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Was tun, wenn der Kunde im Ausland nicht zahlt? Forderungsbeitreibung in der EU
Was tun, wenn der Kunde im Ausland nicht zahlt? Der Artikel gibt Ihnen einen Überblick über die vier wesentlichen EU-Instrumente zur gerichtlichen Beitreibung von Geldforderungen und eine Entscheidungshilfe zur Wahl des geeigneten Verfahrens.
Denn bei jedem Instrument sollten die Vor- und Nachteile sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Auch ist es ratsam, vorab die Vertragsunterlagen zu prüfen. Insbesondere bei Verträgen mit ausländischen Kontakten sind hier die Punkte "Rechtswahl/Anwendbares Recht" und "Gerichtsstand" wichtig. Diese können von den Vertragsparteien regelmäßig frei vereinbart werden und wirken sich unmittelbar auf den Aufwand und die Kosten für eine gerichtliche Geltendmachung der Forderung aus.
1. Auf Geldforderungen gerichtete Klagen in der EU
Zuerst soll der klassische Fall, die reguläre Klage auf Leistung der fälligen Zahlung vor Gericht kurz erläutert werden.
1.1 Rechtsgrundlagen für auf Geldforderungen gerichtete Klagen in der EU
Soll eine derartige Klage erhoben werden, muss zunächst festgestellt werden, welches Gericht örtlich hierfür zuständig ist. Innerhalb der EU gelten hierfür die Art. 4 ff. der Verordnung (EU) 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (abgekürzt: „EuGVVO“ oder „Brüssel Ia-VO").
Nach der Feststellung der örtlichen Zuständigkeit richtet sich der Prozessablauf nach den jeweiligen nationalen Vorschriften des Landes des angerufenen Gerichts. Darüber bietet das Europäische Justizportal einen guten Überblick.
1.2 Anwendbarkeit von auf Geldforderungen gerichteten Klagen in der EU
Grundsätzlich können im Rahmen regulärer Gerichtsverfahren Geldforderungen in der gesamten EU in unbegrenzter Höhe von gewerblichen und – mit Sonderregelungen – von privaten Schuldenden eingeklagt werden.
1.3 Verfahrensablauf von auf Geldforderungen gerichteten Klagen in der EU
Zunächst werden von dem angerufenen Gericht das Vorhandensein und die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen geprüft. Sind diese wirksam, so ist das Gericht an dem von den Geschäftsbeteiligten vereinbarten Ort ausschließlich zuständig. Ist keine – auch keine konkludente – Gerichtsstandsvereinbarung getroffen bzw. diese nicht wirksam, so ist im Regelfall das Gericht am Wohn- bzw. Geschäftssitz im Mitgliedstaat der beklagten Person, hier also die in Schuld stehende Person, zuständig.
Für einen deutschen Kreditgebenden kommen also grundsätzlich zwei Szenarien in Frage: Einerseits die Klage vor einem deutschen Gericht, wenn eine entsprechende Gerichtsstandsvereinbarung existiert. Andererseits die Klage vor einem Gericht in einem anderen Mitgliedsstaat, wenn dies nicht der Fall ist.
Durch die VO (EU) 1215/2012 wird gewährleistet, dass deutsche Urteile im EU-Ausland anerkannt werden und auf Antrag durch die dort zuständige Stelle für vollstreckbar erklärt werden können. Bei in Deutschland erlangten Vollstreckungstiteln, die im EU-Ausland vollstreckt werden sollen, empfiehlt sich die unter Punkt 2 beschriebene zusätzliche Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel.
1.4 Kosten von auf Geldforderungen gerichteten Klagen in der EU
Die bei Klageverfahren in Deutschland und im EU-Ausland zu entrichtenden Gerichtsgebühren sowie eventuelle Anwaltshonorare unterliegen den jeweils national einschlägigen Regelungen. Auch hierfür bietet das Europäische Justizportal eine erste Orientierungshilfe.
1.5 Vorteile von auf Geldforderungen gerichteten Klagen in der EU
Vorteilhaft in diesem Beitreibungsverfahren ist, dass auf Geldforderungen gerichtete Klagen grundsätzlich in allen EU-Staaten möglich sind, keine Obergrenze hierfür existiert und die Anerkennung der Urteile (nicht deren Vollstreckung) innerhalb der EU gewährleistet ist.
