgruppen Mode, Heimtextil, Schuhe, Dekoration und Schmuck vertreiben, geraten deshalb unter Druck.
Fairerweise sei erwähnt: Disruption ist im Handel der Normalfall. In immer kürzeren Abständen drängen neue Geschäftsmodelle auf den Markt. Das ist generell begrüßenswert und dient der Weiterentwicklung. Was Händlerinnen und Händler hierzulande aber zurecht ärgert, ist, dass sich die neuen Plattformen in vielen Fällen nicht an geltende Gesetze halten, während andere Unternehmen immer mehr regulatorische Anforderungen erfüllen und dafür höhere Kosten tragen müssen. Gleichzeitig sind die Behörden nicht in der Lage, die für alle auf dem europäischen Markt aktiven Händler geltenden Gesetze gegen unfaire Wettbewerber aus Drittstaaten durchzusetzen.
Dies hat aber nichts mit einem mangelnden Level Playing Field, also der Gewährleistung gleicher und fairer Wettbewerbsbedingungen, für stationären Handel und Online-Handel zu tun. Im Gegenteil. Die EU hat in den vergangenen Jahren ein komplexes und dichtes System an Regulierungen geschaffen, das ein Gleichgewicht zwischen Online- und stationärem Handel schaffen sollte. Es kam aber anders. Der Digital Services Act etwa reguliert den digitalen Handel bereits stärker, und auch bei der kommenden Überarbeitung des Verbraucherrechts werden wohl wieder nur Online Händler in die Pflicht genommen. Darauf deutet der Digital Fairness Fitness Check hin.

Vorhandene Möglichkeiten nutzen

Wichtiger als eine zusätzliche Regulierung des Verbraucherrechts im Online-Handel wäre es, die vorhandenen Instrumente zu nutzen, um den unfairen Wettbewerb zu beseitigen. Was bringen neue Regeln den Verbrauchern und Händlern, wenn diese abermals nicht von den Behörden gegenüber Akteuren aus Drittstaaten durchgesetzt werden können? Stattdessen muss es zum einen darum gehen, das Recht zwischen den Mitgliedsstaaten zu harmonisieren und so für eine leichtere Befolgung von Regeln auch im grenzüberschreitenden Handel für alle auf dem europäischen Markt aktiven Händler zu sorgen. Dies begünstigt die Schaffung eines Gleichgewichts zwischen außereuropäischen und den in Europa und Deutschland ansässigen Händlern, die sich an die Spielregeln halten. Zum anderen gibt es dafür zusätzlich bereits einige Instrumente, die aber auch von den Behörden entsprechend genutzt werden müssen. Dazu zählen der Digital Services Act, die bald in Kraft tretende Produktsicherheitsverordnung, die neu verabschiedete Produkthaftungsrichtlinie und die angestrebte Reform des Zollkodex. Dafür benötigen die Behörden eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung, einen zentralisierteren Aufbau und digitalere Prozesse. Nur so kann ein Level Playing Field zwischen allen auf dem europäischen Markt aktiven Händlerinnen und Händlern geschaffen werden.
Alien Mulyk, bevh – Der E-Commerce Verband