Produktsicherheitsrecht

Reform des Produktsicherheitsrechts: Neue Regeln bei Produktkennzeichnungen

Im Dezember 2024 ändern sich die EU-Regeln zur Produktsicherheit in erheblichem Maße. Wir geben einen ersten Überblick über die neuen Regeln, die auf Unternehmen zukommen, die Verbraucherprodukte herstellen, einführen oder mit ihnen handeln.
Am 23. Mai 2023 wurde die Verordnung EU 2023/988 über die allgemeine Produktsicherheit (General Product Safety Regulation = GPSR) im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Sie löst die Produktsicherheitsrichtlinie aus dem Jahr 2001 ab, die in Deutschland im Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) umgesetzt wurde.
Die neue Verordnung gilt in allen EU-Staaten ab dem 13. Dezember 2024 unmittelbar und muss nicht auf nationaler Ebene umgesetzt werden. Ziel ist eine europaweite Vereinheitlichung der bisherigen Vorschriften, die zudem den Anforderungen der Digitalisierung von Produkten und den Herausforderungen neuer Geschäftsmodelle gerecht werden.
Zahlreiche Vorgaben des bisherigen Produktsicherheitsrechts bleiben bestehen. Sie ergeben sich künftig aber nicht mehr aus dem deutsche ProdSG, sondern unmittelbar aus der GPSR.
Am 30. Oktober 2024 ist das neue Produktsicherheitsrecht Thema unserer Webinarreihe „Recht praktisch“. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme.

1. Wer ist betroffen?

Die neuen Regeln zur Produktkennzeichnung betreffen alle Wirtschaftsakteure, die Produkte herstellen oder auf dem Markt bereitstellen: Hersteller, Bevollmächtigte, Einführer in die EU, Händler, Fulfilment-Dienstleister (Art. 13 Nr.13 GPSR). Erstmals werden auch die Anbieter von Online-Marktplätzen besonderen Vorgaben unterworfen (Art.22 GPSR). 

2. Welche Produkte sind betroffen?

Die neuen Regeln erfassen grundsätzlich alle Verbraucherprodukte, soweit es keine spezielleren produktsicherheitsrechtlichen Vorgaben gibt. Letztere sind vorrangig, beispielsweise die Verordnungen bzw. Richtlinien für Produkte mit CE-Kennzeichen. Ausgenommen sind außerdem bestimmte Produktkategorien: 
  • Arzneimittel
  • Lebens- und Futtermittel
  • lebende Pflanzen, Tiere, sowie deren mit der Reproduktion zusammenhängende Erzeugnisse
  • tierische Neben- und Folgeprodukte
  • Pflanzenschutzmittel
  • Antiquitäten

3. Sicherheitsanforderungen

Alle Wirtschaftsakteure dürfen nur sichere Produkte in Verkehr bringen oder auf dem Markt bereitstellen (Allgemeines Sicherheitsgebot, Art. 5 GPSR). Mit „Inverkehrbringen“ ist die erstmalige Bereitstellung eines Produktes auf dem Unionsmarkt gemeint. „Bereitstellen“ bedeutet die entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Produkts zum Vertrieb, Verbrauch oder zur Verwendung im Rahmen der geschäftlichen Tätigkeit.
Was unter „sicher“ zu verstehen ist, regeln verschiedene Kriterien, darunter: Produkteigenschaften, Gestaltung, technische Merkmale, Verpackung, Gebrauchsanleitung, Aufmachung und Erscheinungsbild, Alterskennzeichnung, Warnhinweise, Verbraucherkategorien und Cybersicherheitsmerkmale (vgl. Art.6 GPSR). Grundsätzlich wird vermutet, dass ein Produkt sicher ist, wenn es europäischer Vorgaben entspricht oder nationalen Vorschriften entspricht.  

4. Pflichten der Hersteller

Die Hersteller tragen die Verantwortung dafür, dass die Produkte gemäß den allgemeinen Sicherheitsanforderungen entworfen und hergestellt werden (Art.9 GPSR). Die wichtigsten Vorgaben sind:
  • Vor dem Inverkehrbringen: Interne Risikoanalyse und Erstellung technischer Unterlagen. Diese Unterlagen müssen auf dem neuesten Stand gehalten und für die Marktüberwachungsbehörden zehn Jahre lang aufbewahrt werden.
  • Typen-, Chargen- oder Seriennummer zur Identifizierung auf dem Produkt, ausnahmsweise – wenn aufgrund der Größe oder Art des Produkts nicht möglich- auf der Verpackung oder auf einer beigefügten Unterlage.
  • Name, eingetragener Handelsname/-marke, Postanschrift und E-Mail-Adresse auf dem Produkt. Achtung: Die Angabe der E-Mail-Adresse ist eine neue Vorschrift! 
    Wenn die Angabe auf dem Produkt nicht möglich ist, erfolgt sie auf der Verpackung oder einer beigefügten Unterlage.
  • Gebrauchsanleitung und Sicherheitsinformationen sind in leicht verständlicher Sprache zu verfassen (Vorgabe für den deutschen Markt: in deutscher Sprache). 
    Ausnahme: Das Produkt kann auch ohne diese Informationen bestimmungsgemäß und sicher verwendet werden.
  • Bei gefährlichen Produkten sind Korrekturmaßnahmen (Rücknahme oder Rückruf) und Unterrichtungen (Verbraucher, Marktüberwachungsbehörden) vorzunehmen.
  • Einrichtung eines öffentlich zugänglichen Kommunikationskanals für Verbraucherhinweise und -beschwerden (z.B. Telefonnummer, E-Mail-Adresse, Webseitenrubrik).