1.6 Nachteile von auf Geldforderungen gerichteten Klagen in der EU
Von großem Nachteil ist, dass dem deutschen Kreditgebenden die nationalen Vorschriften über die gerichtlichen Prozesse (Ablauf, Kosten, Dauer, Vollstreckung, etc.) im EU-Ausland in der Regel nicht bekannt sind und er der Sprache häufig nicht hinreichend mächtig ist.
Deshalb muss in den meisten Fällen, auch wenn dies nicht explizit vorgeschrieben ist, die Rechtsvertretung vor Ort eingeschaltet werden, was weiteren finanziellen Aufwand nach sich zieht. Zudem enthält die VO (EU) 1215/2012 keine Vereinheitlichungen hinsichtlich der Kostentragungspflicht und der prozessualen Fristen.
Bei in Deutschland erlangten Titeln ist zusätzlich ein Zwischenverfahren im Vollstreckungsmitgliedstaat erforderlich, sofern kein Europäischer Vollstreckungstitel (s. u.) vorliegt.
2. Der Europäische Vollstreckungstitel
Beim Europäischen Vollstreckungstitel handelt es sich nicht um einen Titel aus einem eigenständigen Gerichtsverfahren, sondern vielmehr um einen Zusatz für in einem EU-Mitgliedstaat erlangte Titel. Dadurch sollen die Urteilsfreizügigkeit und die grenzüberschreitende Vollstreckung im EU-Gebiet vereinfacht und beschleunigt werden.
Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass die Zwangsvollstreckung aus Titeln, die in anderen Mitgliedstaaten als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt worden sind, innerhalb Deutschlands möglich ist.
Wie bereits unter Punkt 1.3 beschrieben, werden gerichtliche Urteile innerhalb der EU zwar regelmäßig anerkannt, zur Vollstreckung muss allerdings ein Zwischenverfahren (Exequaturverfahren) im Vollstreckungsmitgliedstaat durchgeführt werden, welches bei einem Europäischen Vollstreckungstitel entfällt.
2.1 Rechtsgrundlagen des Europäischen Vollstreckungstitels
Mit der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 über den Europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen (EuVTVO) wurden für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union einheitliche Mindestvorschriften geschaffen, die die Vollstreckung von Entscheidungen, gerichtlichen Vergleichen und öffentlichen Urkunden über unbestrittene Forderungen in der EU gewährleisten sollen.
2.2 Anwendbarkeit des Europäischen Vollstreckungstitels
Der Europäische Vollstreckungstitel ist innerhalb aller EU-Mitgliedstaaten – mit Ausnahme Dänemarks – in allen Zivil- und Handelssachen gegenüber Unternehmern und mit Besonderheiten gegenüber Verbraucherinnen und Verbraucher anzuwenden.
Ausdrücklich nicht erfasst sind Steuer- und Zollsachen, verwaltungsrechtliche Angelegenheiten sowie die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte.
Die Verordnung ist zudem nicht anzuwenden auf den Personenstand, die Rechts- und Handlungsfähigkeit sowie die gesetzliche Vertretung von natürlichen Personen, die ehelichen Güterstände, das Gebiet des Erbrechts einschließlich des Testamentsrechts, Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren, die soziale Sicherheit und die Schiedsgerichtsbarkeit (vgl. Art. 2 EuVTVO).
Wichtigste Voraussetzung für die Anwendbarkeit ist die Unbestrittenheit der Forderung. Eine Forderung gilt im Sinne der Verordnung als unbestritten, wenn die in Schuld stehende Person
- der Forderung im Gerichtsverfahren durch Anerkenntnis oder durch einen gerichtlichen Vergleich zugestimmt hat,
- der Forderung im Einklang mit den einschlägigen Verfahrensvorschriften des Ursprungsmitgliedstaats zu keiner Zeit widersprochen hat,
- nicht zur Verhandlung erschienen ist und sich nicht hat vertreten lassen, obwohl er die Forderung zuvor bestritten hat, wenn dieses Verhalten nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates als stillschweigendes Zugeständnis zu werten ist oder
- die Forderung ausdrücklich in einer öffentlichen Urkunde anerkannt hat.
