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Geschäftsmodell Online-Handel
Stationärer Handel, Vertriebsaußendienst und/oder eigener Webshop? Unternehmer und Unternehmerinnen aus den Bereichen B2B und B2C stellen sich diese Frage gleichermaßen, denn das Einkaufsverhalten der Kundinnen und Kunden hat sich verändert. Gewünscht werden breite und tiefe Sortimente, schnelle Verfügbarkeit, Bestellmöglichkeiten rund um die Uhr sowie eine bequeme Vergleichbarkeit von Produkt und Preis.
All das kann das Internet bieten. Der Handelsverband Deutschland rechnet in Deutschland für das Jahr 2024 mit einer Steigerung der E-Commerce-Umsätze um 3,4 Prozent auf 88,3 Milliarden Euro. Ein großes Potenzial und ein guter Grund, sich mit dem Aufbau eines eigenen Webshops zu befassen.
“Zeitweise müssen täglich bis zu 400 Angriffe auf unser System abgewehrt werden.”© Stefan Trautmann, FOTOGRAFIE TRAUTMANN
- Daniel Haller
Online-Handel erfordert mehr Personal und hohe Investitionen
Sich blauäugig auf den E-Commerce einzulassen, sei keine gute Idee. Darin sind sich die Geschäftsführer Daniel Haller und Lars Schubert der Motorradland GmbH, Meckenbeuren, einig. Haller hat das Unternehmen 1997 als reines Ladengeschäft gegründet und 2013 mit ECommerce über Amazon begonnen. Hohe Gebühren, restriktive Regelungen und geringe Margen passten nicht zur Markenstrategie des Unternehmens. Deshalb wurde 2017 parallel zum Ladengeschäft der Verkauf über einen eigenen Webshop aufgebaut. „Damit verbunden waren erhebliche Veränderungen“, berichtet Daniel Haller. „Wir haben die Anzahl der Mitarbeitenden aufgestockt von vier auf heute fünfzehn. Mehr Lagerfläche war erforderlich, was eine Standortverlagerung von Friedrichshafen nach Meckenbeuren nach sich zog. Wir mussten eine Versandlogistik aufbauen und die gesamten Prozesse optimieren. Aufgrund des erhöhten Arbeitsaufwands unterstützt mich Lars Schubert seit 2023 in der Geschäftsführung.“ Schubert ist 2016 eingetreten und behält vor allem den Online-Handel im Auge: „Es ist eine ständige Herausforderung, mit dem Webshop am Puls der Zeit zu bleiben. Wir brauchen gerade jetzt wieder ein neues Shopware-System, weil sonst keine Updates mehr möglich sind.“ Haller ergänzt einen weiteren Grund dafür, auf dem neuesten Stand zu bleiben: „Wir legen Wert auf IT-Sicherheit, denn zeitweise müssen täglich bis zu 400 Angriffe auf unser System abgewehrt werden. Das bedeutet kontinuierliche Investitionen in die IT ebenso wie in die Sichtbarkeit im Web. Ads, Banner und Suchmaschinenoptimierung verschlingen fünfstellige Summen.“ Und nicht nur das. Schon kleinste Fehler auf der Website ziehen Abmahnkosten nach sich. „In Deutschland gibt es eine regelrechte Abmahnindustrie, die ihresgleichen sucht“, so Haller. Aktuell liegen die erwirtschafteten Umsätze mit dem Webshop und dem Ladengeschäft bei einem Verhältnis von 50:50. Der stationäre Handel profitiert von einer treuen Kundschaft, die Markenware und Beratung schätzt. So werden vor Ort Motorradanzüge nach Maßanfertigung verkauft und die besonderen Bedürfnisse der Kunden erfragt. Motorradbegeisterte Fachkräfte sprechen auf Augenhöhe mit den Kunden und vermitteln die Emotionalität der Produkte. Haller zweifelt daran, dass Emotionalität online vermittelt werden kann. „Wir versuchen das mit Newslettern, Storytelling und Videos. Aber es ist fraglich, ob sich Kunden dafür Zeit nehmen. Im Web muss alles schnell gehen.“ Zwar werden über das Internet überregional Kunden generiert, aber ganz auf den Online-Handel zu setzen sehen beide kritisch. „Man sollte nicht aus Personalnot einen Online-Shop eröffnen, denn dazu braucht man noch viel mehr hoch spezialisiertes Personal für IT und E-Commerce“, warnt Schubert und Haller fügt hinzu: „Ganz zu schweigen von den kontinuierlichen Kosten für den Webshop, der überdies geringere Margen bringt. Alles zusammen bedarf es mehr an Personal und einen höheren Invest.“
„Der Online-Handel ist kein so einfaches Geschäft, wie man immer denkt“
