Das Land der 1.000 Netzwerke
Rheinhessen ist das Land der 1.000 Hügel. Und der unzähligen Netzwerke. Kurze Wege, eine rege Gesprächskultur, Menschen, die offen aufeinander zugehen, so umschreiben die Akteure in der ansässigen Wirtschaft die Netzwerkregion Rheinhessen.
Rheinhessen ist nicht Berlin. „Hier bei uns sind Netzwerke viel stärker und verbindlicher“, sagt Lisa Haus, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der IHK für Rheinhessen. Das sei gerade auch in der Anfangsphase für Unternehmen wertvoll. „In Berlin ist man ein Startup unter vielen – hier findet man immer schnell die richtigen Kontakte. Und: Wir haben in der Region eine offene, empathische Mentalität.“ In einer sich wandelnden Arbeitswelt mit Digitalisierung und KI seien persönliche, belastbare, transparente Netzwerke von besonderer Bedeutung. „Die IHK hat dabei eine Schlüsselund Multiplikatorenfunktion.“ Ob in der IHK-Vollversammlung, in den Ausschüssen und Arbeitskreisen der Kammern, in Orten wie den Digital Hubs, bei Veranstaltungsformaten wie der Netzwerkmesse Konekt, bei Zusammenschlüssen wie den Wirtschaftsjunioren, Bildungsprojekten wie Hoganext oder Vereinen wie dem IT Klub – immer mehr Netzwerke werden ge- und verknüpft. Und verfestigen und erneuern sich stetig, denn anders hat kein Netzwerk Bestand.
Das ist für Karina Szwede, Hauptgeschäftsführerin der IHK für Rheinhessen, einer der Schlüssel für ihre Tätigkeit: „IHK-Arbeit ist auch sehr viel Netzwerkarbeit, weil wir Menschen zusammenbringen – in der Wirtschaft für die Wirtschaft.“ Denn: „Netzwerke schaden vor allem denjenigen, die sie nicht haben.“ Die gebürtige Pfälzerin, die im Sommer aus der IHK Koblenz nach Rheinhessen gekommen ist, ist in der IHK-Organisation auf Landes- und Bundesebene sowie über ihre Kontakte in die Auslandshandelskammern bestens vernetzt. Rheinhessen habe sie als sehr zugewandte, zukunftsgerichtete Region kennen und schätzen gelernt: „Hier ist die Mentalität so offen, dass Zusammenkünfte schon fast intuitiv einen Netzwerk-Charakter bekommen.“ So bilden die IHK-Gremien stabile Netzwerke, aus denen wiederum weitere Verzweigungen entstehen.
Hinzu kommen konkrete Projekte und Einrichtungen wie die Gründungswoche, die Starterzentren oder die Digital Hubs oder auch Zusammenschlüsse zu Schwerpunktthemen wie das Netzwerk Personal mit IHK, Handwerkskammer, Volkshochschule und der Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie VWA. Die IHK für Rheinhessen selbst ist als eine von vier IHKs in Rheinland-Pfalz und eine von 79 IHKs in Deutschland ebenfalls in eine Netzwerkstruktur eingebettet, erst recht mit Blick auf die Auslandshandelskammern in 93 Ländern. „Eine Struktur, die für unsere exportorientierte Wirtschaft besonders wichtig ist“, betont Szwede. Regional arbeite man auch innerhalb der Metropolregionen immer enger zusammen.
KI- und Cloud-Themen im IT Klub
Ein Beispiel für organisiertes Branchen-Netzwerken ist der IT Klub Mainz & Rheinhessen. Der Verein möchte, wie der Vorsitzende Matthias Memmesheimer sagt, ein regionales Branchennetzwerk der IT- und Medienbranche sein. Unternehmen und relevante Akteure sollen zusammengebracht, drängende Themen besprochen werden. Monatlich finden Mitglieder-Veranstaltungen mit inhaltlichem Thema statt. „Momentan geht es viel um KI, Cloud, No- und Low-Code-Plattformen“, sagt Memmesheimer. Expertise und Erfahrungen werden geteilt, mitunter Arbeitskreise gebildet. Und, was nicht weniger wichtig ist, auch wenn es banal klingen mag: „Wir wollen Menschen zusammenbringen für einen lockeren Austausch.“
Mehr als 70 aktive Mitglieder, Unternehmen wie Institutionen, sind im IT Klub versammelt. Die Stadt Mainz stellt im Amt für Wirtschaft und Liegenschaften eine Geschäftsstelle zur Verfügung, Abhängigkeiten bestünden, so Memmesheimer, aber nicht. „Vernetzung ist sehr wichtig“, findet der Vorsitzende, „wir haben hier einen starken Mittelstand, aber auch viele Unternehmen, denen manchmal das Sprachrohr fehlt.“ Neben Sichtbarkeit und Artikulation gehe es auch um punktuelle Vernetzung für konkrete Projekte. Beim Thema Nachwuchsförderung soll die gemeinsame Vermarktung als Digitalregion helfen. Auch gemeinsame Förderanträge sind ein Beispiel.
