Mit Sachverstand in die Zukunft

Ein großer Verkehrsbetrieb hat 100 neue Elektrobusse gekauft. Es gibt Probleme mit der Reichweite, weil die Batterie nicht richtig lädt. Der Verkehrsbetrieb bittet den Hersteller um Aufklärung. Dieser sieht die Schuld aber nicht in den gelieferten Bussen, sondern in der Ladeinfrastruktur des Betriebs. Die Lage ist verzwickt.

Um den Fall aufzuklären, starten die Parteien ein außergerichtliches Schlichtungsverfahren und ziehen dafür einen unabhängigen Experten zu Rate: Professor Joachim Berg. Er ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Elektrische Maschinen und Antriebstechnik sowie Elektromobilität und Elektrofahrzeuge. Um die Ursache für die mangelhafte Reichweite zu finden, führt er eine technische Analyse durch. „Für so ein Verfahren gibt es kein Schema F. Ich hinterfrage jedes Mal meine Vorgehensweise. Erst wenn ich zweifelsfrei der Meinung bin, dass ich die Ursache gefunden habe, schreibe ich das Gutachten“, erklärt der gelernte Elektriker und Professor der Hochschule Flensburg.

2014 hat die IHK Flensburg Joachim Berg zum Sachverständigen vereidigt. Die IHKs prüfen die besondere Sachkunde und persönliche Eignung der Sachverständigen nach einheitlichen Standards. Nach erfolgreicher Prüfung stehen sie Gerichten, Behörden, der Wirtschaft und der Allgemeinheit als zuverlässige und besonders sachkundige Person zur Verfügung. Die öffentlich bestellten Sachverständigen ermitteln dabei Schadensursachen, stellen den Schadensumfang und die Schadenshöhe fest, bewerten Maschinen, Grundstücke, Häuser, Hausrat und Kunstgegenstände und betreiben Streitschlichtung sowie Streitvermeidung durch die Erstattung von Schiedsgutachten.

Deutschlandweit gibt es aktuell über 6.000 öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige – davon 65 bei der IHK Flensburg. Ihr Einsatzgebiet beschränkt sich jedoch nicht nur auf den IHK-Bezirk Flensburg. Sie können bundesweit tätig werden. „Der Titel ist ein Qualitätssiegel, um hochqualifizierte Experten zu erkennen“, erklärt Bernhard Floter, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Instituts für Sachverständigenwesen (IfS).

„Im gerichtlichen Bereich ist es wichtig, dass öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige in Prozessen bestimmt werden, damit die Gerichte effizient arbeiten können“, betont er. „Nachvollziehbare und neutrale Gutachten sichern eine gewisse Geschwindigkeit der Prozesse.“

Zehn bis zwölf Gerichtsgutachten, zwei Schlichtungsverfahren und diverse Privatgutachten sind Joachim Bergs Jahrespensum. „Die komplexe Technik für das Gericht so darzustellen, dass es mein Gutachten nachvollziehen und anschließend Recht sprechen kann, ist die Herausforderung“, sagt er.

Der demografische Wandel und der Fachkräftemangel treffen auch das Sachverständigenwesen. Aktuell liegt das Durchschnittsalter der Sachverständigen bei 60 Jahren. Junge Experten aus allen Fachbereichen können also jetzt die Chance nutzen und eine Karriere oder ein zweites Standbein als öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige in Erwägung ziehen.

Der 67-jährige Berg brennt für seine Tätigkeit: „Ich liebe meinen Job. Sachverständiger zu sein, ist eine Berufung.“ Er bildet sich ständig weiter, liest andere Gutachten und besucht Seminare. Berg sagt, seine Arbeit erfordere Kreativität und Neugierde – er denke nicht daran aufzuhören.

Aenne Boye, Anne Besser

Veröffentlicht am 1. Juli 2024.