THEMA JUNI 2024

Innenstädte: Visitenkarte oder Problemzone?

Attraktive Innenstädte sind ein Stück Lebensqualität und damit ein wichtiger Standortfaktor für die Region – nicht nur für Händler, Gastronomen, Dienstleister und andere Anbieter, die ihren Sitz im Stadtzentrum haben. Auch im Wettbewerb um Arbeitskräfte ist ein lebenswertes Umfeld ein nicht zu unterschätzender Faktor. Doch die Innenstädte stehen unter Druck durch immer mehr Leerstand, inflationsbedingte Kaufzurückhaltung und wachsenden Onlinehandel. Sie müssen sich den geänderten Bedingungen und Erwartungen stellen, sonst wird aus der Visitenkarte der Stadt schnell eine Problemzone.

Einzelhandel verliert an Bedeutung – andere Nutzungen werden wichtiger

Für Ansässige ist sie der Ort einer schnellen Erledigung, Tagesgäste wollen sie erkunden und flanieren, Geschäftsreisende schätzen kurze Wege zwischen Bahnhof, Unterkunft und Büro. Schon immer war der Anpassungsdruck auf innerstädtische Unternehmen groß. Veränderungen in Konsum- und Reiseverhalten sind dort ansässige Geschäftsleute seit jeher gewohnt.
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie wirkten auf diesen Wandel in den Innenstädten wie ein Brandbeschleuniger, Inflation und fehlendes Vertrauen in die Zukunft tun nun ihr Übriges und führen zu einer deutlich schrumpfenden Kaufkraft der Kundschaft. Um Innenstädte und Ortszentren zu stärken, braucht es neue Ideen, Strategien und Konzepte. Denn noch nie war die Wucht an Themen – Mobilität, Digitalisierung, Wohnen, Klima, Energiekosten – so geballt wie aktuell.
Die „Deutschlandstudie Innenstadt“ aus dem Jahr 2022 der Beratungsgesellschaft „Cima Beratung und Management“, an der auch die DIHK beteiligt war, zeigt: Das Besuchsmotiv Einkauf verliert weiter an Bedeutung, liegt aber weiterhin an erster Stelle. Deutlich wichtiger geworden sind Aspekte wie öffentliches Grün, Gastronomie, Sauberkeit und Aufenthaltsqualität. Eine funktionierende, lebendige Innenstadt besteht also aus einem Mix von Geschäften, Wohnen, sowie kulturellen, gastronomischen oder auch medizinischen Angeboten. Das Ziel: ein Wandel zu einem sozialen Interaktions- und Aufenthaltsraum.

Größte Herausforderungen: Leerstand und Kundenabwanderung

Die größten Herausforderungen für den Handel in den Innenstädten sind der Attraktivitätsverlust durch Leerstand, Abwanderung von Kunden ins Online-Segment und der Konsumeinbruch durch Inflation. Zu diesem Ergebnis kommt das aktuelle Thüringer Handelsgutachten „Der stationäre Handel in Thüringen im digitalen und demographischen Wandel bis 2030“. 

Citymanagement

Die Vernetzung der Gewerbetreibenden untereinander und mit der Stadtverwaltung sei ein ganz wesentlicher Faktor für die Innenstadtentwicklung, so eine der Schlussfolgerungen der Gutachter von ibi research und der CIMA Beratung + Management GmbH zum stationären Einzelhandel in Thüringen. Eine gut funktionierende Schnittstelle von innerstädtischem Gewerbe, Stadtverwaltung und lokalen Aktionsbündnissen kann ein aktives Citymanagement gewährleisten. Allerdings verweist das Gutachten auch auf einen „Wermutstropfen“: Mit der Bundesförderung „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ (ZIZ) können aktuell in vielen Städten City- oder Innenstadtmanager arbeiten, deren Stellen jedoch mit dem Ende des Förderzeitraumes 2025 vermutlich wegfallen werden.
Etwas tun, nicht nur reden
Anfang März hat Hermsdorf mit Aktionen und Angeboten viele Menschen in die sonst eher ruhige Innenstadt gelockt. „Hermsdorf macht auf“ war nicht nur das erste Innenstadt-Event seit langem, sondern auch ein Erfolg für alle Beteiligten, so die Einschätzung von Organisator und Innenstadthändler Holger Günthel. Seine Idee, die bessere Vernetzung der Innenstadtakteure untereinander und mit der Stadt, hat damit eine erste Hürde genommen.
Größere Städte haben ein Budget und Personal für professionelle Entwicklungskonzepte. Das können kleine Orte nicht leisten. Umso wichtiger ist es, selbst aktiv zu werden, Zeichen zu setzen.