2.3 Verfahrensablauf des Europäischen Vollstreckungstitels
Nachdem ein nationaler Vollstreckungstitel in einem Mitgliedstaat erlassen wurde und die unter 2.2 beschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind, kann sich der Kreditgebende diesen anhand eines Formulars von der jeweils zur Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung zuständigen Stelle als Europäischen Vollstreckungstitel bestätigen lassen.
Daraus kann dann unmittelbar im Mitgliedstaat der Schuldnerin oder des Schuldners vollstreckt werden, der Europäische Vollstreckungstitel wird dabei behandelt wie ein Vollstreckungstitel des jeweiligen Mitgliedstaates. Es wird keine förmliche Vollstreckbarkeitserklärung mehr benötigt und die in Schuld stehende Person kann sich nicht mehr auf Gründe zur Versagung der Anerkennung des Urteils in seinem Mitgliedstaat berufen.
Für das Vollstreckungsverfahren selbst gilt das Recht des Mitgliedstaats, in dem vollstreckt werden soll. Den zuständigen Vollstreckungsbehörden im EU-Ausland muss der Kreditgebende bzw. dessen Rechtsvertretung Folgendes vorlegen:
- eine Ausfertigung der Entscheidung,
- eine Ausfertigung der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel,
- eine Übersetzung dieser Bestätigung in die Amtssprache des vollstreckenden Mitgliedstaates oder eine andere Sprache, die dieser Staat zulässt.
2.4 Kosten des Europäischen Vollstreckungstitels
Die Kosten für die Bestätigung eines deutschen Urteils als Europäischer Vollstreckungstitel durch ein deutsches Gericht betragen im Zivilprozess derzeit 20 Euro. Für Hinweise zu den zu erwartenden Kosten der Vollstreckung im jeweiligen EU-Ausland finden Sie Übersichten über jeden Mitgliedstaat im Europäischen Justizportal.
2.5 Vorteile des Europäischen Vollstreckungstitels
Diese Vorgehensweise bringt Kreditgebenden insofern einen spürbaren Vorteil, als dass sie im Ausland eine Vollstreckung betreiben können, ohne die Gerichtsbarkeit des Vollstreckungsmitgliedstaates mit den daraus entstehenden Verzögerungen und Kosten in Anspruch nehmen zu müssen. Gleichzeitig sind die Kosten und der Aufwand zur Erlangung des zusätzlichen Titels in Deutschland überschaubar.
2.6 Nachteile des Europäischen Vollstreckungstitels
Um aus einem Europäischen Vollstreckungstitel im EU-Ausland vollstrecken zu können, sind die verfahrensrechtlichen Vorschriften - insbesondere im Bereich der Zustellung - genau zu beachten, was im Ausland gegebenenfalls zu Verzögerungen führt. Des Weiteren ist der Europäische Vollstreckungstitel nur auf einen sehr eingeschränkten Bereich anwendbar und enthält weder einheitliche Fristen noch Kosten oder Verfahrensabläufe für die Vollstreckung.
3. Das Europäische Mahnverfahren
Da die Nachteile einer regulären Klage vor Gericht, selbst unter Berücksichtigung des Europäischen Vollstreckungstitels, Geschäfte innerhalb der EU erschweren, hat sich der europäische Gesetzgeber an den deutschen Regelungen zum gerichtlichen Mahnverfahren orientiert und das Europäische Mahnverfahren ("Europäischer Zahlungsbefehl") ins Leben gerufen.
3.1 Rechtsgrundlagen des Europäischen Mahnverfahrens
Das mittels der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 geschaffene Verfahren ermöglicht es dem Kreditgebenden auf vereinfachtem und beschleunigtem Wege durch ein EU-weit größtenteils harmonisiertes Verfahren mit einheitlichen Formularen eine grenzüberschreitende Forderungstitulierung zu erreichen. Die im Anhang der Verordnung aufgeführten Formulare sind in ihrer jeweils gültigen Fassung über das Europäische Justizportal abrufbar.
