Auf jeder Tüte gibt es einen QR-Code, und wer ihn scannt und öffnet, findet auf der Website des Familienunternehmens jede Menge Informationen darüber, was die Ananas so fair und gut macht: „Durch dauerhaft garantierte Abnahmemengen bieten wir den Bauern und ihren Familien vor Ort eine sichere, stabile Lebensgrundlage und Planbarkeit für die nächsten Jahre“, heißt es dort. Noch ein wenig konkreter wird Nadine Kellner. Sie ist Assistenz der Einkaufsleitung und Beauftragte für Nachhaltigkeit in der Lieferkette bei der Seeberger GmbH in Ulm und achtet darauf, dass in den globalen Lieferketten die Anbaubedingungen nachhaltig und ressourcenschonend sind und die Menschenrechte eingehalten werden. Kellner sagt: „Wir gehen über die reine Produktqualität hinaus und möchten Verantwortung für die Menschen übernehmen, die unsere Ananas anbauen und verarbeiten.“ Dabei geht es zum Beispiel um den Schutz vor Kinderarbeit oder das Recht auf faire Löhne.
All diese Themen stehen im Mittelpunkt des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) – kurz Lieferkettengesetz –, das am 1. Januar 2023 in Kraft getreten ist. Es gilt in abgestufter Weise zunächst für Unternehmen mit mindestens 3.000 Beschäftigten, sofern sie ihre Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz beziehungsweise ihren satzungsmäßigen Sitz oder eine entsprechend große Zweigniederlassung in Deutschland haben. Seit 2024 sind auch Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten in Deutschland zur Umsetzung des Gesetzes verpflichtet. „Seeberger hat rund 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Deshalb fallen wir als Unternehmen bereits in den Anwendungsbereich des Lieferkettengesetzes“, sagt Kellner. „Aber wir sind der Meinung, dass Unternehmen unabhängig von ihrer Größe und von gesetzlichen Vorgaben die Verantwortung für ihre Lieferkette übernehmen sollten und haben uns deshalb schon zwei Jahre lang freiwillig für das LkSG eingesetzt, als wir noch gar nicht dazu verpflichtet waren. Unser Ehrgeiz ist es auf jeden Fall, die im Lieferkettengesetz geforderten Sorgfaltspflichten vollständig zu erfüllen.“ Die Seeberger Gruppe kann dabei auf den Seeberger Sustainability Guidelines aufbauen, die schon seit dem Jahr 2012 verpflichtender Bestandteil der Einkaufsbedingungen mit den Lieferbetrieben sind. Sie sollen Kinderund Zwangsarbeit verhindern, fairen Handel unterstützen und die Bezahlung angemessener Löhne sicherstellen. „Bei Lieferanten aus mehr als 60 Ländern ist es natürlich kein Kinderspiel, die Einhaltung dieser Kriterien lückenlos sicherzustellen. Der bürokratische Aufwand dafür ist sehr hoch“, berichtet die Betriebswirtin. „Aber wir lernen selbst enorm viel dabei, erfahren mehr über wichtige Prozesse und können uns laufend weiterentwickeln und verbessern.“
"Das Gesetz entspricht dem ZOLLERN-Geist, den wir über Jahrhunderte hinweg entwickelt haben."