Holger Günthel, Innenstadthändler und Initiator der Aktion „Hermsdorf macht auf“

Leerstands- und Flächenmanagement 

Die Leerstandsquote im Thüringer Einzelhandel beträgt 27 Prozent. Das unterstreicht den dringenden Handlungsbedarf, noch dazu, wo 58 Prozent der Händler das als größte Herausforderung sehen: Inflationsbedingte Kaufzurückhaltung und wachsender Onlinehandel führen zu weniger Kundenfrequenz und in der Folge Ladenschließung und Ausdünnung des Angebotes. Kunden wandern ab und kaufen online ein.
Vor diesem Hintergrund gewinnt ein aktives kommunales Leerstand- und Flächenmanagement an Bedeutung. Unabdingbar dafür sei der direkte Austausch mit den Beteiligten, lokale Bedürfnisse zu verstehen und individuelle Lösungen für ein nachhaltiges Flächenmanagement zu erarbeiten. Insbesondere durch einen offenen Dialog und eine enge Kooperation mit den Immobilieneigentümern könnten gemeinsame Ziele definiert werden, die sowohl die Interessen der Eigentümer als auch die städtebaulichen Anforderungen berücksichtigen, so das Gutachten.
Agieren, nicht reagieren
Wenn man durch die Innenstadt Pößnecks geht, erlebt man ein ansprechendes Umfeld, ein vielfältiges Angebot an Einkaufsmöglichkeiten und Dienstleistungen – kurzum: es ist „Leben“ in der Stadt. Trotzdem findet man hier, so wie in vielen anderen Ostthüringer Städten, auch leerstehende Geschäfte und Häuser. Um dem etwas entgegenzusetzen, geht das Mittelzentrum neue Wege, die Frank Bachmann, Fachbereichsleiter Bau und Stadtentwicklung, mit „Agieren statt reagieren“ auf den Punkt bringt.
Wir haben Reisebüros, Friseurgeschäfte aber auch Beratungsangebote und die Büros der Stadtverwaltung und des Finanzamtes in die Innenstadt ‚geholt‘. Dadurch entstanden vielfältige Anlaufpunkte für unsere Bürger. Das belebt die Innenstadt, wovon auch Handel und Gastronomie profitieren.

Frank Bachmann, Fachbereichsleiter Bau und Stadtentwicklung Pößneck

Verbesserung der innerstädtischen Aufenthaltsqualität 

Wer sich in seiner Stadt wohlfühlt, kommt auch gern nicht nur zum Einkaufen, sondern auch zum Bummeln in die Innenstadt oder sich mit Freunden zu treffen. Orte zum Verweilen, „grüne Oasen“, Sitzmöglichkeiten, Angebote für Familien, Kinder und Jugendliche und Events können die Innenstadt zu einem attraktiven Ort jenseits des Konsums machen. 
Innenstadt-Qualitäten und -Mängel zu erkennen und dabei die Bürger und Gewerbetreibenden einzubeziehen sei der erste Schritt, um Ansprüche und Bedarfe zu ermitteln, so einer der Handlungsempfehlungen der Einzelhandelsstudie, die in der Verbesserung der innerstädtischen Aufenthaltsqualität als eine der wichtigsten Schritte für vitale Stadtzentren sieht.  
Innenstadt neu denken
Was kann Innenstadt – und vor allem: Was muss sie können, um attraktiv für Einwohner und Gäste zu sein? Diese Frage stellt sich die Stadt Gera und lädt ihre Bürger zum Dialog in ein zentral am Marktplatz gelegenes Kooperationszentrum ein. Darüber hinaus wird im Innenstadtforum der Austausch mit Gewerbetreibenden gesucht. Man will miteinander ins Gespräch kommen, Ideen und Anregungen aufgreifen und auch erfahren, was am dringendsten geändert werden muss. Diese Impulse sollen in ein neues Innenstadtkonzept einfließen.
Menschen kommen in die Stadt, um einzukaufen, aber auch um sich zu treffen, Essen zu gehen, etwas zu erleben. Unser Ziel ist es, für die entsprechenden Angebote die passenden Rahmenbedingungen zu schaffen.

Citymanagerin Amelie Becker und Stadtentwicklungsmanager Lukas Schomaker, Gera

Der stationäre Handel in Thüringen im digitalen und demographischen Wandel bis 2030
Das Gutachten identifiziert Maßnahmen, um den Handelsstandort Thüringen angesichts der Herausforderungen aus wachsendem Onlinehandel, Fachkräfteproblematiken, Attraktivitätsverlusten der Innenstädte und gefährdeten Nahversorgungsstrukturen zu stärken.

Die Themenschwerpunkte spiegeln die Megatrends in den Querschnittsthemen Digitalisierung und Demografie wider:
•    Vitale Innenstädte der Zukunft
•    Nahversorgung
•    Mobilität und Erreichbarkeit
•    Fachkräfte
•    Management und Marketing sowie Kooperation und Vernetzung der Akteure

ihk.de/gera
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