Energiekrise

Die Sorge vor der Mangellage

Was tun, wenn der Wirtschaft das „Licht ausgeht“ bzw. der „Gashahn zugedreht“ wird? Viele Unternehmen haben Vorkehrungen getroffen. Doch es bleibt Verunsicherung. (Von Daniel Boss)
Die auf den ersten Blick einfachste Methode, Heizenergie einzusparen, ist die Absenkung der Temperatur. Das gilt für Wohnungen, Büros, Industriehallen und Schwimmbäder - und sogar im ÖPNV ist es nun mancherorts deutlich kühler. Bei der Prozessenergie ist die Sache nicht ganz so einfach. Hier sind niedrigere Temperaturen als üblich sogar oft unmöglich. „Wenn wir den Backprozess verlängern, in dem wir die Temperatur herabsetzen, würden wir statt Brot nur Paniermehl produzieren“, beschreibt Christian Scherpel, Geschäftsführer der Malzers Backstube GmbH & Co. KG. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Gelsenkirchen betreibt ein Netz von rund 150 Filialen im Ruhrgebiet und beschäftigt mehr als 2000 Mitarbeiter. „Wir kümmern uns also mit um die Grundversorgung der Menschen in unserer Region“, betont Christian Scherpel. In dieser Verantwortung sehe man sich auch im Fall einer Gasmangellage. „Dann würden wir alles tun, um den Ausstoß so hoch wie möglich zu halten“, sagt der Geschäftsführer. Das Unternehmen hat vorgesorgt. So wurden alte Heizöltanks im Keller reaktiviert und neue Brenner angeschafft. „Deren Leistung reicht aber nicht für den Normalbetrieb“, stellt Christian Scherpel klar. „Wir könnten nur eine eingeschränkte Produktpalette bieten.“ Heißt: Zahlreiche Brot- und Brötchensorten würden auf unbestimmte Zeit aus der Auslage verschwinden. Beim Kuchen sähe es ohnehin mau aus.

Notfallpläne

Was tun, wenn der Wirtschaft das „Licht ausgeht“ oder der „Gashahn zugedreht“ wird? Was vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine undenkbar schien, ist seit Wochen Gegenstand ernsthafter Diskussionen und Notfallpläne. Vor dem Hintergrund der angespannten Situation hatte so auch die ELE Verteilnetz GmbH (EVNG) Medien- und Wirtschaftsvertreter zu einem virtuellen Gespräch im Oktober geladen. Unter der Überschrift „Gasmangellage im Emscher-Lippe-Land“ nannte Christoph Queens, Leiter Betrieb Gas bei der EVNG, zunächst die Fakten in Sachen Einsparmaßnahmen. Zunächst das Positive: „Die Industrie-Gaskunden haben schon früh im Jahr auf die sich verschärfende Lage reagiert.“ 

Erst Aufforderung vom Netzbetreiber

Christian Scherpel
Christian Scherpel, Geschäftsführer er Malzers Backstube, Gelsebnkirchen © Malzers Backstube
Jenseits aller Panikmache lag der Schwerpunkt des Gesprächs auf dem Ernstfall. Laut dem zuständigen EVNG-Fachmann haben alle Gasnetzbetreiber bei einer Gasmangellage die Systemstabilität zu gewährleisten. So muss ein bestimmter Gasdruck aufrechterhalten werden, um ein Kollabieren des Netzes zu verhindern. Es könnte erforderlich werden, bei den sogenannten „ungeschützten Industriekunden“ den Gasbezug zu reduzieren. Auch ein Abschalten - bei vorheriger Ankündigung - ist nicht ausgeschlossen. Christoph Queens betont, dass der Gesetzgeber klar vorgebe, „welche Kunden abgeschaltet oder gedrosselt werden müssen und welche nicht“. Das Procedere: Es wird keine Leitung gedrosselt, sondern die Kunden werden aufgefordert, ihren Verbrauch zu reduzieren beziehungsweise einzustellen. Wenn ein Kunde der Aufforderung nicht nachkommt, müssen die anderen Kunden umso mehr drosseln. Eine Abschaltaufforderung des Bundeslastverteilers (BLastV) würde direkt an den Kunden gehen. Erst wenn dieser nicht Folge geleistet würde, würde der BLastV die EVNG mit der Unterbrechung der Anschlussnutzung, sprich Sperrung, beauftragen. Die Verbräuche der Kunden können in Echtzeit ausgelesen und aufsummiert werden.
Grob formuliert wären alle Unternehmen mit sehr hohem Verbrauch betroffen, deren Geschäftsmodell nicht aus der Lieferung von Heizwärme für Endverbraucher besteht. Queens nannte die Zahl von 37 Kunden in Gelsenkirchen, 17 in Bottrop und 12 in Gladbeck. „Die könnten theoretisch abgeschaltet beziehungsweise gedrosselt werden.“ Natürlich habe jedes Unternehmen nachvollziehbare Gründe, warum gerade bei ihm der Betrieb unbedingt weiterlaufen müsse. „Aber diese Entscheidung liegt außerhalb unseres Kompetenzbereichs“, stellt Queens klar.
Für die SEEPEX GmbH wäre ein Gas-Stopp katastrophal. „Wenn wir abgeschaltet werden, steht hier alles still“, sagte Bernd Groß, Geschäftsführer beim Bottroper Maschinenbauer und Teilnehmer der Gesprächsrunde. Sein Unternehmen tue alles, um ein solche Situation zu verhindern. So wurden unter anderem die Prozesstemperaturen bei der Lackierung und Trocknung angepasst. Auch die Raumtemperaturen gingen deutlich nach unten: „Jetzt haben wir 19 Grad in den Büros, 16 Grad an den Werkbänken und bis zu 12 Grad bei besonders schwerer, ohnehin schweißtreibender Arbeit.“ 