Eingegliedert ist der IT Klub in eine umfangreiche regionale Netzwerkstruktur. Man besucht sich gegenseitig auf Veranstaltungen, hält Kontakt, auch über die Grenzen Rheinhessens hinaus. „In Mainz bringt sich der IT Klub unter anderem im Gutenberg Digital Hub und im städtischen Digitalbeirat ein. Von großer Bedeutung seien die Startup-Treffen.
E.U.L.E. holt alle Akteure ins Boot
Diese Strukturen gab es nicht immer, sie sind in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen. Elisabeth Kolz erinnert sich an die späten 1990er Jahre. Gemeinsam mit Markus Biagioni, damals für die städtische Arbeitsmarktpolitik zuständig, entstand das Konzept des Vereins E.U.L.E. „Von Beginn an waren alle wirtschaftspolitisch und gesellschaftlich relevanten Akteure dabei“, sagt die Geschäftsführerin und Vorsitzende. Das Kürzel des 1998 gegründeten Vereins steht für „Erfahrung unterstützt lebendige Existenzgründung“. Das erste Vorstands-Duo, Oberbürgermeister Jens Beutel und Landrat Claus Schick, zeigt die kommunalpolitische Verankerung. Anschubfinanzierungen kamen von Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken. Doch schon bald wollte der Verein sich selbst tragen.
„Wir waren breit vernetzt und aufgestellt“, erinnert sich Kolz. „Es ging von Anfang an darum, alle Akteure mit ins Boot zu holen, um den Unternehmen ein möglichst breites Angebot zu unterbreiten.“ Die Veranstaltungsformate für Jungunternehmer, allen voran das E.U.L.E.-Businesstreff, waren eine Besonderheit in der Region. Die Wirtschaftskammern unterstützten den Ansatz von Beginn an. „Die Banken und Institutionen hatten Interesse an gut beratenen Gründern“, sagt Kolz. Das Internet spielte damals noch keine Rolle, Netzwerken fand analog statt. Kolz bot Sprechstunden an, auch im Kreis, und der Verein leitete mit sachkundiger Unterstützung Themenreihen zu allem, was für Gründerinnen und Gründer relevant ist.
Schon 1999 gab es im Frankfurter Hof den ersten Gründertag, im Folgejahr zog das Format ins Schloss um. „Dann kamen die großen Messen. Es gab diese Formate damals nicht“, sagt Kolz. „Wir mussten erst einmal bekannt werden, das war eine ziemliche Kärrnerarbeit.“ Doch das Credo, dass die Szene sich vernetzen und die für sie wichtigen Entscheider kennen lernen muss, trägt bis heute.
