Die Speditionsfirma Pfaff International GmbH in Baienfurt profitiert von der Europäischen Union mit ihrem freien Zoll- und Warenverkehr. Doch Europa steht auch für Sicherheit und Frieden. „Ich bin in einer Generation groß geworden, in der man es nicht anders kennt. Die Vorteile fallen erst richtig auf, wenn sie nicht mehr da sind,“ stimmt Geschäftsführer Dino Rega nachdenkliche Töne an. Als weltweit agierendes Speditionsunternehmen machte Pfaff International diese bittere Erfahrung mehrfach in den letzten Jahren. „Unsere guten Beziehungen und der reibungslose Warenverkehr mit Russland waren ein absolutes Markenzeichen von Pfaff. Als klar wurde, dass sich der Ukrainekrieg noch jahrelang ziehen kann, mussten wir unsere Firma in Russland leider aufgeben.“ Heute transportiert Pfaff nur wenige, nicht sanktionierte Produkte wie Maschinen für die Lebensmittelproduktion nach Russland. Für den Transit sei das Land von den meisten Kunden ebenfalls nicht mehr gewünscht.
Gemeinsam resilienter gegen Krisen
Zudem liegen seit dem Gaza-Krieg alle Großprojekte von Pfaff mit Israel auf Eis. Durch die Angriffe der Huthi-Rebellen komme der Suez- Kanal für viele Auftraggeber aus versicherungstechnischen Gründen nicht mehr in Frage, so Rega. Stattdessen werde der Umweg über das Kap der guten Hoffnung genommen. In der Folge verzögere sich die Lieferung um zehn bis 14 Tage, was mehr Kosten und mehr Planung bedeute. Das Unternehmen Pfaff könne diese Krisen aber gut stemmen, da sie sehr breit aufgestellt sei. Genau darin sieht Rega eine Chance in der EU: „Die Diversifikation der Wirtschaft mit der Fokussierung auf Innovationen, Digitalisierung und grüne Technologien kann dazu beitragen, den Binnenmarkt resilienter gegenüber Krisen von außen zu machen. Gleiches gilt für eine gestärkte, koordinierte EU-Außenpolitik mit internationalen Handelsabkommen.“
“Der EU-Markt ist überreguliert. Jede Vorschrift hat für sich gesehen oft ihre Berechtigung, hemmt aber in der Masse unsere Wettbewerbsfähigkeit.”
- Stefan Halder
Einheit auf den Straßen
Im Arbeitsalltag hält die EU für das Transportunternehmen sowohl Chancen, als auch Hürden bereit. „Bei normalen LKW-Transporten profitieren wir vom freien Warenverkehr, dem Wegfall der Zollschranken und der damit verbundenen Kosten- und Zeitersparnis“, sagt Rega. „Hinzu kommen gleichartige Prozesse wie einheitliche Warenbeschreibungen und Frachtpapiere.“ Ganz anders sehe es hingegen bei Schwertransporten aus: „Jedes Land hat hier seinen eigenen Prozess, Voravis-Zeiten für den Erhalt der Genehmigung und die damit verbundenen Auflagen.“ Rega nennt ein Beispiel: In Italien und Österreich könnten private Begleitfahrzeuge die Polizeibegleitung ersetzen, während in Deutschland zusätzlich zur Polizeibegleitung unter anderem ein privates BF3-Fahrzeug und mehrere vereidigte BF4 Fahrzeuge erforderlich seien. „Dies verursacht Mehrkosten.“ Diese hätten sich in den letzten Jahren mehr als verdoppelt, was die Industrie noch mehr dazu veranlasse, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern. „Zudem ist es eine ungleiche Entwicklung im Hinblick auf den Fachkräftemangel“, sagt Rega. „Da uns in Deutschland ohnehin LKW-Fahrer fehlen, woher sollen wir noch zusätzliche Fahrer für die unzähligen Begleitfahrzeuge nehmen?“ In Ländern wie Deutschland dürfen Schwertransporte nur nachts fahren, während in manchen Ländern inländische Transportunternehmen keine Straßensteuern zahlen müssen. Hier wünscht sich der Pfaff-Geschäftsführer einheitliche Regelungen zur Harmonisierung des Binnenmarktes.