Ähnliche Erfahrungen hat auch Michael Wachter gemacht. Er ist Geschäftsführer und Inhaber der Wachter Lager- und Betriebseinrichtungen in Laupheim. Seine Kunden sind sowohl Wiederverkäufer als auch Endkunden. Das Unternehmen verfügt zwar über einen Showroom, verkauft aber hauptsächlich über das Internet. „Die ersten Schritte im Online-Verkauf haben wir über eBay gemacht“, erzählt Wachter. „Auf diese Weise haben wir Erfahrungen gesammelt, welche Produkte gesucht sind. Allerdings war die Zusammenarbeit mit den Marktplatzbetreibern hinsichtlich Provisionen und Regularien auf die Dauer inakzeptabel, weshalb wir einen eigenen Webshop entwickelt haben.“ Ein „Riesenapparat“ sei dafür nötig gewesen und die Aufstockung des Personals um Fachkräfte für die Bereiche IT, E-Commerce und Social Media. Man müsse ständig Änderungen am Shop-System vornehmen, Ladezeiten prüfen, die IT anpassen, Netzwerke pflegen, andere Webangebote recherchieren, das Warenwirtschaftssystem und die Logistik miteinander verknüpfen. Hinzu komme die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben. „Wir versinken in bürokratischen Vorschriften wie Datenschutz, AGBs, Widerspruchsrecht, Wettbewerbsrecht, Lieferkettengesetz, Einverständniserklärungen und vielem mehr. Schon ein Fehler in der Wort- oder Bildauswahl kann zu hohen Abmahnkosten führen“, erläutert Wachter und fügt hinzu: „Die Bürokratie in Deutschland ist furchtbar.“ Dennoch schätzt Wachter die Reichweiten, die er über das Internet erzielen kann, allerdings müsse man auch diese teuer erkaufen. An erster Stelle stehe die Suchmaschinenoptimierung, die bereits einer wohlüberlegten Wortwahl bei der Produktbeschreibung bedürfe, um nicht bei Google abgestraft zu werden. Ständige Online-Werbung sei ebenso unerlässlich. Es tummeln sich viele Wettbewerber im Internet, von denen sich Wachter mit einer klaren Botschaft abgrenzt: Hergestellt in Deutschland. Damit signalisiert er seinen hohen Qualitätsanspruch und sieht sich nicht im Wettbewerb mit asiatischen Billiganbietern. Perspektivisch rechnet Wachter damit, dass sich das Angebotsvolumen im Internet selbst reguliert. „Jedes Jahr entstehen neue Online-Shops, die meist im nächsten Jahr nicht mehr existieren. Der Grund ist oftmals die Fehleinschätzung des Aufwands – personell, finanziell und technisch. Der Online-Handel ist eben kein so ein einfaches Geschäft, wie man immer denkt.“
“Wir versinken in bürokratischen Vorschriften wie Datenschutz, AGB, Lieferkettengesetz und vielem mehr.”
- Michael Wachter
© Armin Buhl, Photodesign Armin Buhl
„Mit einem Webshop wird man transparent und öffentlich – aber auch angreifbar“
Matthias Schwarz teilt diese Meinung. In seiner Eigenschaft als E-Commerce-Verantwortlicher der Allgäuer Genuss GmbH in Wangen leitet er sowohl die IT als auch das Marketing für den Online-Shop mySpirits, der Spirituosen anbietet. „Ein Ladengeschäft zu betreiben ist definitiv einfacher, als einen Online-Shop“, so Schwarz. Das Unternehmen hatte bereits 2008 mit dem Online-Verkauf über Amazon begonnen, sich aber dann recht schnell auf den eigenen Webshop konzentriert. „Über Marktplätze Umsätze zu generieren ist schwierig“, berichtet Schwarz. „Es drängen sich dort viele Anbieter, die Margen sind niedrig. Wir wollten mit einem eigenen Webshop eine Marke aufbauen und so die Kunden an uns binden. Dafür war zunächst ein sechsstelliger Betrag erforderlich. Es musste in eine entsprechende IT investiert werden, in die Sicherheit, in Warenwirtschaft, Lagerhaltung, Zahlsysteme, Verpackung und Versand. Letzteres ist ein wichtiger Faktor, denn Kunden und Kundinnen wollen heute nicht mehr warten – sie wollen die Ware sofort.“ Auch Personal habe man aufstocken und Hilfskräfte für Stoßzeiten wie Weihnachten anwerben müssen, so Schwarz. Als Anbieter von Konsumartikeln steht der Shop in extremem Wettbewerb. Deshalb fließen große Summen in die Internetwerbung und Suchmaschinenoptimierung. Doch das allein ist nicht ausreichend. Als Webshop unter vielen ist die Vertrauenswürdigkeit von entscheidender Bedeutung. Schwarz hat dafür eine Lösung gefunden: „Wir sammeln Bewertungen unseres Shops zum Beispiel über Trusted Shops und veröffentlichen Ergebnisse von Marktforschungsinstituten. 2024 haben wir eine Auszeichnung als bester Spirituosen- Online-Shop Deutschlands erhalten. Das kommunizieren wir natürlich auf unserer Website. Parallel dazu schauen wir, was über Social Media verbreitet wird. Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass man im Web transparent und öffentlich wird. Das bedingt auch eine große Angreifbarkeit.“
