Eine Million Gäste, eine Milliarde Umsatz
Der Tourismus in Rheinhessen wächst stärker als in Bund und Land – warum ist das so?
- Der Aufschwung in Zahlen: Die Gäste bleiben immer länger
- Die Plattform des Aufschwungs: der gemeinsame Online-Auftritt
- Die Triebfedern des Aufschwungs: Netzwerk und Infrastruktur
- Was der Aufschwung jetzt braucht: Gastronomie und Leuchttürme
- Die Perspektiven des Aufschwungs: Neue IHK-Studie wird vorgestellt
Glänzend sehen sie aus, die Zahlen in der Tourismusregion Rheinhessen. Schon voriges Jahr war man schneller als alle anderen Regionen in Rheinland-Pfalz aus dem satten Minus während der Pandemie wieder herausgekommen. 2023 wurden die Übernachtungszahlen aus der Vor-Corona-Zeit dann sogar um 8,6 Prozent übertroffen. Zum Vergleich: Im gesamten Bundesland hinkte der Tourismus dem Jahr 2019 noch hinterher. Und in Bund und Land geht es gegenüber 2022 langsamer voran als in Rheinhessen.
Lange Jahre hechelte Rheinhessen den attraktiveren Nachbarregionen hinterher. Noch immer bereisen mehr Gäste Regionen wie Mosel-Saar und Pfalz, deren touristische Infrastruktur weitaus etablierter ist. Doch Rheinhessen holt beständig auf. Ein Motor ist die steigende Zahl der Betten. Doch das Wachstum hat auch inhaltlich Methode. Eine klare Fokussierung auf die Zielgruppen und eine Profilierung auf ein präzise definiertes touristisches Angebot hat sich die Region in den Jahren 2016 bis 2020 erarbeitet. Und ist ziemlich konsequent dabei geblieben.
Die „aktiven Naturgenießer“ und die „Städte-Genießer“ haben die rheinhessischen Touristiker in den Fokus gerückt. Die einen wollen, so die Strategie, „auf abwechslungsreichen Rad- und Wanderwegen attraktive Landschaften, Land und Leute kennen lernen“. Und die anderen „Kultur und Schönheit der Städte sowie moderne Weinkultur und Kulinarik an Originalschauplätzen genießen“. Es gibt also durchaus Schnittmengen, die Anreiz geben, die Region als Ganze zu vermarkten. Und der Rebsaft steht mit im Mittelpunkt.
Der Aufschwung in Zahlen: Die Gäste bleiben immer länger
Mehr als eine Milliarde Euro Umsatz löst der rheinhessische Tourismus nach eigenen Angaben mittlerweile in normalen Jahren aus. 1,9 Millionen Übernachtungen kamen 2023 zusammen, mehr als eine Million Gäste kamen zu Besuch. Wirtschaftlich wichtig: Die Gäste bleiben immer länger, inzwischen 1,9 Tage statt 1,7 wie vor vier Jahren noch.
So sagen es die Zahlen des Statistischen Landesamtes. „Die allgemeinen Trends zum Reisen im eigenen Land sowie die Stadt-Umland-Beziehungen möchten wir weiter nutzen“, sagt Marc André Glöckner, Geschäftsführer der mainzplus Citymarketing GmbH.
Die Rheinhessen-Touristik ist einer der drei Player, die sich gemeinsam für die Vermarktung der Region einsetzen. Zwölf Mitarbeiter, verteilt auf 7,7 rechnerische Stellen, sind für die GmbH tätig. Geschäftsführer Christian Halbig trommelt unermüdlich dafür, der auf Basis aufwendiger Untersuchungen ausgearbeiteten Strategie treu zu bleiben.
Ein enger Zusammenschluss besteht mit dem Verein Rheinhessen Marketing, dessen Wirken untrennbar mit dem Namen Peter Eugen Eckes verbunden ist. Der 2023 verstorbene Zornheimer, der ob seines Einsatzes den inoffiziellen Ehrentitel „Mister Rheinhessen“ trug, war wesentlicher Impulsgeber bei der Identitätsbildung der Region. Einen großen Schub gab das 200-jährige Bestehen Rheinhessens 2016, das mit einer Vielzahl Veranstaltungen gefeiert wurde. Besonders wichtig war Eckes, dass bleibende Strukturen entstehen, die die Region als Ganze nachhaltig nach vorne bringen.