- Rebecca Mutke
Große Unternehmen sehen Chancen
Genauso positiv sieht das auch die ZOLLERNUnternehmensgruppe mit Sitz in Sigmaringendorf- Laucherthal. „Mit mehr als 300 Jahren Unternehmensgeschichte zählen wir zu den ältesten Familienunternehmen in Deutschland“, erklärt Rebecca Mutke. Sie ist Leiterin der Abteilung Recht, Compliance und Datenschutz – und ist mit ihrer Abteilung auch für die Umsetzung des Lieferkettengesetzes verantwortlich. Zollern ist direkt davon betroffen, denn die internationale Unternehmensgruppe hat mehr als 1.800 Beschäftigte weltweit, über 1.000 davon in Deutschland. „Das Gesetz entspricht absolut dem speziellen ZOLLERN-Geist, den wir über Jahrhunderte hinweg entwickelt haben“, sagt die Juristin. „Er basiert auf Verantwortung und fairem Verhalten, auf Fair Play gegenüber unseren Geschäftspartnern ebenso wie gegenüber dem Gemeinwohl.“ Deshalb begann ihre Abteilung schon im Sommer 2023 mit den Vorbereitungen für das Lieferkettengesetz – und stellte im ersten Schritt eine neue Mitarbeiterin ein, die sich um die Umsetzung kümmert. Sie heißt Ann-Kristin Keller und bringt jede Menge Erfahrung für den Job als Compliance Managerin Lieferkettengesetz mit: Sechs Jahre lang war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Deutschen Bundestag und unterstützte die damalige Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe. Jetzt setzt sie ihr Wissen in die Praxis um und freut sich, dass gleich der erste Punkt in den Leitlinien der ZOLLERN-Unternehmensgruppe „Achtung der Menschenrechte in allen Bereichen unseres unternehmerischen Handelns“ lautet. Auch die „Verantwortung für unsere Lieferkette“ ist in den Leitlinien bereits fixiert – die Voraussetzungen für die Umsetzung des Lieferkettengesetzes sind also gegeben. „Natürlich stehen wir dennoch vor einem großen Berg an Arbeit“, sagen Keller und Mutke unisono. „Schließlich müssen wir alle nötigen Daten sammeln, bündeln und gesetzeskonform aufbereiten.“ Das sei manchmal gar nicht so leicht, zum Beispiel wenn der Lieferant aus China komme: „Da bestehen die Unternehmensnamen aus chinesischen Schriftzeichen, und die erkennt unsere Datenbank nicht“, erzählt Keller. Dennoch nutzt sie die LkSG-Software täglich und ist froh über die Unterstützung durch das Tool: „So können wir alles standardisiert und gesetzeskonform dokumentieren, von der Risikoanalyse bis zum Lieferketten- Monitoring, und das branchenspezifisch für uns als Unternehmen der Metallindustrie.“
"Mein Problem ist, dass ich dafür hafte, wenn einer meiner Zulieferer die Vorgaben nicht erfüllt."
- Markus Seifert
Die Risikoanalyse ist einer der wichtigsten Bausteine des Lieferkettengesetzes und muss einmal im Jahr und anlassbezogen durchgeführt werden. „Ziel der Risikoanalyse nach dem LkSG ist es, Kenntnis über die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken im eigenen Geschäftsbereich und in der Lieferkette zu erlangen und für die weitere Bearbeitung zu priorisieren“, betont das Bundesamt für Wirtschaft und Außenkontrolle (BAFA) in seiner „Handreichung zur Umsetzung einer Risikoanalyse nach den Vorgaben des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes“. Das BAFA stellt in der Handreichung auch die einzelnen Schritte der Risikoanalyse vor – allerdings auf einer ziemlich abstrakten Ebene. „Das könnte gerne deutlich praxisorientierter sein“, urteilt Mutke. „Derzeit muss da jedes Unternehmen noch seinen eigenen Weg finden. Andererseits eröffnet uns das auch Chancen und Spielräume. Wir stecken zum Beispiel gerade mitten in der Analyse unserer Lieferantenbeziehungen und schauen uns ganz genau an, welche Schritte alle anfallen, wenn Lieferanten unseren Supplier Code of Conduct nicht akzeptieren möchten“, berichtet Mutke. Mit diesem Verhaltenskodex verpflichtet sich jeder der mehr als 3.000 Lieferanten dazu, alle geltenden Gesetze, Regeln und Vorschriften in den Ländern, in denen er tätig ist, zu beachten. Dazu gehören faire Arbeitsbedingungen ebenso wie der Schutz der Umwelt und die Einhaltung der Menschenrechte. „Für die meisten Lieferanten, vor allem hier aus der Region, ist das ohnehin selbstverständlich. Andere müssen wir dagegen erst sensibilisieren, und das gelingt am besten im persönlichen Kontakt, zum Beispiel durch unsere Einkaufsabteilung“, fügt Keller hinzu. „Je persönlicher der Kontakt, desto positiver ist die Resonanz. Und ganz wichtig: Wir legen großen Wert auf das Miteinander.“
“Ich arbeite nur mit namhaften Produktionsstätten zusammen und checke jeden neuen Lieferanten komplett vorher durch.”
