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„Wenn man die Stärken einer KI richtig einsetzt, ist es eine revolutionäre Technologie“
Bei BASF Coatings hilft generative KI, Finanzberichte zu kommentieren. Das spart dem Spezialisten für Fahrzeug- und Autoreparaturlacke sowie angewandte Oberflächentechnik Zeit – und hat den Anstoß für weitere KI-Projekte gegeben. | Text: Mareike Scharmacher-Wellmann
Controller Tobias Kawohl und Data Scientist Marvin Nicolas Pohl haben im Sprint eine große Leistung abgeliefert: Sie haben für ihren Arbeitgeber BASF Coatings die Nutzung von KI vorangetrieben und in nur vier Monaten eine Lösung erarbeitet, die ChatGPT nutzt, um Geschäftsberichte automatisiert zu kommentieren. Seit April 2023 ist die Lösung im Einsatz – da war ChatGPT ein halbes Jahr auf dem Markt, generative KI für die Meisten ein Fremdwort.
Blaupause für andere Bereiche
Der KI-Anwendungsfall bei BASF Coatings ist nicht allein deshalb wertschöpfend, weil er den Mitarbeitenden im Controlling Zeit spare. „Der vielleicht noch größere Effekt ist: Es ist eine gute Blaupause für andere Use-Cases zum Beispiel im Marketing oder Produktmanagement“, so Kawohl. Intern hat das Projekt dazu geführt, dass viele neue Ideen generiert wurden.
Schon lange vor ChatGPT hatte das Traditionsunternehmen nach einer Lösung gesucht, um die Kommentare automatisch erstellen zu lassen. „Aber: Das war immer entweder sehr aufwendig oder das Ergebnis nicht gut“, erzählt Kawohl. Kawohl leitet das Global Digital Controlling und ist zuständig für digitale Controlling-Lösungen. Als das US-amerikanische Unternehmen OpenAI im November 2022 ChatGPT auf den Markt brachte, war das die Geburtsstunde eines Leuchtturmprojekts: Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) sollte gelingen, was zuvor mit traditionellen Programmen keinen Erfolg gebracht hatte. Die generative KI sollte den Expertinnen und Experten im Controlling assistieren, die Standardarbeit erledigen, das Schreiben der Kommentare übernehmen. „Es war einen Versuch wert“, so Kawohl.
Neue Technologien, um alte Probleme zu lösen
Doch schon bald stieß das Projekt an Grenzen: „Die KI ist stark darin, aus unstrukturiertem Text Bausteine zu generieren. Sie ist aber nicht so stark darin, Zahlenreihen zu beschreiben“, sagt Kawohl. In Marvin Nicolas Pohl, Data Scientist bei BASF Coatings, fand Kawohl einen Mitstreiter. Gemeinsam machten sie sich daran, einen Hybriden zu erschaffen und generative KI mit traditioneller Programmierung zu verbinden, Kawohl konzeptionell, Pohl technisch. Dafür trafen sie sich häufig und diskutierten Ansätze und Ideen. Dann kamen sie auf die Lösung: „Wir haben die KI Modelle von OpenAI über eine Schnittstelle, eine sogenannte API, in einen Prozess eingebunden und so die KI mit einer traditionellen Programmierung verbunden“, erklärt Pohl. Beides allein wäre nicht gut gewesen. „Das ist unser erstes Learning“, sagt Kawohl, „Die KI kann einen riesigen Mehrwert liefern, aber man muss sie pfiffig zusammensetzen.“
Selbstverständlich war die Schnittstelle anfangs noch experimentell, sprich: nicht mit den anderen Computerprogrammen verbunden. Geübt haben die beiden mit randomisierten, also frei verfügbaren, Daten. „Mittlerweile ist alles gesandboxed und datenschutzkonform.“, erklärt Pohl. „Und das ist unser zweites Learning“, springt Kawohl ein: „Am Anfang waren noch viele Datenschutzfragen offen. Wir wollten aber keine Zeit verlieren und haben deshalb das Projekt mit nicht-sensitiven Daten aufgebaut. Als dann alles geklärt war, waren wir auf Knopfdruck fertig, konnten „umstöpseln“ und in der BASF-Cloud loslegen“, erklärt er.
KI anwendbar machen
Das Spezialgebiet von Data Scientist Marvin Nicolas Pohl ist Künstliche Intelligenz.
© Möller/IHK Nord Westfalen
„Beim Thema KI muss ein Gedankenwechsel stattfinden“, gibt Pohl Unternehmen, die sich mit KI beschäftigen, mit auf den Weg. KI sei schlichtweg nicht dafür gemacht, nur Wissen wiederzugeben. Darin unterscheide sie sich von Suchmaschinen wie Google oder Bing. „KI ist dafür gebaut, interaktiv mit Sprache umzugehen“, sagt er. „Wenn man das einmal verstanden hat und die Stärken einer KI richtig einsetzt, ist es eine revolutionäre Technologie“, hebt der Daten-Spezialist überzeugt hervor.
KI-Achterbahnfahrt begleiten
Um das Potenzial von KI voll auszuschöpfen, müssten Unternehmen akzeptieren, dass jeder Veränderungsprozess die sogenannte Dunning-Kurve durchläuft: Die anfängliche Furcht vor der neuen Technologie weicht schnell der Begeisterung, gefolgt von Beklommenheit, wenn mehrere Anwendungsfälle nicht wie erwartet funktionieren. „Diese emotionale Achterbahnfahrt ist bei der KI im Vergleich zu anderen Technologien besonders intensiv", erklärt Kawohl. Auch bei BASF Coatings sei das nicht anders gewesen.
Die Herausforderung bestehe darin, alle Kolleginnen und Kollegen durch diese Kurve zu begleiten, ihre Ängste zu mildern und sicherzustellen, dass sie den Arbeitsmodus erreichen. „Die Kunst besteht darin, sie weder zu „übereuphorisieren“ noch zu stark zu desillusionieren“, erklärt der Controller. Erfolgreich durch diesen Veränderungsprozess zu navigieren, sei ein entscheidender Faktor für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens.
data:unplugged: Inspiration für Betriebe
Im Juni 2023 berichteten Kawohl und Pohl auf der Westphalia Data Night, dem Vorgängerevent von data:unplugged, von ihrem KI-Projekt. „Wir sind da relativ naiv hingegangen und waren überrascht, welche Wellen das geschlagen hat“, so Pohl. Interviews im Handelsblatt und anderen Medien folgten. Und auch bei BASF interessierten sich mit einem Mal sehr viele Kolleginnen und Kollegen für ihr Projekt. Deshalb habe sich das Unternehmen entschieden, ein Sponsoringpaket für das KI-Festival data:unplugged am 7. März 2024 zu schnüren. „Es geht um Austausch und darum, sich für neue Ideen inspirieren zu lassen“, so Kawohl. „Und dafür bietet data:unplugged eine Riesenchance.“
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Redaktion Wirtschaftsspiegel