Die Plattform des Aufschwungs: der gemeinsame Online-Auftritt
Und so betreiben Touristik-Gesellschaft und Marketing-Verein nicht durch Zufall weiter- hin einen gemeinsamen Online-Auftritt mit der Gebietsweinwerbung Rheinhessenwein, dem dritten wichtigen Player. „Wir sind die Region, die am engsten kooperiert, und wollen uns noch weiter verzahnen“, kündigt Halbig an. „2016 haben wir gesehen, wie stark man ist, wenn man gemeinsam agiert. Jetzt hoffe ich, dass wir neuen Schwung bekommen. Die Grundfrage ist: Wie schafft es die Region, aus ihrer weintouristischen Marke mehr zu machen?“
Das aktuelle Tourismuskonzept läuft, synchron zur Landes-Strategie, 2025 aus. Eine Neuauflage ist in Vorbereitung. Dabei wird es kaum um eine grundlegend Neuausrichtung gehen, sondern eher um neue Projekte, die anzustoßen sind, sowie ein stärkeres Augenmerk auf die Faktoren Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Rheinhessenwein war beim Tourismuskonzept 2025 für den Part Kulinarik und Gastronomie zuständig, wie Geschäftsführer Bernd Kern berichtet. Außerdem trägt die Gebietsweinwerbung die Federführung bei der Dachmarke Rheinhessen. Deren Mittelpunkt, die Website rheinhessen.de, soll demnächst einen Relaunch erhalten.
Online ist das Nonplusultra in Sachen Vermarktung, das sieht man auch am Werbebudget von Rheinhessenwein. 2,5 Millionen Euro kommen aus staatlicher Absatzförderung, Mitgliedsbeiträgen und eigenen Aktivitäten zusammen. Damit will ein elfköpfiges Team, zur Hälfte in Teilzeit, den hiesigen Wein uns seine Region schmackhaft machen. Von auch bundesweit lancierten Anzeigenkampagnen und Beilagen ist man weitgehend auf Online-Marketing umgeschwenkt, einer Zielgruppenanalyse folgend. „Unser Jahresbudget ist seit langem konstant“, sagt Kern, „wir schauen immer nach Synergien. Da sind wir in der Region schon ganz gut, können aber noch besser werden.“
Die Triebfedern des Aufschwungs: Netzwerk und Infrastruktur
Eine Triebfeder sind die Treffen von Rheinhessen Marketing. Sichtbar tätig ist der Verein beim stets im Sommer ausgerichteten Rheinhessen-Geburtstag, die Akteure zum Netzwerken zusammenkommen – und um den Gedanken einer Region sichtbar zu machen, die an einem Strang zieht. „Der Austausch der Akteure ist ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil des Vereinslebens“, sagt die Vorsitzende Dorothea Schäfer. In der Kreisverwaltung der Mainz-Binger Landrätin ist auch Martina Scheuer ansässig, die als einzige Angestellte die Vereinstätigkeit managt.
Schäfer hebt die Kulturprojekte hervor, um die sich federführend Volker Gallé kümmert. In den Reihen der Kreativen den Grundgedanken der Dachmarke zu verankern, ist nicht die leichteste Aufgabe.
Niemals ruhen, das ist auch Halbigs Mantra. Neben der strategischen Ausrichtung seien es die Investitionen privater Anbieter und der öffentlichen Hand, die zugleich Erfolgsfaktor sind und Wachstumsmotor bleiben sollen. Zertifizierte Rad-Routen und attraktive Wege für Tageswanderungen, mit den „Hiwweltouren“ als Premium-Marke, bringen deutlich mehr Gäste in das rheinhessische Hügelland als noch vor einigen Jahren. Die Netze wachsen stetig, doch vor allem im Radtourismus sieht Halbig erhebliche Lücken. Eine Potenzialanalyse ergab allein hier einen Investitionsbedarf von zehn Millionen Euro. Der Haken: Oft handelt es sich um kommunal getragene Infrastrukturprojekte, die zu den freiwilligen Leistungen zählen. Und da müssen Gemeinden mit Haushalts-Minus zuerst den Rotstift ansetzen.