3.2 Anwendbarkeit des Europäischen Mahnverfahrens
Das Europäische Mahnverfahren kann für alle fälligen und bezifferten Geldforderungen in unbegrenzter Höhe angestrengt werden, bei denen mindestens eine Partei ihren Wohn- bzw. Geschäftssitz im EU-Ausland - mit Ausnahme Dänemarks - hat.
Dabei dürfen die Außenstände ausschließlich aus Zivil- und Handelssachen herrühren. Zahlungsansprüche aus familien-, erb-, insolvenz-, verwaltungs-, steuer-, zoll- und sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten sowie außervertragliche Ansprüche können mit diesem Verfahren nicht beigetrieben werden.
Gegenüber Verbraucherinnen und Verbrauchern ist das Europäische Mahnverfahren mit Sonderbestimmungen im Hinblick auf das zuständige Gericht ebenfalls anwendbar. Der Kreditgebende wird sich im Allgemeinen nur dann für das Europäische Mahnverfahren entscheiden, wenn es Grund zu der Annahme gibt, dass die Rechtmäßigkeit des Zahlungsanspruchs nicht bestritten wird. Andernfalls sollte eine direkte Klageerhebung gem. Punkt 1. erwogen werden.
3.3 Verfahrensablauf des Europäischen Mahnverfahrens
Um das Europäische Mahnverfahren einzuleiten, füllt der Kreditgebende zunächst das Antragsformular ("Formblatt A") aus. Die notwendigen Antragsformulare können auf der Website des europäischen Justizportals kostenlos heruntergeladen werden und sind in der Sprache oder in einer der Sprachen auszufüllen, die das zuständige Gericht anerkennt. Immerhin erfolgen viele Angaben anhand von Codierungen, wodurch sprachliche Schwierigkeiten beim Ausfüllen weitgehend vermieden werden.
Der Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls ist, nebst Beweismitteln, bei dem Gericht in dem Mitgliedstaat einzureichen, in dem die Antragsgegnerin oder der Antragsgegner ihren bzw. seinen Geschäftssitz / Wohnsitz hat (vgl. Punkt 1.3). Gegenüber Verbraucherinnen und Verbrauchern muss der Zahlungsbefehl immer in dem Mitgliedstaat beantragt werden, in welchem sie ihren Wohnsitz haben. Das jeweils national für das Europäische Mahnverfahren sachlich zuständige Gericht lässt sich über den Europäischen Gerichtsatlas für Zivilsachen feststellen (Ausnahme Ungarn: Hier fällt das Mahnverfahren in den Zuständigkeitsbereich der Notarinnen und Notare (Zivilrecht)).
Ist der Antrag nicht offensichtlich unbegründet, erlässt das Gericht so bald wie möglich und in der Regel binnen 30 Tagen nach Einreichung eines entsprechenden Antrags einen Europäischen Zahlungsbefehl ("Formblatt E") und stellt diesen der in Schuld stehenden Person zu. Nach Ablauf einer 30-tägigen Einspruchsfrist (beginnend ab Zustellung) ohne Eingang eines solchen, erklärt das Gericht den Zahlungsbefehl für vollstreckbar. Dieser wird in allen anderen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt, ohne dass es einer Vollstreckbarkeitserklärung bedarf, und ohne dass seine Anerkennung angefochten werden kann.
Im Fall eines Einspruchs beginnt – sofern dies vom Kreditgebenden im Antragsformular nicht ausgeschlossen wurde – ein ordentlicher Zivilprozess.
3.4 Kosten des Europäischen Mahnverfahrens
Die Kosten eines Europäischen Mahnverfahrens und eines ordentlichen Zivilprozesses, der sich an die Einlegung eines Einspruchs gegen den Europäischen Zahlungsbefehl in einem Mitgliedstaat anschließt, dürfen insgesamt nicht höher sein als die Gerichtsgebühren eines ordentlichen Zivilprozesses ohne vorausgehendes Europäisches Mahnverfahren in diesem Mitgliedstaat. Die Höhe der Verfahrenskosten an sich ist nicht einheitlich festgelegt und richtet sich folglich nach den nationalen Vorschriften des örtlich zuständigen Gerichts.