Die finanzielle und politische Unabhängigkeit sei ebenfalls ein Alleinstellungsmerkmal. Kolbs Zwischenfazit nach 26 Jahren: „Wir haben einen wesentlichen Beitrag zur Vernetzung geleistet.“ In den Landkreisen sieht sie noch Potenzial, die Strukturen zu etablieren, die in Mainz bereits greifen: „Das große Zusammenwachsen, was das Gründungsgeschehen angeht, sehe ich da noch nicht. Das muss aktiv gelebt werden, aber dafür braucht man Leute.“
Aus After-Work-Party-Idee wird Netzwerkmesse Konekt
Ein Positiv-Beispiel ist in Kolz‘ Augen die Unternehmer-Netzwerkmesse Konekt, die Dr. Hanns-Christian von Stockhausen in Mainz ins Leben gerufen hatte. Der Mainzer Gründer-Profi erinnert sich: „Der ursprüngliche Impuls war eine After-Work-Party als Business-Veranstaltung in entspannter Atmosphäre. Da ist vieles aufgepoppt und wieder eingeschlafen. Eigentlich haben die Leute einen Drang zu netzwerken, aber es ist nicht nachhaltig – außer in festen Strukturen.“ Zudem würden offene Netzwerktreffen immer wieder darunter leiden, dass sie ineffektiv sind: „Ich komme in einen Raum, weiß nicht, was die Leute machen, rede mit irgendjemanden. Man müsste vorher erkennen, was diese Person macht.“
So reifte der Gedanke einer Messe, in der sich Unternehmen präsentieren, auf Augenhöhe, mit einem „Suche-Biete-Konzept“. Das Konzept erwies sich als enorm zugkräftig, überstand die Pandemie, wurde zum Franchise-System mit mittlerweile über einem Dutzend Standorten. „Netzwerke sind absolut essenziell“, weiß Stockhausen, „sie dienen nicht dazu, etwas billiger oder schneller zu bekommen. Sondern zu einer ehrlichen, klaren Einschätzung in Bereichen, in denen ich mich selbst nicht auskenne.“
Und Netzwerke sind im Unternehmer-Alltag Gold wert: „Gerade bei uns in der Veranstaltungsbranche ist ein möglichst dickes Telefonbuch wichtig, denn auf keiner Veranstaltung läuft alles wie geplant. Ein Netzwerk ist immer auch Geben und Nehmen.“ Netzwerke, betont Stockhausen, müssen analog stattfinden: „Die reine Kontaktanzahl auf LinkedIn ist ein Pseudo-Netzwerk. Ein echtes Netzwerk besteht durch eine gewisse persönliche Bekanntschaft. Durch Pflege und regelmäßigen Austausch werden die Verbindungen erst stabil.“
„Weg vom Klein-Klein-Marketing im Tourismus“
Dafür gibt es inzwischen die verschiedensten institutionellen Ebenen – durch Vereine, Verbände und Institutionen, auf politischer und wirtschaftlicher Ebene. Das Jubiläumsjahr von Rheinhessen 2016 gab auf regionaler Ebene einen Schub hin zu mehr Vernetzung, sagt Christian Halbig, Geschäftsführer der Rheinhessen-Touristik GmbH – einem der drei Player, neben der Gebietsweinwerbung Rheinhessenwein und dem ehrenamtlich getragenen Verein Rheinhessen Marketing, die gemeinsam den auch optisch einheitlichen Markenauftritt Rheinhessen.de betreiben.
Innerhalb des Tourismus ist die GmbH Dachorganisation für die Region, mit kommunalen Partnern, und selbst als Gesellschafter auf der nächsthöheren Landesebene. „Das Idealbild von Rheinhessen ist, dass es keine doppelte Arbeit gibt“, sagt Halbig. Auf oberer Ebene das Strategische, darunter, wo die Strukturen kleinteilig werden, das Konkrete – und das alles stets im engen Austausch. Zahlreiche Formate, in denen die Akteure der unterschiedlichen Ebenen zusammenwirken, haben sich etabliert. Zweimal im Jahr tagt branchenintern das „Tourismus-Netzwerk“, hinzu kommen thematische Arbeitskreise.
