Interview IHKplus | Ausgabe 03.2023

„Die Demokratie in unserem Land ist nicht selbstverständlich“

Der Bonner Journalist und Politikwissenschaftler Andreas Püttmann spricht im Interview über Bruchstellen unserer Demokratie.
Warum denken viele Deutsche, dass nichts unsere Demokratie zerstören kann?
Die meisten Deutschen kennen nur die demokratische Staatsform aus eigenem Erleben. Darüber könnten sie vergessen, dass die rechtsstaatlich beschränkte, gewaltenteilig ausbalancierte Volksherrschaft des Grundgesetzes zerbrechlich ist und nicht das Ende der deutschen Geschichte sein muss. Eine Verfassung, so Ernst-Wolfgang Böckenförde, lebt „von Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren kann“: kulturelle, geistige, ethische und womöglich auch religiöse, unbeschadet der weltanschaulichen Neutralität des Staates.
Das heißt, wir müssten auch selbst mehr für diese Demokratie einstehen?
Unbedingt! Die Grundrechte sind ja nicht nur Abwehrrechte der Bürgerinnen und Bürger gegen staatliche Eingriffe, sondern auch Teilhaberechte und Ausdruck einer „objektiven Wertordnung“ – so das Bundesverfassungsgericht – sondern man kann sie auch als Bürgerkompetenzen zur Pflege des Gemeinwohls verstehen. Eine res publica braucht Bürgerloyalität, Bürgeraktivität und Bürgertugenden.
Welche Rolle spielen dabei die Medien?
Die Vervielfältigung der Fernsehkanäle mit Programmerweiterung insbesondere im Unterhaltungssektor, die Innovation des Internets und darauf aufbauend der sozialen Netzwerke haben die Bedingungen der Massenkommunikation erheblich verändert.
Insbesondere zentrifugale, die Öffentlichkeit fragmentierende Effekte sind offenkundig. Kognitive Dissonanzen – also Widersprüche zwischen vorgefasster und neuer Information oder Meinung – fordern zur Überprüfung und Verfeinerung eigener Ideen heraus und schützen vor geistiger Selbstgenügsamkeit. Je leichter sie in sogenannten „Filterblasen“ Gleichgesinnter vor allem in „social media“ vermieden werden können, desto mehr drohen Verplumpung, Realitätsverlust und Intoleranz. Deshalb die Blüte von Verschwörungstheorien, Extremismus und anonymem Internetmobbing.
So darf man sich durchaus fragen: Überlebt die Demokratie das Internet? Oder wird die radikale „Basisdemokratisierung“ der Öffentlichkeit, vorbei an professionellen journalistischen Standards, eher zu einem Absacken des Niveaus führen, das auch den Staat schließlich nach unten zieht?
Wie beurteilen Sie die aktuellen Proteste der „Letzten Generation“?
Als anmaßend und für den Klimaschutz kontraproduktiv. Im demokratischen Rechtsstaat ist „Ziviler Ungehorsam“ durch nötigende Blockaden ein moralisches Ausbeutertum derer, die die Regeln missachten, auf Kosten derer, die sie einhalten. Nicht die Blockierer sind „friedlich“, sondern diejenigen, die sich deren Anmaßung gefallen lassen.

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