3.5 Vorteile des Europäischen Mahnverfahrens
Die wichtigsten Vorteile des Europäische Mahnverfahrens liegen in seiner standardisierten Form, in der Einstufigkeit des Verfahrens (die in Schuld stehende Person hat grundsätzlich nur eine Chance, Einwendungen gegen den Zahlungsbefehl zu erheben) sowie der unmittelbaren Vollstreckbarkeit im Falle des Erlasses eines Europäischen Zahlungsbefehls in jedem EU-Mitgliedstaat.
Die Kosten für das Mahnverfahren an sich halten sich regelmäßig im überschaubaren Rahmen und erhöhen im Falle eines streitigen Verfahrens die Gesamtsumme der Verfahrenskosten nicht.
3.6 Nachteile des Europäischen Mahnverfahrens
Nachteilig gestaltet sich in der praktischen Handhabung die Tatsache, dass die national unterschiedlichen Gerichtsgebühren nicht einheitlich festgelegt wurden und vom Kreditgebenden oft mühsam herausgefunden werden müssen. Zudem wurde der Zeitraum nicht verbindlich festgelegt, in dem das national zuständige Gericht den Europäischen Zahlungsbefehl erlassen und die national zuständige Vollstreckungsbehörde tätig werden muss. Dadurch kann es zu Verzögerungen kommen.
4. Das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen
Durch das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen soll die Geltendmachung grenzüberschreitender Forderungen unter 5.000 Euro vereinfacht, verbilligt und beschleunigt werden.
4.1 Rechtsgrundlagen des Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen
Die Verordnung (EG) Nr. 861/2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen („Small-Claims-Verordnung“) gilt für alle Forderungen, die ab dem 1. Januar 2009 entstanden sind.
4.2 Anwendbarkeit des Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen
Diese Verordnung gilt innerhalb der EU (mit Ausnahme Dänemarks) für alle Zivil- und Handelssachen gegenüber Unternehmen und Verbraucherinnen und Verbrauchern, wenn der Streitwert der Klage ohne Zinsen, Kosten und Auslagen zum Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht 5.000 Euro nicht überschreitet. Das Verfahren umfasst insbesondere nicht Steuer- und Zollsachen, verwaltungsrechtliche Angelegenheiten sowie die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte. Ebenfalls ausgenommen sind arbeitsrechtliche Forderungen.
4.3 Verfahrensablauf des Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen
Auch das Verfahren für geringfügige Forderungen wird grundsätzlich schriftlich durchgeführt und basiert weitgehend auf standardisierten Formblättern. Zur Verfahrenseinleitung muss das Formblatt A ausgefüllt werden. Diesem Antrag sind alle Beweisunterlagen wie z.B. Quittungen, Rechnungen usw. beizufügen. Die gesamten Antragsunterlagen sind in einer der jeweiligen Amtssprachen bei dem Gericht einzureichen, das für die Bearbeitung sachlich zuständig ist. Die örtliche Zuständigkeit des Gerichts ergibt sich aus der - bereits unter Punkt 1.3 kurz erläuterten - Regelungen der VO (EU) Nr. 1215/2012, welche Sonderregelungen für Verbrauchersachen enthält.
Nach Eingang des Klageformblatts A füllt das Gericht seinen Teil des "Antwortformblatts" aus und stellt der in Schuld stehenden Person innerhalb von 14 Tagen nach Eingang des Klageformblatts eine Kopie desselben zusammen mit einem Antwortformblatt zu. Die in Schuld stehenden Person hat nun 30 Tage Zeit zu antworten, indem sie ihren Teil des Antwortformblatts ausfüllt. Das Gericht ist verpflichtet, innerhalb von weiteren 14 Tagen eine Kopie der Antwort an den Kreditgebenden abzusenden. Innerhalb von 30 Tagen nach Eingang der Antwort der in Schuld stehenden Person bei Gericht erlässt dieses ein Urteil zu der Forderung, fordert die Parteien zu weiteren Angaben auf oder lädt die Parteien zu einer mündlichen Verhandlung vor.
Sobald ein Urteil zu der geringfügigen Forderung ergangen ist, füllt das Gericht Formblatt D aus. Mit dem Formblatt D (welches ggfs. in die Amtssprache des Mitgliedstaats zu übersetzen ist, in dem vollstreckt werden soll) und einer Kopie des Urteils ist das Urteil ohne weitere Formalitäten in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (mit Ausnahme Dänemarks) nach den dortigen Verfahrensvorschriften vollstreckbar.