Und doch ist noch viel zu tun. „Es hapert an den Strukturen, da ist Luft nach oben“, betont Halbig. Der gemeinschaftliche Online-Auftritt ist seit bereits zehn Jahren eine Erfolgsgeschichte, auch weil immer mehr kommunale Partner mitmachen, etwa in Ingelheim und einer Reihe Verbandsgemeinden. „Wir denken das gerade größer, wollen noch mehr Partner finden“, sagt Halbig, „weg vom Klein-Klein-Marketing, hin zu großen, crossmedialen Kampagnen. Da habe ich rein für den Tourismus ein gutes Gefühl.“ Neben Rheinhessenwein ist inzwischen auch Rheinhessen-Touristik im „Haus der Landwirtschaft“ in Alzey angesiedelt – auf dem Land, unter einem Dach, was doppelte Symbolkraft hat. „Das Jubiläum 2016 war für die Identitätsbildung Gold wert. Aber wenn wir ehrlich sind, sind wir danach in ein Loch gefallen“, sagt Halbig. Im Tourismus werden schon viel länger gesamtregional gedacht. Der Ansatz: „Wir wollen wegkommen von einer rein weintouristischen Orientierung hin zu einer Standortmarke.“
Es soll über nachhaltige Strukturen im Rheinhessen-Trio gesprochen werden. Eine Vollzeitstelle für Regionalmanagement wird geschaffen. Die Region verbessert gemeinsam ihre Infrastruktur, wie man beispielsweise an den Wander- und Radrundwegen sieht. Reichweite und Wahrnehmung steigen. Welche Zielgruppen auf welche Weise angesprochen werden sollen, ist genauestens definiert. Eine Hotelbedarfsanalyse ist in Vorbereitung. „Die Region profitiert von der Vernetzung“, ist sich Halbig sicher, „aber man kann sich auch zu Tode netzwerken.“ Gemeinsam mit RheinhessenweinGeschäftsführer Bernd Kern sitze er in diversen Gremien, oft mit denselben Akteuren. „Das geht auch schlanker. Die Reise muss schon dahin gehen, dass man Dinge strukturell bündelt.“
Der Trend zu immer mehr immer aktiver gelebten Netzwerken ist kein Selbstläufer. „Menschen und Unternehmen sind immer weniger in der Lage, sich zu starken Netzwerken zu committen, sicher auch bedingt durch den Generationswandel, die steigende Unverbindlichkeit und die digitalen Möglichkeiten“, macht Lisa Haus deutlich. Auch die wirtschaftlich herausfordernden Zeiten führen dazu, dass viele Unternehmensverantwortliche be- und überlastet sind, stellt Karina Szwede fest. Beiden ist es wichtig, dem entgegenzuwirken, für Verbindlichkeit und Vertrauen zu sorgen. Denn, so die IHKHauptgeschäftsführerin: „Belastbare Netzwerke sind schließlich gerade in Krisenzeiten besonders wertvoll.“ Doch automatisch entstehen und bestehen sie nicht.
VERNETZTES IHK-EHRENAMT
Neben der gewählten IHK-Vollversammlung, dem Parlament der Wirtschaft, engagieren und vernetzen sich zahlreiche Unternehmerinnen und Unternehmer mit politisch Verantwortlichen und Fachleuten aus unterschiedlichen Institutionen in den Ausschüssen der IHK: dem Ausschuss für Digitalisierung, Medien und KI, dem Ausschuss für Handel, Stadt- und Regionalentwicklung, dem Ausschuss für Industrie und Biotechnologie, dem Ausschuss für Steuern und Öffentliche Finanzen, dem Ausschuss für Versicherungswirtschaft und Finanzdienstleistungen, dem Ausschuss International, dem Rheinhessenausschuss (Tourismus, HOGA, Weinwirtschaft) und dem Sachverständigenausschuss. In den IHK-Prüfungsausschüssen kommen Vertreterinnen und Vertreter aus Unternehmen und Schulen zusammen mit Entsandten der Gewerkschaften.
ihk.de/rheinhessen/ihk-ehrenamt
Neben der gewählten IHK-Vollversammlung, dem Parlament der Wirtschaft, engagieren und vernetzen sich zahlreiche Unternehmerinnen und Unternehmer mit politisch Verantwortlichen und Fachleuten aus unterschiedlichen Institutionen in den Ausschüssen der IHK: dem Ausschuss für Digitalisierung, Medien und KI, dem Ausschuss für Handel, Stadt- und Regionalentwicklung, dem Ausschuss für Industrie und Biotechnologie, dem Ausschuss für Steuern und Öffentliche Finanzen, dem Ausschuss für Versicherungswirtschaft und Finanzdienstleistungen, dem Ausschuss International, dem Rheinhessenausschuss (Tourismus, HOGA, Weinwirtschaft) und dem Sachverständigenausschuss. In den IHK-Prüfungsausschüssen kommen Vertreterinnen und Vertreter aus Unternehmen und Schulen zusammen mit Entsandten der Gewerkschaften.
ihk.de/rheinhessen/ihk-ehrenamt
TORBEN SCHRÖDER, FREIER JOURNALIST
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