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Wie Google für Städtebau
Matthias Zühlke ist Architekt. Mit seinem Sandkastenfreund David Nellessen hat er eine KI entwickelt, die auf Knopfdruck ausgibt, wie viel Entwicklungspotenzial ein Grundstück hat. | Text: Mareike Scharmacher-Wellmann
Matthias Zühlke (l.) und David Nellessen (l.) haben den Deutschen KI-Preis abgeräumt.
© syte
Mehr Abstand und Zeit, sich mit der Lösung des Problems zu beschäftigen, gab ihm zwei Jahre später ein Sabbatjahr in Ecuador. Das Timing passte perfekt: Mathematiker David Nellessen, Zühlkes Freund aus Kindertagen, hatte gerade sein Start-up verkauft und Lust auf ein neues Projekt. Gemeinsam feilten sie weiter an der Idee, Bebauungsunterlagen und –potenziale schnellstmöglich zusammenzufassen. Zurück in Deutschland präsentierten sie die Idee bei MAAS & PARTNER und fanden Unterstützung.
Doch ein erfolgreiches Start-up lässt sich nicht nebenher aufbauen. „Wir haben nach einem halben Jahr schmerzhaft festgestellt, dass wir es entweder sein lassen oder ich operativ nichts Anderes mehr mache“, sagt Zühlke. „Ich habe mich für syte entschieden.“
KI made in Münster
Rückblickend sei das die beste Entscheidung gewesen. Denn die Technik, die hinter der Software von syte steckt, kommt nicht von der Stange – sie ist selbst entwickelt. Zühlke und Nellessen haben ihr beigebracht, wie Städtebau funktioniert, wie man ein Grundstück mit Potenzial erkennt. „Zuerst haben wir sie mit Daten von 10.000.000 Grundstücken gefüttert“, erklärt der Gründer. „Dann haben wir ein Programm geschrieben, das zufällig Grundstücke vorgeschlagen hat. Wir als Team mussten dann über das Potenzial entscheiden. Über 10.000 Mal wurde das durchgespielt.” Ein halbes Jahr hat das Training gedauert, anschließend konnte die KI sehr treffsicher vorhersagen, wieviel Baupotenzial ein Grundstück hat.
Dennoch: Halluziniert hat syte trotzdem mal. „Deswegen haben wir nochmal einen Algorithmus gebaut, der zeigt, warum welches Potenzial für welches Grundstück ausgegeben wird und auf welche Gebäude sich die Software bezieht“, erklärt Zühlke. Ein notwendiger Schritt, um Ergebnisse nachvollziehbar zu machen.
Glossar: Halluzination
Künstliche Intelligenz verwendet große Datensätze, um sich mit Dingen vertraut zu machen. Dabei analysiert sie Muster und Zusammenhänge in den Daten, mit denen sie trainiert wird. Wenn sie dazu aufgefordert wird, etwas Neues zu generieren, geschieht dies dann auf Grundlage des “Erlernten”. Künstliche Intelligenzen können aber auch etwas erschaffen, was plausibel aussieht oder klingt, jedoch nicht den tatsächlichen Fakten entspricht. Das nennt man „Halluzinationen".
Künstliche Intelligenz verwendet große Datensätze, um sich mit Dingen vertraut zu machen. Dabei analysiert sie Muster und Zusammenhänge in den Daten, mit denen sie trainiert wird. Wenn sie dazu aufgefordert wird, etwas Neues zu generieren, geschieht dies dann auf Grundlage des “Erlernten”. Künstliche Intelligenzen können aber auch etwas erschaffen, was plausibel aussieht oder klingt, jedoch nicht den tatsächlichen Fakten entspricht. Das nennt man „Halluzinationen".
Digitaler Zwilling für jedes Gebäude
Die Daten, mit denen syte arbeitet, sind öffentlich: Katasterdaten sind die Basis. Hinzu kommen Angaben zu den Volumina der Gebäude sowie Punktwolken-Scans, also Scans, die von Flugzeugen aus gemacht wurden. „So entsteht schon ein sehr gutes dreidimensionales Bild“, erklärt der Gründer. Das wird dann nochmal kombiniert mit Satellitendaten. Man sieht jeden Baum, kann erkennen, ob das Grundstück abschüssig hinter der Straße liegt oder ob es Freiflächen für Photovoltaik hat.
syte zeigt das Bebauungspotenzial von Grundstücken.
© syte
Zwei Jahre nach der Gründung ist syte preisprämiert: Die beiden Gründer haben den German Prop Tech Award in der Kategorie „Projektentwicklung & Smart City” erhalten, wurden mit dem „OUTOFTHEBOX.NRW”-Award ausgezeichnet. Vor Kurzem kam noch der Deutsche KI-Preis dazu. „Preise sind immer eine tolle Bestätigung und Anerkennung. Sie zeigen, dass wir mit syte auf dem richtigen Weg sind“, freut sich Zühlke. „Aber ich bin nicht naiv. Am Ende zählt das Geschäftsmodell, der Umsatz“, macht er klar.
Ran an die Kommunen
syte soll flexibel bleiben, sich weiterentwickeln, in ganz Europa aktiv werden. „Die nächsten Themen, die wir angehen werden, sind Freiflächen für erneuerbare Energien“, gibt Zühlke an. Darüber hinaus baut das 16-köpfige Team momentan Bebauungspläne ein. Dann wird syte sagen können, was auf einem Grundstück konkret gebaut werden darf und was nicht. „Thematisch sind wir dann beim digitalen Bauantrag“, so Zühlke. Kommunen rücken somit in die Zielgruppe auf. Ein Pilotprojekt gibt es bereits. Und auch die Fernwärmeplanung soll von syte automatisiert werden können. „Wir können bald für jedes Gebäude in Münster direkt sagen, welchen Energieverbrauch es hat, wie wahrscheinlich der Anschluss an Fernwärme ist und wie teuer das Ganze wird“, verrät Zühlke.
Ob es Konkurrenten in Deutschland gibt, die so arbeiten wie syte? „Ja, aber sei es drum“, sagt Zühlke selbstbewusst. Wettbewerb führe dazu, sich weiterzuentwickeln – das ist bei Start-ups nicht anders als bei eingesessenen Unternehmen.
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Redaktion Wirtschaftsspiegel