5. Pflichten der Einführer (Import in die EU)

Beim Import von Produkten in den Unionsraum werden die Einführer hinsichtlich zahlreicher Pflichten den EU-Herstellern gleichgestellt. Art. 11 GPSR listet die Vorgaben auf:
  • Gewährleistung, dass das Produkt dem allgemeinen Sicherheitsgebot entspricht.
  • Überprüfung folgender Herstellerpflichten: Interne Risikoanalyse und technische Dokumentation, Typ-, Serien oder Chargennummer.
  • Angabe der Kontaktdaten des Einführers auf dem Produkt: Name, eingetragener Handelsname/-marke, postalische und E-Mail-Adresse, alternativ die Kontaktdaten der zentralen Anlaufstelle. Auch hier gilt: Wenn die Angabe auf dem Produkt nicht möglich ist, erfolgt sie auf der Verpackung oder einer beigefügten Unterlage.
  • Klare Anweisungen und Sicherheitsinformationen in leicht verständlicher Sprache (Vorgabe für den deutschen Markt: in deutscher Sprache), s.o. 5.
  • Sichere Lagerungs- oder Transportbedingungen.
  • Aufbewahrung technischer Unterlagen für einen Zeitraum von zehn Jahren (wie Hersteller). 
  • Zusammenarbeit mit dem Marktüberwachungsbehörden und dem Hersteller zur Gewährleistung der Sicherheit der Produkte. Bei Anhaltspunkten für ein gefährliches Produkt treffen den Einführer weitere Pflichten.
  • Überprüfung des Kommunikationskanals des Herstellers und Pflicht zum Beschwerdemanagement.

6. Pflichten der Händler 

„Händler ist jede natürliche oder juristische Person in der Lieferkette, die ein Produkt auf dem Markt bereitstellt, mit Ausnahme des Herstellers und des Einführers“ (Art.3 Nr.11 GPSR). 
Auch für Händlerinnen und Händler gilt zunächst die allgemeine Regel, dass nur sichere Produkte in den Verkehr gebracht werden dürfen. Weitere Pflichten regeln Art. 12 und 14 GPSR. Sie müssen außerdem überprüfen, ob folgende Angaben auf dem Produkt (ausnahmsweise auf der Verpackung oder einer Begleitunterlage) vorhanden sind:
  • Typ-, Chargen oder Seriennummer zur Identifizierung,
  • Hersteller- oder Einführerkennzeichnung / zentrale Anlaufstelle 
(Name, eingetragener Handelsname/-marke, postalische und E-Mail-Adresse).
Die Prüfpflicht bezieht sich auf das „Ob“, also das Vorhandensein der Kennzeichnung. Die Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der Angaben schreibt die GPSR nicht ausdrücklich vor.
Weitere Pflichten sind:
  • Vorhandensein einer klaren Gebrauchsanleitung und gegebenenfalls von Sicherheitsinformationen (s.o. 5.),
  • Sichere Lagerungs- und Transportbedingungen,
  • Einrichtung interner Verfahren zur Produktsicherheit.
Wenn die vorgenannten Anforderungen nicht erfüllt sind oder es sich um ein gefährliches Produkt handelt, besteht ein Verkaufsverbot. Außerdem müssen Händler unverzüglich den Hersteller/Einführer informieren und sicherstellen, dass Korrekturmaßnahmen ergriffen (z.B. Produktrückrufe) und die Marktüberwachungsbehörde informiert werden.
Händler, die ein Produkt unter ihrem Namen oder ihrer Handelsmarke in den Verkehr bringen (sog. „Quasi-Hersteller“) müssen die Herstellerpflichten beachten, Art. 13 GPSR (s.o. 5.). Gleiches gilt bei wesentlichen physischen oder digitalen Veränderungen des Produkts, die sich auf seine Sicherheit auswirken.

