Junge Einzelhändler

Erfolgsfaktor Kauferlebnis

Um Kunden zu binden, setzen Junge Einzelhändler verstärkt auf ein neues Kauferlebnis. Emotionen, ausgeprägter Service und Know-how rund um das Produkt bieten einen Mehrwert, der in Ladengeschäften ankommt. Zwei Einzelhändler berichten von ihren Erfolgsstrategien.
Die Cycle Roasters GmbH betreibt neben dem Ladengeschäft eine Kaffeerösterei mit Kaffeeschule. Die Kaffeesorten aus mehr als zehn Ursprungsländern basieren auf den natürlichen Erntezyklen der Kaffees. © FOTOAGENTUR 54°/FELIX KÖNIG
Erst Kaffee kaufen, dann Know-how zur Zubereitung bekommen: Mit ihrer Kaffeeschule haben die zwei Inhaber der Cycle Roasters GmbH in Lübeck und Umgebung einen Nerv getroffen. Denn gut informierte und wertgeschätzte Kunden kommen wieder, wissen Philip Turpin und Sergey Sukhachev. 2021 haben die jungen Gründer in der Hansestadt eine Kaffeerösterei mit Ladengeschäft eröffnet. „Wenn jemand bei uns einen Kaffee kauft, geben wir ihm Tipps und Hintergrundwissen zum Produkt mit. Wer mehr erfahren möchte, bucht einen Kurs“, sagt Turpin. Die Kaffeekurse vermitteln Informationen zum Umgang mit Specialty Coffee sowie mit Siebträgermaschinen und Handfiltern. „Bis zu 40 Schulungen bieten wir im Jahr an, die meisten sind schnell ausverkauft“, ergänzt Sukhachev.
Das Geschäftsmodell des Gründerduos geht auf: In den vergangenen zwei Jahren steigerte es die Produktion von 13 auf 35 Tonnen geröstete Bohnen. Drei Kaffeesorten sind mittlerweile auch im Onlineshop von Tchibo gelistet. Wichtig sei, sich als Dienstleister zu verstehen, für die Konsumenten zugänglich zu sein und außer dem Produkt auch Lifestyle und Service zu verkaufen, sagen sie. „Kunden können bei uns zum Beispiel auch gefiltertes Wasser kostenlos mitnehmen. Denn mit Wasser, das mit einer Osmoseanlage aufbereitet wurde, schmeckt der Kaffee eindeutig besser“, so Sukhachev.
Neben dem Einzelhandel setzt Cycle Roasters auch verstärkt auf den Online- und Großhandel. Rund um Lübeck beliefern Turpin und Sukhachev beispielsweise Modegeschäfte und Restaurants mit ihrem Kaffee. Häufig bieten sie dazu auch gleich die passenden Siebträgermaschinen an – auch als Leasingmodell oder zum Mietkauf. Zum Service gehöre auch, das Personal im Umgang mit den Maschinen zu schulen. Auch das komme gut an und stärke den Zusammenhalt unter den Händlern.
Häufig gehen die beiden Lübecker mit den Unternehmen dann Kooperationen ein, wobei beide Seiten sich gegenseitig auf Instagram weiterempfehlen. Instagram ist ein wichtiger Vertriebskanal für die beiden Inhaber. In kurzen Videos geben sie Tipps zum Aufbrühen, vor allem für die Kunden des Onlineshops, die keine Beratung vor Ort erhalten können. Auch wenn Turpin zu Kaffeebauern in Südamerika und Afrika reist, zeigt er in Instagram-Videos Eindrücke aus den Ursprungsländern des Kaffees. „Wir haben schnell gemerkt, dass wir mit den Videos Transparenz aufbauen und eine emotionale Bindung zwischen unseren Kunden und dem Produkt Kaffee schaffen können“, so Turpin.
Wie wichtig Weiterempfehlungskultur und „Instagrammability“ gerade im stationären Einzelhandel sind, weiß auch Dr. Ulrike Regele, Referatsleiterin Handel bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer: „Empfehlungen sind ein wichtiges Tor für Entscheidungen. Städte und ihre Wirtschaftsakteure sollten sich daher intensiv damit beschäftigen“, erklärt sie. Dieses Mindset bringe nicht nur mehr Besucher, sondern auch Impulse für mehr Miteinander und Identifikation mit der eigenen Stadt. Ebenso spielen für Konsumenten neben dem Einzelhandelsangebot auch Faktoren wie Erlebniswert, Flair und Aufenthaltsqualität eine entscheidende Rolle bei der Shoppingtour durch die Innenstädte, wie eine aktuelle Studie des Instituts für Handelsforschung (IFH Köln) belegt.
Viele Kunden wünschen sich einen Mehrwert rund um das eigentliche Produkt.
Hennig Laue
Das bestätigt auch Henning Laue, Geschäftsführer von Laue Festmoden in Tellingstedt im Kreis Dithmarschen: „Die Kaufentscheidung hängt heute mehr denn je von individuellem Service und persönlicher Beratung ab. Wir wollen unseren Kunden eine gute Zeit beim Shoppen verschaffen. Wenn sie sich wohlfühlen und gut beraten wissen, dann kommen sie auch wieder“, so der Firmenchef in dritter Generation. Laue verkauft auf rund 4.000 Quadratmeter Ladenfläche Braut-, Abend und Herrenmode für festliche Anlässe aller Art. Das Thema Emotionen sei ein wichtiger Verkaufsfaktor geworden. So bietet das Fachgeschäft vermehrt Beratungstermine in gemütlich eingerichteten Räumen mit Wohnzimmeratmosphäre an. Umsatz und Abschlussquote seien dort höher als in den herkömmlichen Verkaufsräumen, berichtet Laue.
Gute Erfahrungen habe das Familienunternehmen außerdem mit der Inhouse-Messe „Laueland“ gemacht, bei der neben Modeschauen zum Beispiel auch Tanzkurse, Kutschfahrten und Verlosungen im Vordergrund stehen – für Henning Laue ein wirkungsvolles Instrument, um Bindung und Emotionen auf Kundenseite herzustellen. „Viele Menschen wünschen sich einen Mehrwert rund um das eigentliche Produkt“, ist sich Laue sicher und ergänzt: „Wir wollen als One-Stop-Destination zum Thema Hochzeit wahrgenommen werden. Unsere Kunden können dazu alles bei uns finden, auch Trauringe oder eine Schneiderei.“ Seit drei Jahren können Kunden sogar im hauseigenen Café heiraten, in den vergangenen zwei Jahren gab es dort in Zusammenarbeit mit dem Amt Eider etwa 20 Eheschließungen.
Auch bei der Omnichannel-Strategie des Hauses gehe es um Inspiration und Emotionen. „Es gibt Kunden, die kommen mit einem ausgedruckten Homepage-Screenshot zu uns und möchten dann genau dieses Kleid haben. Häufig profitieren wir von der Onlinefleißarbeit vor allem offline im Ladengeschäft“, sagt Laue.
Benjamin Tietjen
Oktober 2023