Herr Winter, Sie gründeten die Initiative „Bleiberecht durch Arbeit“ und sind Vorsitzender des landesweiten Arbeitskreises Ausbildung und Migration. Was motiviert Sie zu diesem Engagement?
Besonders seit 2014 kamen sehr viele Flüchtlinge nach Deutschland. Das hat zu vielen sozialen und ökonomischen Problemen geführt, die uns alle bis heute maßgeblich bewegen. Mir war es wichtig, nicht nur zu kritisieren, sondern mitzuhelfen, diese Probleme zu lösen. Zum einen haben wir das Thema, Flüchtlinge in Arbeit zu bringen, in unserer Firma massiv vorangetrieben, zum anderen habe ich mich in dieser Zeit auch dazu entschlossen, politisch und ehrenamtlich aktiv zu werden, damit nicht die „Falschen“ abgeschoben werden. In den letzten zehn Jahren haben wir bei IDS mehr als 100 Flüchtlinge angestellt. Dabei haben wir einige Erfolgsgeschichten, aber auch einige Enttäuschungen erlebt.
Was hat sich in den letzten Jahren bei der Integration in den Arbeitsmarkt verändert?
In Politik und Gesellschaft setzt sich in letzter Zeit immer mehr das Bewusstsein durch, dass wir Arbeitsmigration brauchen. Dieses Umdenken ist auch notwendig, um die Wirtschaft am Laufen und unsere Sozialsysteme am Leben zu halten. Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung, springt aber noch deutlich zu kurz und ist viel zu bürokratisch. Die jährlich notwendigen 500.000 Arbeitskräfte werden wir damit sicher nicht nach Deutschland bringen können.
Auch Arbeitgebern wird immer mehr bewusst, wie wichtig es ist, sich auf Arbeitnehmer aus anderen Kulturen einzustellen. Das beginnt mit dem Bewerbungsprozess und reicht bis zur Begleitung im täglichen Arbeitsleben. Egal, ob Menschen innerhalb Europas, über die Westbalkanländer oder Drittstaaten zu uns kommen, Integration ist immer eine Herausforderung für beide Seiten in der Arbeitswelt. Nur wer hierfür wirklich offen ist und neuen Mitarbeitern mit ehrlichem Respekt begegnet, wird dabei erfolgreich sein.
Wie können Arbeitskreis und Initiative aktiv an der Verbesserung der Situation mitwirken?
Konkrete Erfolge hatten wir bei der Ausgestaltung des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. An mehreren Stellen wurden Formulierungen für die Genehmigungskriterien und Schwellenwerte bezüglich der Entlohnung so angepasst, dass sie näher an der Realität sind, als man sich das im Vorhinein in Berlin ausgedacht hatte.
Ein zweiter großer Erfolg war die praktische Umsetzung des Gesetzes zur Beschäftigungsduldung arbeitender geduldeter Asylbewerber in Baden-Württemberg. Ursprünglich war die juristische Auslegung im Land deutlich restriktiver als in vielen anderen Bundesländern. Das hatte dazu geführt, dass die Beschäftigung von Geflüchteten sehr schwierig und unsicher war. Außerdem hat die Vorgehensweise dazu geführt, vorzugsweise arbeitende Geflüchtete abzuschieben, um die Quoten zu erhöhen. Auf unseren massiven Druck hin wurde die Verwaltungspraxis geändert, was Hunderten Geflüchteten in Arbeit und damit auch den Unternehmen als Arbeitgebern geholfen hat.
Was läuft noch nicht zufriedenstellend?
Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, kurz FEG, ist zu kompliziert, langwierig und überreguliert. Die ausufernden Prüfungsvorgaben sind von Misstrauen gegenüber den Arbeitgebern geprägt. In der Praxis werden die Behörden und Institutionen diesen Arbeitsumfang nicht leisten können. Im Ergebnis wird das zu Frust für die Unternehmen führen, die eigentlich schnell und mit vertretbarem Aufwand Arbeitskräfte einstellen möchten.
Wie wir vom BWIHK vorgeschlagen haben, sollte die Verantwortung mehr in die Hände der Arbeitgeber gelegt werden, um dann mit Stichproben die Einhaltung zu kontrollieren. Damit wären wir deutlich schneller und unbürokratischer. Sollte es doch ein paar schwarze Schafe geben, dann könnten die auch empfindlich bestraft werden.
Außerdem brauchen wir für die Anwerbung von leistungsfähigen Einwanderern eine weltoffene Willkommenskultur, um im Wettbewerb mit anderen Einwanderungsländern mithalten zu können. Das erfordert ein Umdenken auf allen Ebenen der Gesellschaft.
Gibt es ein Thema, mit dem Sie sich aktuell besonders beschäftigen?
Das Transferleistungsniveau für Nichtarbeitende, egal ob Kriegsflüchtlinge, Asylbewerber oder arbeitsfähige deutsche Staatsbürger, ist für den Staat nicht mehr tragbar und auch nicht notwendig. Falsche Anreize zur Einreise im Vergleich zu unseren Nachbarländern sind ein weiterer Effekt dieser Politik. Was mich aber am meisten stört, ist, dass viele junge, gut ausgebildete Menschen auswandern. Im Jahr 2022 waren es 268.000 Personen im Alter zwischen 25 und 39 Jahren. Mindestens 75 Prozent von ihnen sind Akademiker. Wenn man sich dann die Gründe für diese Bewegung ansieht, wird schnell deutlich, dass Deutschland für eine aufstrebende leistungsbereite und gut ausgebildete Mittelschicht nicht mehr attraktiv ist. Die Steuerabgaben sind die höchsten in Europa. So werden wir immer weniger Fachkräfte im Land halten und immer weniger attraktiv für gut motivierte Einwanderer sein. Wenn hier nicht schnell gegengesteuert wird, werden wir das auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu spüren bekommen.
Interview: Ingrid Kirchner, Christin Krauß