7.  Besondere Pflichten im Fernabsatz

Im Fernabsatz, insbesondere im Online-Handel, gelten zusätzliche Informationspflichten (Art. 19 GPSR). Folgende Informationen müssen schon im Angebot zur Verfügung gestellt werden:
  • Name, eingetragener Handelsname/-marke, postalische und E-Mail-Adresse des Herstellers bzw. des Einführers,
  • Informationen zur Identifizierung des Produkts, seines Typs und sonstiger Produktidentifikatoren (z.B. Name, Artikelnummer). Neu und verpflichtend ist auch die Abbildung des Produkts.
  • Etwaige Warn- oder Sicherheitsinformationen.

8. Zusätzliche digitale Bereitstellung von Pflichtinformationen

Die dargestellten Pflichtinformationen können zusätzlich (nicht ersatzweise!) in elektronischer Form bereitgestellt werden, z.B. mit einem QR-Code (Art. 21 GPSR). Die Angabe erfolgt auch hier auf dem Produkt selbst und nur nachrangig auf Verpackung oder in einer Begleitunterlage. Vorgeschrieben ist außerdem die jeweilige Landessprache des Marktes. Die Informationen müssen leicht verständlich und für Menschen mit Behinderung zugänglich sein. 

9.  Neu: Angebote über Online-Marktplätze

In Art.22 GPSR werden erstmals umfassende Pflichten für Online-Marktplätze (z.B. Amazon-Marketplace, Ebay, Etsy, Temu) geregelt. Für Händlerinnen und Händler sind folgende Regelungen von Bedeutung:
  • Die Online-Schnittstelle muss so gestaltet und strukturiert sein, dass Unternehmen die Pflichtinformationen bereitstellen können und die Anzeige in der Produktliste sichtbar oder auf andere Weise leicht zugänglich ist.
  • Unternehmen, deren Produkte häufig gegen die GPSR verstoßen, müssen nach vorheriger Warnung für einen angemessenen Zeitraum auf der Plattform gesperrt werden.
  • Wenn Online-Marktplätze unsichere oder gefährliche Produkte entdecken, müssen sie mit den Marktüberwachungsbehörden zusammenarbeiten. Dazu gehört auch das Entfernen bzw. Sperren von Produkten auf Anordnung der Behörde.

10. Rückrufe, Sicherheitswarnungen und Abhilfemaßnahmen

Rückrufe gefährlicher Produkte, Sicherheitswarnungen und Abhilfemaßnahmen betreffen primär die Hersteller, die Regelungen der GPSR gelten aber auch für Händler, Online-Marktplätze und alle anderen Wirtschaftsakteure (Art. 35 bis 37 GPSR). 
Sie alle müssen sicherstellen, dass Sicherheitswarnungen (Produktrückruf, Hinweise zum sicheren Produktgebrauch) Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Kundschaft erreichen.
Kundinnen und Kunden müssen direkt und unverzüglich unterrichtet werden. Dafür dürfen bereits erhobene personenbezogene Daten der Kundschaft genutzt werden. 
Ist eine individuelle Information nicht möglich, werden Rückrufe und Sicherheitswarnungen über die Webseite des Unternehmens, Social-Media-Kanäle, Newsletter, Aushänge in Geschäften und gegebenenfalls über Massenmedien verbreitet. Die formalen Anforderungen an eine Rückrufanzeige sind in Art. 36 Absatz 2 GPSR geregelt.
Der für den Produktrückruf Verantwortliche muss den betroffenen Verbrauchern eine wirksame, kostenfreie und zeitnahe Abhilfe anbieten (Art. 37 GPSR). Dafür sind mindestens zwei der folgenden Maßnahmen zur Auswahl anzubieten:
  • Reparatur,
  • Ersatz durch ein sicheres Produkt desselben Typs mit mindestens demselben Wert und derselben Qualität oder
  • Werterstattung mindestens in Höhe des Kaufpreises.
Zivilrechtliche Ansprüche bleiben davon unberührt bestehen (Kaufgewährleistungsrecht). Wegen desselben Sicherheitsproblems kann allerdings nur ein Abhilfeanspruch nach Art.37 GPSR oder ein Mängelbeseitigungsanspruch gemäß §§ 437 ff. GBG geltend gemacht werden.

11. Sanktionen und Übergangsregelung

Bis zum 12. Dezember 2024 gilt das bisherige Produktsicherheitsrecht. Die GPSR ist bei allen Verbraucherprodukten zu beachten, die nach dem 13. Dezember 2024 in den Verkehr gebracht werden. 
Das deutsche ProdSG wird bis dahin an die neue Rechtslage angepasst und vor allem Sanktionen und Bußgelder regeln (vgl. Art.44 GPSR). Die Pflichten der Hersteller, Einführer und Händler ergeben sich zukünftig nicht mehr aus diesem Gesetz, sondern nur noch aus der GPSR.
Für Produkte, die vor dem 13. Dezember 2024 in den Verkehr gebracht werden und dem derzeitigen Recht entsprechen, gilt eine Übergangsbestimmung (Art. 51 GPSR): sie dürfen auch nach Inkrafttreten der GPSR in den Verkehr gebracht, d.h. verkauft werden.