„Wir sind weiblicher und jünger geworden“

Knapp 20 Jahre hat Günter Jertz in der Geschäftsführung der Industrie- und Handelskammer die Wirtschaftsregion vorangebracht. Ende Juni legt der 63-Jährige sein Amt als Hauptgeschäftsführer nieder. Ein Rück- und Ausblick, wie immer auf den Punkt. 
Im Sommer verabschieden Sie sich als Hauptgeschäftsführer aus der IHK – was haben Sie danach vor?
Jede Menge. Ich möchte mithelfen, das Mainzer Urthema Gutenberg und das neue Museum zu forcieren. Und mit Blick auf die Ukraine hoffe ich auf ein Kriegsende, um dann den Wiederaufbau mit Hilfe unserer Unternehmen zu koordinieren. Nicht zu vergessen das Radfahren und die Gitarrenstunden, die ich zur Auffrischung wieder nehmen muss.
Was wird Ihnen besonders in Erinnerung bleiben?
Dass die rheinhessischen Unternehmen gespürt haben, wie ernst wir unsere Rolle als Dienstleister der regionalen Wirtschaft nehmen. Das bringt Nähe und Vertrauen.
Die Corona-Pandemie, der Welterfolg von Biontech, der Krieg in der Ukraine, der Hacker-Angriff auf die IHK-Organisation: Sie haben die IHK durch einschneidende Zeiten gesteuert. Was war Ihr Kompass?
Der Fokus auf das, was die Betriebe vor Ort brauchen. Es ist mir wichtig, dass wir das Ohr nah an unseren Unternehmen haben - um gegenüber der Politik deutlich zu machen, wo der Schuh drückt und genau da zu unterstützen. Deshalb haben wir in der Pandemie auch sehr schnell improvisiert und direkt eine Hotline zu Finanzhilfen eingerichtet und Beratungen am Wochenende angeboten. Während des Hacker-Angriffs, als unsere Website und die Mailsysteme lahm lagen, war es entscheidend, die Erreichbarkeit sicherzustellen und kurzfristig wieder auf analoge Services umzustellen, etwa bei den Ursprungszeugnissen, die Unternehmen für den Export ihrer Waren benötigen.
Sie sind damals aus dem Journalismus in die Wirtschaft gewechselt – was haben Sie mitgenommen?
Konzepte, Reden und Meinungen stets auf den Punkt zu bringen. Auch in Interviews oder bei Statements in den sozialen Medien.
Was hat sich seit Ihrem Start in der IHK vor knapp zwei Jahrzehnten am stärksten verändert?
Früher wurde etwa um jeden Ausbildungsplatz bei Firmen geworben, heute wird um jeden Auszubildenden engagiert gekämpft. Ich hoffe, dass ich dazu beitragen konnte, unsere IHK zu einem modernen, kompetenten und kommunikativen Haus zu machen und den Gedanken, wir könnten eine Behörde sein, endgültig in die Mottenkiste verschwinden zu lassen.
Wie hat sich die Wirtschaftsregion gewandelt?
Die Region hat an wichtigen Branchen gewonnen – denken Sie nur an die Gesundheitswirtschaft und aktuell die Biotechnologie. Der Welterfolg von Biontech war ein genialer wissenschaftlicher und unternehmerischer Wurf, den wir für die Region und unser Bundesland nachhalten müssen. Mittlerweile akquirieren viele Unternehmen weltweit Personal, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Dieser Trend wird sich mit Blick auf den demographischen Wandel noch verstärken. Auch deshalb - und mit Blick auf unsere starke Exportregion - sehe ich die aktuellen Abschottungstendenzen mit Sorge. Als IHK sind wir immer wieder neu gefragt, starke Zeichen dagegen zu setzen. Denn nicht verändert haben sich der hohe Exportanteil und die Weltoffenheit in Rheinhessen.
Gibt es etwas, auf das Sie besonders stolz sind?
Auch ohne Quote oder Druck auf allen Ebenen in unserer IHK Kolleginnen gefördert zu haben. Wir sind mit den Jahren immer weiblicher und jünger geworden, was sich auch bei den Unternehmerinnen in unserem Ehrenamt widerspiegelt.
Und etwas, das Sie im Nachhinein anders machen würden?
Vielleicht hätte ich mich mehr in unserer DIHK-Dachorganisation engagieren sollen. Dazu hat wegen vielfältiger Aufgaben der Neuorientierung unserer IHK für Rheinhessen leider die Zeit gefehlt.
Was wünschen Sie Ihren Nachfolgerinnen?
In jedem Fall die fantastische Unterstützung, die ich von den Präsidenten, dem Präsidium und der Vollversammlung hatte. Das Ehrenamt trägt uns und es ist sehr motivierend, wenn unsere Gremien gemeinsam mit dem Hauptamt die Selbstverwaltung der Wirtschaft und unsere Region Rheinhessen gestalten und voranbringen. Ich wünsche meinen Nachfolgerinnen, dass diese vorbildliche Zusammenarbeit so bleibt.
Sie sind bekannt als Musikliebhaber – welchen Songtitel würden Sie zu Ihrem Abschied wählen?
Vielleicht die Fantastischen Vier mit „MfG“. Das ist nämlich der einzige deutschsprachige Titel, in dem IHK vorkommt …
DIE FRAGEN STELLTE MELANIE DIETZ, IHK FÜR RHEINHESSEN
Zur Person
Nach 19 Jahren an der Spitze der Industrie- und Handelskammer für Rheinhessen wird Günter Jertz (63) sein Amt zum 30. Juni 2024 niederlegen. Seit 2014 führt er als Hauptgeschäftsführer die 226 Jahre alte IHK in der Landeshauptstadt Mainz, die für 42.000 Unternehmen in Rheinhessen steht. Er hat sie als Dienstleisterin für die regionale Wirtschaft maßgeblich geprägt und vorangebracht. Zuvor war er in der IHK als Geschäftsführer für die Bereiche International, Start-up-Förderung sowie Innovation verantwortlich. Vor seiner Tätigkeit für die IHK für Rheinhessen war Jertz als ausgebildeter Redakteur Redaktionsleiter der Allgemeinen Zeitung Mainz. Schon hier fokussierte er sich auf die Bedeutung der Wirtschaft mit Blick auf die Prosperität der Region Rheinhessen.
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