© Armin Buhl, Photodesign Armin Buhl
Konforme Waren, kurze Lieferketten
Die rund 220 Mitarbeiter starke Erwin Halder KG in Achstetten-Bronnen hat mit ihrem Simplex-Schonhammer einen echten Verkaufsschlager entwickelt. Heute produziert und vertreibt das Unternehmen Normteile, Hand- und Forstwerkzeuge, Vorrichtungen zur Werkstückspannung und Luftfahrtprodukte. Für Halder spielt der europäische Binnenmarkt eine sehr wichtige Rolle. 84 Prozent des Gesamtumsatzes werden laut Geschäftsführer Stefan Halder in der EU erwirtschaftet. „Durch den Wegfall des Wechselkursrisikos können wir Kunden in der Europäischen Währungsunion eine Preisstabilität bieten“, benennt er einen der Vorteile. Außergewöhnlich ist das Beschaffungsvolumen des Unternehmens: „96 Prozent stammt aus EU-Staaten. Die kurzen Lieferketten sind ökologisch nachhaltiger, wir können flexibler auf Marktschwankungen reagieren und erhalten von Lieferanten EU-konforme Waren, die allen Anforderungen entsprechen.“ Hinzu kämen die Preisstabilität im Euro-Raum und eine höhere Resilienz gegenüber Krisen, zum Beispiel Corona oder Hafenschließungen.
Selbstverantwortung statt Überregulierung
Dennoch sieht Stefan Halder einige Punkte kritisch: „Der EU-Markt ist überreguliert. Jede Vorschrift hat für sich gesehen oft ihre Berechtigung, hemmt aber in der Masse unsere Wettbewerbsfähigkeit“ – gerade im Bereich Produktsicherheit. Der Geschäftsführer betont, dass Änderungen zu Themen wie Luftqualität, Gesundheit oder Unfallvermeidung natürlich richtig und wichtig, in ihrer Gesamtheit von KMUs aber kaum zu bewältigen seien. Gleichzeitig stellten diese Regularien eine Markteintrittshürde für Drittländer dar. „Ein Protektionismus, der vielleicht ein Stück weit gewollt ist“, mutmaßt Halder. Sein Unternehmen habe zum Beispiel nach einer Anlage zur chemischen Passivierung gesucht und in den USA einen sehr innovativen kleineren Anbieter gefunden, der eine günstigere und technisch bessere Lösung angeboten habe. Doch das Unternehmen lieferte nicht in die EU, weil ihr unter anderem die CE-Zertifizierung fehlte. Dennoch hat Halder die Maschine gekauft und einen Dienstleister beauftragt, die CE-Konformität zu erfüllen. Umwege, die sich vermeiden ließen. Drohe man sich in jedem Detail zu verlieren, könnte Innovation von außen gehemmt werden und die Wettbewerbsfähigkeit durch Bürokratiekosten leiden, sagt Halder. Oft stehe der Aufwand zum gesellschaftlichen Nutzen in keinem Verhältnis. Seine Forderung: „Wir müssen zurück zu mehr Selbstverantwortung und lernen, mit unregulierten Situationen zu leben und umzugehen.“
“Wir verwenden mehr als 50 Prozent unserer Entwicklungskapazität für Themen rund um die Dokumentation.”
- Jonathan Kopf
Bürokratie hemmt Innovationen
Wie sehr manche Branchen von der Regulierungswucht betroffen sind, zeigt eine Erhebung des Johner Instituts vom Dezember vergangenen Jahres. Die Studie untersuchte 5.004 Regularien, die Medizinprodukte betreffen. In der EU wurden allein im Jahr 2023 rund 450 dieser Regularien geändert, während es in Ländern wie der Schweiz oder Brasilien gerade einmal 20 bis 30 betraf. Damit war die EU Spitzenreiter, gefolgt von den USA und Deutschland. Auch die medica Medizintechnik GmbH aus
Hochdorf kann davon ein Lied singen. Unter der Marke THERA-Trainer konzentriert sich das Unternehmen seit knapp 35 Jahren auf die Entwicklung, Produktion und Vermarktung von robotikgestützten Therapiegeräten und Softwarelösungen im Bereich der neurologischen und geriatrischen Rehabilitation. Mit weltweit über 100.000 installierten Systemen gilt das Unternehmen als Hidden Champion mit Niederlassungen in Frankreich, Slowenien, Großbritannien und USA. EU-Verordnungen wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz findet Geschäftsführer Jonathan Kopf „von der Idee her super“. Jedoch bereite die bürokratische Art der Umsetzung in der Realität insbesondere dem Mittelstand eine Menge Probleme. „Man muss Personal aufbauen, um die Dokumentationsmaschinerie zu bedienen. Hier wird viel Aufwand in nicht direkt wertschöpfende Bereiche investiert, den die Kunden am Ende nicht zahlen wollen oder können“, fasst Kopf das Dilemma zusammen. Dies könne leicht dazu führen, dass es immer schwieriger wird, neue innovative Produkte auf den Markt zu bringen, da sich KMUs und Startups den Mehraufwand nicht leisten könnten.