„Zweite Schlagader“

Auch in anderen Regionen des Kammerbezirks bereiten sich Unternehmen auf Worst-Case-Szenarien vor. Der Beckumer Lebensmittelhersteller Berief Food hat sich nach Aussage von Geschäftsführer Bernd Eßer „eine zweite Lebensschlagader“ neben der Gasversorgung geschaffen. Gemeint ist ein Öltank, „der nun eine zweite Chance bekommt“. Eigentlich hätte er in Kürze demontiert werden sollen. Doch angesichts der aktuellen Entwicklung bleibt er bis auf Weiteres stehen. „Wir haben ihn bereits betankt und die Dampfkessel sind umgerüstet“, erklärt Bernd Eßer. Etwa Zweidrittel des Gasbedarfs könne das Unternehmen auf diese Weise ersetzen - allerdings nur für zwei Tage. Überhaupt sei Öl keine Alternative, schon gar nicht beim Blick auf den Preis. „Es geht uns im Augenblick schlicht und einfach darum, dass wir im Ernstfall weiter produzieren können.“ 

Planungssicherheit gefordert

Die Gas- und Strompreisbremse aus Berlin bezeichnet Bernd Eßer als „Breitband-Antibiotikum“. Mäkeln wolle er daran nicht - „es ist durchaus ein Schritt in die richtige Richtung“. Doch der Geschäftsführer ist gedanklich schon weiter. „Was kommt ab dem zweiten Quartal 2024?“ Die deutsche Wirtschaft müsse frühzeitig wissen, wie es weitergehen soll. „Müssen wir auf LNG setzen? Oder auf Wasserstoff? Und was ist mit den gesetzlichen Vorgaben?“ Für ihn wäre es ein Horror-Szenario, wenn eines Tages genug Wasserstoff vorhanden wäre, aber die entsprechende Zulassung für den Einsatz vor Ort fehlen würde.
Erfreut ist Bernd Eßer über den „Schulterschluss“ vieler Unternehmen in Beckum angesichts der misslichen Lage. „Wir sprechen uns ab, auch zwischen Wettbewerbern.“ Der gemeinsame Nenner: „Unseren Energiebedarf sichern“. Die Energiekrise sei insofern ein „Kick-off“ für verstärkte Kooperationen in der Zukunft.
Der Gasverbrauch am BASF Coatings-Produktionsstandort in Münster liegt bei maximal einem Prozent des europäischen Gasverbrauchs von BASF. „In Münster werden 75 Prozent des Erdgases zum Beheizen von Gebäuden verwendet. 25 Prozent dienen der Wärmeerzeugung für notwendige Prozesse“, sagt Mathias Schöttke, Geschäftsführer und Arbeitsdirektor des Unternehmens.

Alternative Kraftstoffe, wenn verfügbar

In den letzten Monaten habe man geprüft, wie man den Erdgasbedarf der Produktionsprozesse durch verschiedene Maßnahmen reduzieren könne. „Zu den kurzfristigen Maßnahmen gehören technische Optimierungen im Produktionsnetzwerk von BASF und die Umstellung auf alternative Kraftstoffe wie Öl, wo dies möglich ist. Dies ist eine äußerst schwierige Zeit für die europäische Wirtschaft, und wir zählen auch auf die Zusammenarbeit mit unseren Kunden, um die Versorgungssicherheit über die gesamten Wertschöpfungsketten der Branche sicherzustellen.“ Auch zur Aufrechterhaltung der Produktion in Münster soll Gas, wenn möglich, durch andere Energieträger ersetzt werden. „Die Voraussetzung ist, dass es genug Strom gibt und die Lieferung von Öl gesichert ist.“
Um die Auswirkungen einer möglichen Reduzierung der Erdgasversorgung zu minimieren, steht BASF laut Mathias Schöttke in engem Kontakt mit den zuständigen Behörden in Deutschland, wobei der Bundesnetzagentur und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klima eine besondere Bedeutung zukommt. „Darüber hinaus beraten wir uns kontinuierlich mit den Teilnehmern des deutschen Gasmarktes, wie Netzbetreibern und Händlern.“