4.4 Kosten des Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen
Das für das Verfahren zuständige Gericht hat in diesem speziellen Verfahren grundsätzlich immer den Kosten Rechnung zu tragen. Hierzu hat es die einfachsten und am wenigsten aufwändigen Beweismittel zu wählen. Sachverständigenbeweise oder mündliche Aussagen werden nur dann zugelassen, wenn diese für das Urteil unbedingt erforderlich sind.
Zudem ist verbindlich festgeschrieben, dass die unterlegene Partei alle Kosten des Verfahrens trägt, sofern die von der obsiegenden Partei geltend gemachten Kosten notwendig waren und in einem angemessenen Verhältnis zu der Klage stehen. Die Gerichtskosten für das Verfahren sind nicht EU-weit einheitlich festgelegt und müssen daher bei den jeweils zuständigen Gerichten in Erfahrung gebracht werden.
4.5 Vorteile des Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen
Ein wesentlicher Vorteil des Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen liegt in den verbindlich vorgegebenen Bearbeitungsfristen für die Gerichte des jeweiligen Mitgliedstaates, was auf eine zügige Verfahrensabwicklung hoffen lässt. Des Weiteren stellt die Standardisierung des Verfahrens mittels EU-weit einheitlicher Formblätter eine spürbare Verfahrensvereinfachung dar.
4.6 Nachteile des Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen
Größter Nachteil des beschriebenen Verfahrens ist die 5.000 Euro-Grenze, welche im kaufmännischen Geschäftsverkehr rasch überschritten sein dürfte.
5. Gesamtübersicht über die Verfahren
EU-Instrument
Kriterium
|
Klage auf Geldleistung innerhalb der EU
|
EU-Vollstreckungstitel
|
EU-Mahnverfahren
|
EU-Verfahren für geringfügige Forderungen
|
---|---|---|---|---|
Geeignet für strittige Geldforderungen
|
Ja
|
Nein
|
Nein[1]
|
Ja
|
Obergrenze für Höhe der Geldforderung
|
Nein
|
Nein
|
Nein
|
Ja
|
Verfahrensablauf EU-weit standardisiert
|
Nein
|
Ja
|
Ja
|
Ja
|
Rechtsvertretungspflicht
|
Ja[2]
|
Nein
|
Nein
|
Nein
|
EU-weit einheitliche Fristenregelung
|
Nein
|
Nein
|
Ja
|
Ja
|
EU-weit einheitliche Grundsätze für Verfahrenskosten
|
Nein
|
Nein
|
Ja
|
Ja
|
EU-weit einheitliche Kostentragungspflicht der unterlegenen Partei
|
Nein
|
Nein
|
Nein
|
Ja
|
Vorteile
|
- Universelle
Einsetzbarkeit
|
- EU-weite Voll-
streckbarkeit
- In Deutschland
überschaubare
Zusatzkosten
|
- Hoher Stan-
dardisierungs-
grad
- Einstufigkeit
- EU-weite Voll-
streckbarkeit
|
- Hoher Stan-
dardisierungs-
grad
- Klare Fristen-
regelung
- EU-weite Voll-
streckbarkeit
|
Nachteile
|
- Nationale
Vorschriften
dominieren
- relativ zeit- &
kostenintensiv
- Eventuell Zwi-
schenverfah-
ren erforderlich
|
- Nationale
Vorschriften
für die Voll-
streckung
- Stark einge-
schränkter
Anwendungs-
bereich
|
- Keine einheit-
lichen Ge-
bühren und
Fristen
- Nationale
Vorschriften
für die Voll-
streckung
|
- Stark einge-
schränkter
Anwendungs-
bereich
- Nationale
Vorschriften
für die Voll-
streckung
|
[1] Grds. auch bei strittigen Forderungen möglich, auf Grund des nachfolgenden streitigen Verfahrens i.d.R. nicht zu empfehlen.
[2] Dies ist von den jeweiligen nationalen Vorschriften abhängig, die Angabe stellt insoweit lediglich eine Empfehlung dar.