Keine Kinderprodukte mehr?
„Die Einführung der EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) hat dazu geführt, dass wir rund 30 Prozent unserer Produktpalette abgekündigt haben – weil sich der bürokratische Aufwand schlichtweg nicht lohnt, um die Dokumentation auf die Erfordernisse der MDR anzupassen“, stellt Kopf klar. Insbesondere Nischenprodukte dürften es künftig schwer haben. Dazu liefert er ein erschreckendes Beispiel: „Viele Medizinprodukte werden primär für Erwachsene entwickelt. In manchen Bereichen werden in Zukunft aufgrund der geringen Stückzahlen kaum noch Kinderprodukte angeboten werden.“ Viele der Verordnungen seien zwar im Kern sinnvoll, aber nicht zu Ende gedacht. „Wenn die verschärften Regularien der MDR aufgrund weniger schwarzer Schafe dazu
führen, dass 30 Prozent aller Produkte wegfallen und der Rest deutlich teurer wird, darf man sich schon fragen, was die Gesellschaft unterm Strich davon hat“, gibt Kopf zu bedenken. „Konkret verwenden wir mehr als 50 Prozent unserer Entwicklungskapazität für Themen rund um die Dokumentation. Einige Neuentwicklungen – unter anderem für Kinder – werden deshalb zwangsläufig teilweise um Jahre nach hinten geschoben.“ Grundsätzlich ist Kopf überzeugter Europäer, der die EU und ihre Errungenschaften auch für Deutschland sehr positiv sieht. Leider würden die positiven Effekte der europäischen Idee häufig von der lähmenden Bürokratie der EU überschattet.
Dem Green Deal voraus
Zahlreiche EU-Verordnungen dienen dem Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden. Der Green Deal soll den Europäischen Binnenmarkt nachhaltiger, ressourcenschonender und zukunftsfähiger machen. Nachhaltigkeit ist fester Bestandteil der Unternehmens-DNA bei der bellissa HAAS GmbH aus Bodnegg. Die Verbindung liegt nahe, schließlich produziert und vertreibt belissa europaweit Gartenprodukte wie Pflanzstäbe, Gabionen, Rasenkanten und Hochbeete. Zudem ist das Unternehmen Teil der Alveus Beteiligungen, einer familiengeführten Unternehmensgruppe mit Fokus auf Unternehmensnachfolgen. Beim Gang durch das grüne Reich des Betriebsgeländes gerät Geschäftsführer Oliver Kühn ins Schwärmen: „Unsere hochwertigen, langlebigen Produkte sollen helfen, natürliche Lebensräume zu schaffen und die Welt ein bisschen besser zu hinterlassen.“ Etwa durch Pflanzregale fürs Vertical Gardening oder „Gabionen 2.0.“, die keine Steinwüsten mehr sind, sondern mit Pflanzen bestückt werden. „Wir sind in der Region verwurzelt, produzieren mehr als 50 Prozent unserer Produkte am Standort. Gleichzeitig sind wir mitten auf dem Weg nach Europa, verzeichnen ein zweistelliges Wachstum im Ausland“, betont Kühn. Europa sei ein großer Markt, der Synergien, Wettbewerb und Chancen für Handel und Endkunden biete. „Zudem möchten wir, dass sich Mensch und Natur gemeinsam weiterentwickeln.“ So strebt das Unternehmen Kunststofffreiheit bis 2030 an, nutzt Wärme aus Biomasse, verwendet langlebige Materialien wie Stahl, Holz und Corten – „selbstheilenden Rost“ –, arbeitet mit lokalen Behindertenwerkstätten zusammen und unterstützt zwei Renaturierungsprojekte.