Nicht nur Angriffen über Bewertungen ist der Webshop ausgesetzt, sondern auch Angriffen auf die IT. „Wir haben gerade zwei Sicherheitspatches installiert und sind ständig dabei, Daten zu sichern. Fachwissen ist hier das A und O. Neben den Aktualisierungen der IT stellen gesetzliche Vorgaben eine Herausforderung dar. Bei uns sind das neben dem Datenschutz beispielsweise der Jugendschutz, die Lebensmittelinformationsverordnung, die Spirituosenverordnung oder die Health-Claims-Verordnung. Wenn der Trend so weitergeht, braucht man mehr Personal nur zur Erfüllung der Vorschriften.“ Seiner Einschätzung nach wird der Online-Handel für Spirituosen im Internet eine Sättigung erreichen. Der harte Wettbewerb, geringe Margen und hohe Kosten machen den Einstieg für Newcomer schwierig. Für mySpirits beurteilt Schwarz die Aussichten positiv: „Wir schätzen den Vorteil der regionalen Unabhängigkeit und die Möglichkeit, auch das Ausland zu erreichen. Als Marke sind wir fest etabliert und mit Herzblut dabei. Die digitalen Veränderungen empfinden wir nicht nur als Herausforderung, sondern als etwas Spannendes, an dem wir teilhaben dürfen.“
Digitale Affinität als Voraussetzung für Erfolg im Online-Handel
Mit derselben Begeisterung betreibt die Huss Licht und Ton GmbH in Langenau ihren Webshop. Seit der Gründung 1989 ist das Unternehmen Anbieter von Veranstaltungstechnik. Es ist ein reines B2B-Geschäft mit über 20.000 Produkten aus den Bereichen Licht und Tontechnik, Medientechnik, Trag- und Aufbaukonstruktionen. 2006 entstand der eigene Webshop, über den heute rund 70 Prozent der Umsätze erwirtschaftet werden. Das Ziel war von Anfang an klar definiert: überregional Kunden erreichen. Ein Netzwerk aus Außendienstmitarbeitern, ausgestattet mit PKWs, wäre die teurere Alternative gewesen.
Thilo Huss, der gemeinsam mit seinem Bruder Christof Huss die Geschäftsleitung innehat, äußert sich fasziniert von den Möglichkeiten des Online Handels: „Wir belegen als B2B-Anbieter im Web eine Nische. Deshalb stehen wir nicht so stark im Wettbewerb. Dafür fordert uns der Online-Handel auf andere Weise: Wir agieren wie ein digitaler Logistiker. Das heißt, unser Webshop bietet unterschiedlichste Individualisierungen an. Kunden sehen nach dem Login ihre individuelle Preisliste, Bestellhistorie, Auftragsstatus, Rechnungen, Produktbeschreibungen und vieles mehr. Transparenz liegt uns am Herzen.“ Um Kunden zu gewinnen, wird hart an Suchmaschinenoptimierung sowie an Werbe- und Social-Media-Aktivitäten gearbeitet. Diesen Aufgaben widmet sich Samuel Basler, verantwortlich für den Bereich Digital Business & Marketing. „Reichweiten im Online-Handel zu erzielen ist eine echte Kunst“, meint Basler. „Die Schnelllebigkeit in diesem Geschäft zwingt uns, stets auf dem aktuellsten Stand der Technik zu sein.“ Der Vergleichbarkeit im Web steht er gelassen gegenüber: „Transparenz betrachten wir als Chance, die uns klare Wettbewerbsvorteile verschaffen kann, etwa durch den Einsatz von Tools für automatisiertes Preis-Monitoring und dynamische Preisgestaltung. Gleichzeitig gewinnen wir Kundenvertrauen, indem wir authentische Einblicke in unser Unternehmen gewähren und so selbst mit Transparenz überzeugen.“
Nicht nur diese Maßnahmen seien mit Investitionen verbunden. „Wir investieren viel in den Ausbau unserer leistungsfähigen EDV, in Software- Entwicklung und digitales Know-how“, verrät Huss. „Wir sind zu 95 Prozent digital durchorganisiert. Das erfordert eine hohe digitale Affinität von allen Mitarbeitern.“ Herausfordernd seien aber auch die immer neuen gesetzlichen Regularien, die schnelle Veränderung der digitalen Prozesse sowie die stets neuen Endgeräte, auf die der Webshop angepasst werden muss. Trotzdem blickt man bei Huss positiv in die Zukunft: „Der Webshop ist für uns das ideale Medium. Wir sind aufgrund unserer digitalen Prozesse sehr wandlungsfähig und können unser Know-how jederzeit auf Sortimentsänderungen und neue Zielgruppen übertragen“, begeistern sich Huss und Basler gleichermaßen und sind fest entschlossen, jeder zukünftigen Herausforderung einen Nutzen abzugewinnen.
“Kunden und Kundinnen wollen heute nicht mehr warten – sie wollen die Ware sofort.”
- Matthias Schwarz
Dipl.-Wirt.-Ing. Birgit Mann, Wirtschaftsingenieurin Kommunikationstechnik und Inhaberin der Team-Entlastung PR Blaubeuren