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„Es geht um das Rennen zu Triple Zero“
Lars Baumgürtel, CEO der Unternehmensgruppe ZINQ, über das zirkuläre Geschäftsmodell seines energieintensiven Unternehmens, Spezialist und europäischer Marktführer für Oberflächenveredelung von Stahl mit Zink. | Interview: Melanie Rübartsch
Sie beschäftigen sich bereits seit mehreren Jahren mit der Frage, wie sich energieintensive Industrien und Unternehmen wie ZINQ zirkulär transformieren lassen. Eine Antwort ist ihr zirkuläres Geschäftsmodell Planet ZINQ. Was genau steckt dahinter?
Baumgürtel: Wir haben 2010 mit der Cradle-to-Cradle Zertifizierung unserer Produkte begonnen. Das war der Anstoß, um das Thema Zirkularität umfassender zu denken. Dazu haben wir verschiedene Handlungsfelder definiert, über die wir Schritt für Schritt Effizienz und Effektivität unserer Prozesse und unserer Produkte verbessert haben und auch weiterhin verbessern wollen. Im Zentrum steht dabei ein effizienter Umgang mit Rohstoffen und Energie sowie das Schließen von Stoffkreisläufen.
Was ist das konkrete Ziel?
Baumgürtel: Triple Zero. Wir wollen im besten Fall Zero Waste, Zero Carbon und Zero Pollution produzieren. Und mehr: Es geht um Produkte, die über Ihren gesamten Lebenszyklus keine negativen Umweltauswirkungen verursachen. Also von der Wiege bis zur Wiege (Cradle to Cradle) Produkte ohne Abfall, ohne Emissionen und ohne Verschmutzung natürlicher Ressourcen wie Wasser oder Böden. Das ist natürlich extrem ambitioniert. Ich kann überhaupt nicht sagen, ob wir das jemals in allen drei Bereichen gleichzeitig erreichen können. Aber es geht um das Rennen dorthin. In der Industrie und im verarbeitenden Gewerbe müssen wir anfangen und überall Produkte und Prozesse so verbessern, dass wir diesem Ziel immer näher kommen.
Dann lassen Sie uns konkreter werden. Welche Meilensteine in Bezug auf ihre Produkte haben Sie unter anderem bereits erreicht?
© Morsey/IHK
Wir haben es geschafft, eine Zinkoberfläche zu entwickeln, die bei einer Lebensdauer von bis zu 100 Jahren bis zu 80 Prozent an Zink einspart. Wir benötigen also deutlich weniger Rohstoff und reduzieren darüber hinaus den CO2 Ausstoß, der überwiegend aus der Lieferkette des Zinks resultiert. Das führt zu einer CO2 Einsparung von knapp 200 Kilogramm pro Tonne feuerverzinktem Stahl über den Lebenszyklus des Produkts hinweg. Ein anderes Beispiel ist ReZINQ. Wir haben ein Verfahren gefunden, mit dem wir Zink chemisch, also ohne Einsatz thermischer Energie, von Altstahl wiedergewinnen können. Eine Art chemische Zinkmine. Auf diese Weise lassen sich beide Rohstoffe am Ende ihres Lebenszyklus sortenrein trennen und vor allem der Stahlanteil ohne Zink einem Recycling in zirkulärer Qualität zuführen. Das zurückgewonnene Zink setzen wir unmittelbar wieder in unserer Produktion ein.
Wie kommen die Bauteile aus Altstahl zu Ihnen?
Baumgürtel: Idealerweise liefern unsere Kunden die Teile bei uns an. Wir sind 2022 eine Selbstverpflichtung zur Rücknahme sämtlichen verzinkten Altstahls eingegangen. Inzwischen haben sich auch Refurbishingmodelle entwickelt. Auf Kundenwunsch tauschen wir dann lediglich die alte gegen eine neue ZINQ Oberfläche, wenn das Stahlteil ansonsten noch in Ordnung ist.
Und die zirkulären Effekte sind dann vermutlich noch einmal größer, wenn die zu recycelten oder aufzubereitenden Oberflächen aus microZINQ bestehen.
Baumgürtel: Genau. Das zeigt, wie wichtig es ist, Effizienz und Effektivität im Umgang mit Energie und Rohstoffen in verschiedenen Handlungsfeldern und in der gesamten Lieferkette umzusetzen. Alles muss ineinandergreifen.
Lässt sich Ihre chemische Zinkmine „ReZINQ“ wirtschaftlich betreiben?
Baumgürtel: Wir skalieren das Geschäftsmodell und müssen noch einige Themen lösen, um den Prozess zu industrialisieren. Wir gehen aber fest davon aus, dass es am Ende ein wirtschaftliches Modell sein wird. Das hängt allerdings auch von der Entwicklung der generellen Preispolitik ab. Wir müssen über Steuerungseffekte dahin kommen, dass Produkte, die durch eine lange Lebensdauer und eine hohe Funktionalität in Gebrauch und bei der Wiederverwertung viel CO2 einsparen, und damit von hoher zirkulärer Qualität sind, auch wirtschaftlich günstiger werden. Eine Idee wären mit CO2-Zertifikaten vergleichbare „zirkuläre Zertifikate“.
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der von der EU geplante digitale Produktpass?
Baumgürtel: Eine sehr große. Über solch einen Pass, der alle relevanten Informationen zu den Inhaltsstoffen und Eigenschaften eines Produkts über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg anzeigt, erhöhen wir einerseits die Effektivität der Recyclingprozesse, können aber auch die Zirkularität eines Produktes transparent und bewertbar machen. Wir haben auf Grundlage von EU-normierten Umweltproduktdeklarationen und der neuen europäischen Ecodesign Richtlinie einen Prototypen für einen allgemein gültigen, digitalen Produktpass entwickelt und auch bereits vorgestellt.
Wie unabhängig sind Sie bei solchen Initiativen?
Baumgürtel: Wir stoßen an und gehen die ersten Schritte. Aber wie überall in der Wirtschaft sind wir darauf angewiesen, dass unsere Partner mitziehen. Der Produktpass zum Beispiel funktioniert nur dann, wenn die gesamte Lieferkette mit an Bord ist. Das gelingt bei den Zinkoberflächen auf Stahl schon sehr gut. In unserem Geschäftsbereich Pulverbeschichten sind wir dagegen noch längst nicht so weit. Das liegt daran, dass es bislang noch kein Beschichtungsmaterial gibt, das Cradle-to-Cradle zertifizierbar wäre. Hier sind wir darauf angewiesen, dass unsere Zulieferer aus der chemischen Industrie nach entsprechenden Lösungen suchen – worauf wir als Abnehmer versuchen, Einfluss zu nehmen.
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Redaktion Wirtschaftsspiegel