Verbindlichkeit und Klarheit schaffen
Der 60 Mitarbeiter starke Marktführer in Zentraleuropa ist von einigen konkreten EU-Regularien betroffen. Zum Beispiel vom CO2- Grenzausgleichssystem (CBAM), das auf Stahlprodukte erhoben wird, die mittlerweile weltweit zu mehr als 50 Prozent aus China stammen. Laut Kühn verteuert sich Stahl dadurch deutlich, zudem werde EU-Recht in Drittstaaten auferlegt, was kostenintensiv und verifizierbar überwacht werden müsse. Dennoch hält Kühn am Material fest: „Stahl ist besonders robust und langlebig, hat im ersten Schritt einen höheren CO2-Abdruck und damit einen Nachteil gegenüber Kunststoff, der erst später vom CBAM betroffen ist. Durch die endlose Materialrückgewinnung von Stahl relativiert sich das aber langfristig.“ Bei den Verpackungs- und Kennzeichnungsvorschriften würden lokale Kennzeichnungen und Meldungen benötigt, was Mehraufwand verursache. Das Unternehmen arbeite mit mindestens einem Jahr Vorlauf. Änderungen könnten im laufenden Prozess für Probleme sorgen, weshalb sich Kühn längere Umsetzungsfristen und stabile Entscheidungen wünscht. Zudem vermisst er einheitliche Standards. Das Lieferkettengesetz hinterlasse zu viel Interpretationsspielraum, und viele Unternehmen entwickelten eigene Standards. Verbindliche Checklisten für Lieferanten könnten helfen. Die Zielsetzung sei richtig, die Umsetzung weniger. „Unsere Firma möchte noch mehr am Standort Bodnegg produzieren“, sagt Kühn. „Dafür benötige ich allerdings verbindliche Daten, um Business Cases zu rechnen und Investitionen freizugeben.“
EU macht Schnecken glücklich
Es gibt auch EU-Vorschriften, die keinen Mehraufwand bedeuten, sondern mehr Umsatz schaffen. „Nachdem die EU bestimmte Schneckengifte verboten hat, ist unsere Nachfrage nach tier- und naturfreundlichen Schneckenzäunen und Kupferbändern merklich angestiegen“, gibt Kühn schmunzelnd zu. Der Geschäftsführer ist von Europa überzeugt. „Europa hat viel Positives erreicht, was aber nicht ausreichend kommuniziert wird. Zudem halte ich es für besser, Menschen mitzunehmen, statt ihnen etwas zu verordnen.“ Das Unternehmen bellissa spricht seine Kunden europaweit auf verschiedensten Wegen an: mit Influencern in den sozialen Medien sowie Anleitungsvideos und Inspirationen im Internet, in Baumärkten, Gartencentern und bei Baustoffhändlern.
“Europa ist die beste Idee, die wir in den letzten 1.000 Jahren hatten!”
- Oliver Kühn
Wohlstandsfaktor EU
Selbst wenn es offene Baustellen gibt – eine Auflösung der EU ist nach Meinung der Unternehmer keine Lösung. Dies belegt eine Studie des ifo Instituts und EconPol Europe vom Februar 2023. Demnach würde das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland ohne EU pro Kopf um 5,2 Prozent zurückgehen (den Link zur Studie finden Sie im Kasten auf S. 23). Der Präsident des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, bescheinigt der EU im Handelsblatt- Podcast eine glänzende Zukunft. Aufbau- und Resilienz-Pläne der mehrjährigen „Next Generation EU“ mit Investitionen in grüne, digitale und gesundheitliche Belange hätten sich ebenso bestätigt wie gemeinsame, kostengünstige Beschaffungen auf EU-Ebene. Damit sich die drittgrößte Ökonomie der Welt auch gegen die USA und China behaupten kann.
Wünsche und Perspektiven
Weniger Bürokratie, verbindliche Regularien, mehr Einheitlichkeit, längere Umsetzungsfristen – die Unternehmen sind sich über ihre Wünsche einig. Joachim Kopf regt eine Reformierung der EU an, die sie agiler macht und fragt, „ob wirklich jedes Land zu jedem Thema mit abstimmen muss“. Dino Rega und Stefan Halder sehen in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit eine Möglichkeit, politische Beschlüsse voranzutreiben und Stabilität zu erhalten. Oliver Kühn geht noch einen Schritt weiter: „Europa ist die beste Idee, die wir in den letzten 1.000 Jahren hatten, denn sie hat uns lange friedliche Zeiten und Wachstum ermöglicht.“
Diana Wieser, Inhaberin von adWORDising Journalismus & Werbetext, Ulm