Diese Sorge hatte die Landeshauptstadt zuletzt nicht. Mit dem Tourismusfonds Mainz verdoppelt die Stadt jeden von der Privatwirtschaft eingesetzten Euro für Marketingmaßnahmen. Mainz ist ein wesentlicher Treiber des Aufschwungs der Region. Allein 1,07 Millionen Übernachtungen und damit mehr als jede zweite Rheinhessens fanden in der Hauptstadt statt. Ein Neun- Prozent-Plus gegenüber 2019. Die Gäste in Mainz bleiben im Schnitt weniger lang als im Umland. Ein wichtiger Treiber ist der Tagungs- und Geschäftstourismus. Hier mehr Verknüpfungen zum Freizeittourismus herzustellen, die Gäste länger in der Region zu halten oder zur Rückkehr zu bewegen, ist ein wichtiges Ziel. Die Akteure haben es sich vorgenommen. So hat beispielsweise das Favorite Parkhotel in Mainz jüngst einen neuen Wellness- und Spa-Bereich eröffnet. Das Ziel, so Geschäftsleiterin Julia Barth: Geschäftsreisen und Tourismus Hand in Hand. Das Hotel reagiere auf einen anhaltenden Trend hin zum Städte- und Wellnessurlaub.
Was der Aufschwung jetzt braucht: Gastronomie und Leuchttürme
Investitionen sind notwendig. „Wir sind von den Übernachtungszahlen der großen Tourismusregionen noch weit entfernt“, betont Halbig. „Wir müssen immer wieder neue Angebote schaffen – und die große Klammer Weinerlebnis konsequent nach vorne stellen.“ Es brauche gerade in der Fläche mehr Reiseanlässe, zugkräftige Veranstaltungen und attraktiv vermarktete historische Stätten zum Beispiel. Zu diesem Zweck laufen vom Land geförderte Potenzialanalysen. Ziel ist die Realisierung von wettbewerbs- fähigen, profilgebenden Reiseanlässen und Leuchtturmprojekten.
Auch das gastronomische Angebot verträgt speziell tagsüber noch Zuwachs. „Da ist, gerade in Kombination mit den Prädikatswanderwegen und Radtouren, sicher noch Platz für Innovationen“, sagt Kern. Halbig sieht angesichts deutlich steigender Nachfrage Nachholbedarf beim Angebot für Camping-Urlauber. Da und dort würden regional- und bauplanerische Hemmnisse geplante Investitionen ausbremsen. Und bei der gemeinsamen Suche nach Investoren sei die Region nicht genug vorangekommen. Denen, die den Tourismus voranbringen wollen, mehr Freiraum zu verschaffen – das machen laut Halbigs Beobachtung andere Regionen deutlich besser.
Die großen Feste und Kulturhighlights ziehen immer mehr Gäste in die Städte und aufs Land. Ein wesentliches Zugpferd für Freizeittourismus ist der Wein, samt all der Veranstaltungen und Gasthäuser. In den letzten zwei Jahrzehnten sammelte der rheinhessische Wein reihenweise Image-Punkte, die Betriebe erneuerten sich, die Qualität steigt Expertenmeinungen zufolge beständig an. Und Rheinhessen ist Wein-Hauptstadt. Das globale „Great Wine Capitals“-Netzwerk lässt nur eine solche „Hauptstadt“ pro Land zu. „Daraus können wir noch mehr machen“, sagt Kern. Teil des Netzwerks zu sein, gebe wichtige Impulse: „Wir sehen Benchmarks, von denen wir lernen können. Der Wettbewerb um die Best-of-Wine-Tourism-Awards zeigt, was die Region zu bieten hat, und spornt an, setzt Kreativität frei.“
Die Perspektiven des Aufschwungs: Neue IHK-Studie wird vorgestellt
Die IHK für Rheinhessen hat gemeinsam mit Rheinhessen-Touristik und mainzplus CITY- MARKETING eine Wertschöpfungsstudie in Auftrag gegeben. Mehr als 14.000 Beschäftigte, die in der Branche ihr Primäreinkommen verdienen, wurden bei der bislang jüngsten Auflage 2014 ermittelt. Das Steueraufkommen lag schon damals bei 88 Millionen Euro – und dürfte deutlich nach oben korrigiert werden, wenn die Ergebnisse am 25. Juni bei der IHK in Mainz vorgestellt werden. Die Studie erfasst auch nach einzelnen Städten aufgeschlüsselt, wie viel Tourismus wirklich vor Ort stattfindet und wer daran wie viel verdient. Nicht zuletzt werden so den Kommunen in der Abwägung von Investitionsentscheidungen Argumente an die Hand gegeben.