- Stefan Schädler
Mittelständler machen sich Sorgen
Genau dieses Miteinander vermisst Markus Seifert bei der Umsetzung des Lieferkettengesetzes. Er ist Geschäftsführer der Spohn + Burkhardt GmbH & Co. KG in Blaubeuren, die Joysticks, Steuerstände und Widerstände für alle Branchen fertigt. Der schwäbische Mittelständler beschäftigt rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, muss das Lieferkettengesetz also selbst gar nicht umsetzen. „Mittelbar sind wir aber natürlich davon betroffen“, sagt Seifert. „Wir liefern unsere Produkte an große Unternehmen, die alle das Gesetz umsetzen müssen. Die stehen dann bei uns auf der Matte und wollen meine Unterschrift, dass in unserer gesamten Lieferkette alles korrekt zugeht.“ Das könne und wolle er als Mittelständler aber nicht leisten. „Mein Problem ist, dass ich mit meinem Kopf dafür hafte, wenn einer meiner Zulieferer aus Indien die Vorgaben nicht erfüllt“, so Seifert. „Natürlich bin ich gegen Kinderarbeit und lege als ehrbarer Kaufmann Wert darauf, dass auch meine Zulieferer keine Kinder beschäftigen. Ich kenne jeden meiner Lieferanten in China und Indien persönlich und bin oft vor Ort. Aber was dort wirklich läuft, wenn ich wieder draußen bin, das weiß ich nicht.“ Seine Kritik am LkSG bezieht sich also nicht auf den Inhalt des Gesetzes, sondern auf die konkrete Umsetzung in kleinen und mittelständischen Betrieben, die als Zulieferer von größeren Unternehmen ebenfalls Teil der globalen Lieferketten sind. „Wie bekommen wir das vernünftig und mit möglichst wenig Bürokratie umgesetzt?“, fragt er und erzählt, dass das Thema auch bei seinen indischen Geschäftspartnern nicht gut ankomme: „Die empfinden das als neue Form des Kolonialismus, weil wir in Deutschland viel über sie reden, aber kaum mit ihnen.“ Alles in allem bleibt er deshalb skeptisch und hat bisher noch kein einziges Mal seine Unterschrift unter ein Dokument gesetzt, zu dem er nicht stehen kann. „Wir haben allerdings den großen Vorteil, dass wir Weltmarktführer in einem absoluten Nischenmarkt sind“, so Seifert.
Textilunternehmen stehen besonders im Fokus
Ganz anders sieht das bei Stefan Schädler aus. Er ist Inhaber und Geschäftsführer der Albert Textil GmbH in Bad Wurzach und bietet in seinem Online-Shop mehr als 8.000 Artikel an, vom einfachen T-Shirt über den trendigen Rucksack bis zur sicheren Arbeitskleidung. Darüber hinaus lässt er auch Textilien für bekannte Modemarken produzieren und arbeitet mit Unternehmen in Spanien, Portugal und China zusammen. „Meine Branche wird seit vielen Jahren ganz genau beobachtet“, sagt Schädler und spricht gleich selbst den Auslöser dafür an: den Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch am 24. April 2013. Bei diesem bisher größten Unfall in der internationalen Textilindustrie starben mehr als tausend Menschen – und das Ausmaß des Unglücks löste eine Debatte über die Missstände in der globalen Textilindustrie aus. Über unterdurchschnittliche Löhne, zu lange Arbeitstage, den ungeschützten Umgang mit Chemikalien und fehlende Brandschutzbestimmungen. „Das darf keinesfalls noch einmal passieren. Deshalb arbeite ich in meiner Firma nur mit namhaften Produktionsstätten zusammen und checke jeden neuen Lieferanten komplett vorher durch.“ Er investiert also viel Zeit und Engagement in das Thema, weil er es selbst für wichtig hält – und weil er immer wieder mal als Erster coole Ideen in seiner Branche umsetzt. „Für einen großen Kunden in Australien produzieren wir Badehosen aus recyceltem Plastikmüll aus dem Meer“, berichtet Schädler. „Das ist praktizierter Umweltschutz, die Arbeitsbedingungen bei der Produktion stimmen – und die Menschenrechte halten wir auch ein.“
Elke Zapf lebt und arbeitet als freie Journalistin in Ravensburg