Auch von der Gesetzgebung her könnten es die Betriebe einfacher haben. Die Bundesländer regeln das Gaststättenrecht unterschiedlich, insbesondere beim Alkoholausschank. In einigen Ländern, aber noch nicht in Rheinland-Pfalz, wurde die „Erlaubnispflicht“ abgeschafft. Sie bedeutet laut Dr. Florian Steidl, Geschäftsführer im IHK-Dienstleistungszentrum Bingen, eine erhebliche bürokratische Erschwernis. „Eine Novellierung der Gaststättenverordnung in Rheinland-Pfalz muss die Abschaffung der Erlaubnispflicht für den Ausschank von alkoholischen Getränken und die Einführung einer Anzeigepflicht für die gesamte Gastronomie, einschließlich Speisen und Getränken, beinhalten“, hält das Kompetenzteam Tourismus fest. „Die Anpassungen würden den bürokratischen Aufwand und die Kosten für Gaststättenbetreiber reduzieren und vergleichbare Regelungen zu den Nachbarländern Hessen und Saarland schaffen.“
Mit solchen und weiteren touristischen Themen beschäftigt sich der neue Rheinhessenausschuss bei der IHK. Bei der Auftaktsitzung im April mit dem Tourismusausschuss der IHK Koblenz ging es um die Potenziale der Bundesgartenschau 2029 im Oberen Mittelrheintal. Bingen wird eigene BUGA-Flächen haben und das südliche Entrée bilden. Weitere Orte in Rheinhessen, besonders Mainz, werden aufgrund einer guten Anbindung und vieler Bettenkapazitäten von der BUGA profitieren. Noch eine gute Perspektive mehr.
Rheinhessen-Tourismus in Zahlen
Im Jahr 2023 reisten nach Zahlen des Statistischen Landesamtes insgesamt 1.055.599 Gäste nach Rheinhessen. 1.889.926 Übernachtungen kamen zusammen – ein Plus gegenüber dem Vorjahr von 8,4 Prozent. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer stieg gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019 von 1,7 auf 1,9 Tage an.
Die Landeshauptstadt verzeichnete im vergangenen Jahr mit 1,066 Millionen Übernachtungen das bislang erfolgreichste Jahr im Tourismus – ein Plus von 10,5 Prozent gegenüber 2022, von 8,7 Prozent gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019, mehr als 2020 und 2021 zusammengenommen. Rund 680.000 Gäste kamen nach Mainz, ein Plus von 12,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Aufenthaltsdauer stieg auf 1,6 Tage an. Bei den Übernachtungen legte Mainz mehr zu als Bund (8,1 Prozent) und Land (5,7 Prozent). 76,5 Prozent der Gäste kamen aus dem Inland, es folgen als stärkste Herkunftsländer USA, Großbritannien, Schweiz, Niederlande und China.
Im Jahr 2023 reisten nach Zahlen des Statistischen Landesamtes insgesamt 1.055.599 Gäste nach Rheinhessen. 1.889.926 Übernachtungen kamen zusammen – ein Plus gegenüber dem Vorjahr von 8,4 Prozent. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer stieg gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019 von 1,7 auf 1,9 Tage an.
Die Landeshauptstadt verzeichnete im vergangenen Jahr mit 1,066 Millionen Übernachtungen das bislang erfolgreichste Jahr im Tourismus – ein Plus von 10,5 Prozent gegenüber 2022, von 8,7 Prozent gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019, mehr als 2020 und 2021 zusammengenommen. Rund 680.000 Gäste kamen nach Mainz, ein Plus von 12,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Aufenthaltsdauer stieg auf 1,6 Tage an. Bei den Übernachtungen legte Mainz mehr zu als Bund (8,1 Prozent) und Land (5,7 Prozent). 76,5 Prozent der Gäste kamen aus dem Inland, es folgen als stärkste Herkunftsländer USA, Großbritannien, Schweiz, Niederlande und China.
Quelle: Report – Ausgabe April/Mai/Juni 2024
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